Es war eine ganz besondere Abstimmung: Nicht nur, dass sich der Bundestag am 6. Dezember 1995 mit seinem Ja zum Bosnien-Einsatz für den bislang größten und riskantesten Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr aussprach - überhaupt war es das erste Mal, dass deutsche Soldaten unter Kriegsbedingungen in eine Krisenregion außerhalb des NATO-Gebietes entsendet wurden. 4.000 bewaffnete Bundeswehrsoldaten sollten die 60.000 Mann starke Friedenstruppe der NATO in Bosnien unterstützen und die Umsetzung des zuvor geschlossenen Friedensabkommens überwachen.
Die Zeit drängte: Mit dem Zerfall Jugoslawiens im Sommer 1991 war es auf dem Balkan immer wieder zu nationalistischen Spannungen gekommen. Einzelne Republiken waren aus der Föderation ausgetreten und hatten gegen den Willen der Belgrader Führung unter Serbenführer Slobodan Milosevic freie Wahlen abgehalten. Die jugoslawische Bundesarmee JNA versuchte daraufhin, diese Unabhängigkeitsbestrebungen militärisch zu zerschlagen. In der Folge kam es vor allem in Bosnien und Kroatien zu blutigen Auseinandersetzungen mit hundertausenden Opfern. Allein in Bosnien wurden rund 2,2 Millionen Menschen vertrieben, bosnische Muslime systematisch verfolgt und (nach neuesten Angaben) mehr als 100.000 Menschen getötet. Beim Massaker von Srebrenica im Juli 1995 wurden 8.000 männliche Muslime von ihren Familien getrennt und anschließend von Armee- und Polizeieinheiten in den Wäldern erschossen.
Der Friedensvertrag von Dayton sollte diesen grausamen Krieg in der Mitte Europas endlich beenden. Darauf hatten sich die Präsidenten Bosniens, Kroatiens und Serbiens im November 1995 geeinigt. Ein einheitlicher und politisch unabhängiger Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina entstand, aufgespaltet in zwei ethnisch definierte Teilstaaten: die Föderation Bosnien und Herzegowina und die Serbische Republik. Die NATO-geführte Schutztruppe IFOR sollte nun dafür sorgen, dass die kämpfenden Armeen auch tatsächlich abgerüstet wurden, Flüchtlinge und Vertriebene in ihre Heimat zurückkehren konnten und demokratische Institutionen entstanden, die der ethnischen Zusammensetzung des Landes Rechnung trugen.
Eine wichtige Mission - aber nicht unumstritten bei den Parlamentariern. Insbesondere die Grünen haderten mit ihren pazifistischen Vorstellungen und lieferten sich über Wochen eine heftige Debatte über die Grundwerte der Partei. Während Fraktionschef Joschka Fischer auf dem Parteitag in Bremen eine flammende Rede für eine "Intervention bei Völkermord" hielt, warf ihm Vorstandssprecher Jürgen Trittin vor, er sei ein "Realo, der den Konsens grüner Friedenspolitik aufkündigen" wolle. In der Halle protestierten Demons- tranten gegen den "Kampfauftrag" und beschimpften Fischer als "Kriegstreiber". Die Mehrheit der Delegierten lehnte den Bosnien-Einsatz schließlich ab. Doch in der Fraktion sickerte bald durch, dass die meisten grünen Abgeordneten im Bundestag dem Antrag der Regierung durchaus zustimmen wollten. Und tatsächlich: Im Bundestag lehnten nur einige wenige Abgeordnete von SPD und Grünen den Einsatz ab. Lediglich die PDS votierte geschlossen mit Nein. Insgesamt stimmten von 656 anwesenden Abgeordneten 543 mit Ja. Sowohl die Koalition als auch die SPD-Opposition sprachen dabei von einer historischen Entscheidung. Außenminister Klaus Kinkel verteidigte den Einsatz als "moralisch gerechtfertigt", weil es darum gehe, den "Frieden im geschundenen Bosnien zu sichern" und nicht etwa darum, Krieg zu führen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping betonte, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zeige mit "brutaler Deutlichkeit", dass "gute Gesten und humanitäre Hilfe allein diesen Völkermord nicht stoppen können".
Bei Gregor Gysi (PDS) allerdings löste "die Selbstverständlichkeit", mit der die Entscheidung getroffen wurde, "ein ungutes Gefühl" aus. Er habe den Eindruck, alles werde auf das Militärische reduziert, so sein Einwand.
Da half auch der Hinweis von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe nichts, dass der Einsatz ausdrücklich um ein Jahr begrenzt worden sei. Schließlich "könne der Frieden auf Dauer nicht von Soldaten gesichert werden", so Rühe.
Heute wissen wir mehr: Zehn Jahre nach Abschluss des Friedensvertrages von Dayton sind noch immer internationale Friedenstruppen in Bosnien stationiert, darunter auch 1.100 deutsche Soldaten. Seit einem Jahr leitet aber nicht mehr die NATO, sondern die EU die Mission. Auf Wunsch der Linksfraktion wird sich der Bundestag in den kommenden Wochen erneut mit der Verlängerung des EUFOR-Mandats befassen müssen.