Als der neue Innenminister Wolfgang Schäuble vergangene Woche in Brüssel zum ersten Mal seine Kollegen traf, erwartete ihn ein gewaltiges Arbeitspensum. Seit er vor 14 Jahren zuletzt in dieser Runde saß, hat sich die europäische Tagesordnung der Innenminister stark ausgeweitet. Die beiden großen Herausforderungen Terrorismus und illegale Einwanderung kann kein Land allein bewältigen. Deshalb spielen zunehmend mehr Themen aus dem Bereich Innen- und Justizpolitik auf europäischer Ebene eine Rolle.
Auch wenn der EU-Ministerrat vergangenen Freitag einen Minimalkompromiss zur Datenspeicherung erzielte, kommen die EU-Länder insgesamt bei ihrem Bemühungen, sich zu vernetzen, nur in winzigen Schritten voran. Die britische Ratspräsidentschaft fasste jüngst zusammen, welche Fortschritte bei der gemeinsamen Terrorismusbekämpfung seit dem Juli-Gipfel gemacht worden sind. Dabei zeigte sich, dass die meisten Gesetzesprojekte, die London gerne während der britischen Ratspräsidentschaft beschlossen hätte, noch immer umstritten sind. Zu unterschiedlich sind die Rechtstraditionen und Anforderungen beim Daten-schutz und bei der Frage bürgerlicher Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Bei Innenminister Charles Clarkes Lieblingsprojekt, der Speicherung von Telefon- und E-Mail-Daten zu Ermittlungszwecken in der Terrorbekämpfung, ist ein Kompromiss zwischen Rat und Parlament näher gerückt. Auch gegen einen Vorschlag der EU-Kommission, Visadaten und die Fingerabdruck-Kartei Eurodac zu vernetzen und elektronisch gespeicherte Visadaten für Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen, wehren sich vor allem die nordischen Länder.
Die Innenminister diskutierten außerdem ein Papier der Kommission, das neue Akzente in der Migrationsdebatte setzen will. Auch in diesem Bereich sind die Probleme drückend geworden, die Bereitschaft zu ge-meinschaftlichem Handeln aber wächst nur langsam. Die Kommission will ein Gleichgewicht herstellen zwischen Hilfen für die Herkunftsländer und Abwehr der illegalen Flüchtlinge. In den Mitgliedsländern müsse das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass legale Einwanderung für Europa eine Wachstumschance bietet - all das hat man bereits von Antonio Vitorino, dem Vorgänger des jetzt amtierenden italienischen Innenkommissars Franco Frattini, jahrelang in ähnlichen Formulierungen hören können. Bundesinnenminister Schäuble machte in Brüssel klar, dass aus Sicht der Bundesregierung legale Zuwanderung nicht in den europäischen Zuständigkeitsbereich gehört. "Der Arbeitsmarkt ist eine nationale Verantwortung."
Neu ist der Ansatz der Kommission, die politischen Handlungsfelder miteinander zu verzahnen. Für den vergangene Woche vorgelegten Text zeichnen neben Frattini auch Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und Entwicklungskommissar Louis Michel verantwortlich. Denn nach Überzeugung der Kommission muss alles ineinander greifen: Entwicklungshilfe, Außenpolitik, Integration und Kampf gegen illegale Einwanderung. Die Nachbarschaftspolitik soll dafür genutzt werden, Rücknahmeabkommen zu schließen und mit EU-Hilfe die Grenzkontrollen zu verbessern. Sie soll aber auch dafür sorgen, dass die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention in den Ländern umgesetzt werden, die Flüchtlinge zurücknehmen. Wenn, wie jüngst geschehen, Flüchtlinge von marokkanischen Soldaten hilflos in der Wüste ausgesetzt werden, schadet das dem europäischen Image ebenso wie dem marokkanischen. Deshalb setzt die EU-Kommission auf Ausbildungsprogramme und Grenzkontrollen in gemeinsamer Regie. Mittelfristig sollen gemeinsame Patrouillen auf dem Mittelmeer und eine Vernetzung von Einwanderungsoffizieren und EU-Delegierten vor Ort menschliche Dramen wie unlängst in Melilla verhindern helfen.
Mit elf Ländern, darunter Marokko und der Ukraine hat die EU bereits über Partnerschaftsabkommen verhandelt. Mittlerweile sind daraus fünf Abkommen mit Rücknahmegarantien entstanden, unter anderem mit Albanien und in eingeschränkter Form mit Russland. Die Verhandlungen mit Algerien, das die längste Mittelmeerküste hat, sollen noch in diesem Jahr beginnen.
In der Entwicklungspolitik sollen Geldtransfers von Verwandten aus Europa in die armen Herkunftsländer künftig stärker als Entwicklungsimpulse genutzt werden. Die EU will die Überweisungsmöglichkeiten verbessern und durch mehr Konkurrenz bei europäischen Finanzdienstleistungen auch die Transfers nach Übersee billiger machen. Auswanderer sollen ermutigt werden, die in Europa erzielten Ersparnisse in ihrer Heimat anzulegen, zum Beispiel in Bankhäusern, die Mikrokredite gewähren.
Damit mehr Menschen aus armen Ländern in Europa Geld verdienen können, soll in den Mitgliedsländern verstärkt für legale Einwanderung geworben werden. Für legale Einwanderer und Asylbewerber sollen die Integrationsmöglichkeiten verbessert werden - möglichst schon mit Eingliederungskursen vor der Einreise. Für Studenten, Forscher und Arbeiter mit befristeten Verträgen wird erwogen, die Einreisemöglichkeiten zu erleichtern. Für Länder, die sich bei der Rücknahme illegaler Flüchtlinge entgegenkommend zeigen, könnten die Visaprozeduren vereinfacht werden. Die neue Politik will damit bei den Ursachen der Flüchtlingsströme ansetzen. Das allerdings kostet Geld. 400 Millionen Euro sollen in den beim Europäischen Gipfel von Hampton Court im Juni beschlossenen Migrationsfond fließen - wer ihn füllt, ist aber noch völlig unklar.
Die neuen partnerschaftlichen Modelle setzen voraus, dass die Nachbarländer der EU diese Form der Zusammenarbeit tatsächlich wollen. Der Gipfel in Barcelona vorletztes Wochenende anlässlich des zehnjährigen Bestehens der europäischen Partnerschaft mit den Mittelmeerländern war diesbezüglich eine ernüchternde Erfahrung. Während fast alle europäischen Regierungschefs anreisten, schickten die meisten arabischen Länder Minister aus der zweiten Reihe nach Barcelona. Und auch die Abschlusserklärung, fiel deutlich schwächer aus, als die Europäer gehofft hatten.