Die Herausgeber haben vornehmlich jüngere Autoren mit Beiträgen beauftragt, die brave Seminararbeiten kompiliert haben, denen aber mitunter der Bezug zum Thema fehlt. So könnte der Eindruck entstehen, bei der ersten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Deutschland habe es, flankiert von finanziellen Unregelmäßigkeiten und kleinkarierten Konflikten, vor allem "ein heftiges politisches Tauziehen um Macht und Einfluss" gegeben, das letztlich zum Ende des NWDR führte.
Das Studium der NWDR-Akten mag Unbedarfte zu solchen Schlussfolgerungen verleiten. Die Wirklichkeit war jedoch weit weniger dramatisch; sie entspricht den jahrzehntelangen Alltagserfahrungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Unabhängig vom Missgriff bei der Wahl des NWDR-Generaldirektors - es war nicht die letzte personelle Fehlentscheidung, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat dennoch so bedeutende Intendanten wie Dieter Stolte, Hans Bausch, Klaus von Bismarck oder Fritz Pleitgen hervorgebracht - musste und wollte das größte Bundesland der Republik, nämlich Nordrhein-Westfalen, seine eigene ARD-Anstalt haben. Aus ganz ähnlichen Gründen war bislang die Existenz von "Zwergen" wie Radio Bremen oder des Saarländischen Rundfunks gesichert. Der unverwechselbare Charme der ARD lag und liegt in ihrer föderalen Struktur.
Der öffentlich-rechtliche NWDR war das Werk eines Mannes, der, ungewöhnlich für Journalisten, als Medienmacher sogar geadelt wurde: Sir Hugh Carleton Greene. Er hat die Rundfunkstruktur im westlichen Nachkriegsdeutschland während seiner zweijährigen Tätigkeit als "Chief Controller" der britischen Besatzungsmacht in Hamburg (von Herbst 1946 bis Herbst 1948) vorgegeben. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit sollte es eine Rundfunkstruktur sein, die sich an der BBC orientierte, deren Generaldirektor Greene dann von 1960 bis 1969 war: unabhängig, staatsfern, finanziert durch Gebühren, kontrolliert von Aufsichtsgremien, in die alle gesellschaftlich bedeutenden Gruppen Vertreter entsenden - Rundfunk also als "Dienst an der Allgemeinheit".
In der Nachbetrachtung ist Greene vorgehalten worden, er habe mit dieser Konstruktion einem unangemessenen Einfluss der politischen Parteien den Weg geebnet. Im persönlichen Gespräch hat er stets zugegeben, dass er die Rolle der Parteien in Deutschland, die sich anders als auf der britischen Insel nicht nur auf ihre Arbeit im Parlament beschränkten, falsch eingeschätzt habe.
Noch bevor die Väter des Grundgesetzes den Parteien in der Bundesrepublik einen maßgeblichen Anteil an der politischen Meinungs- und Willensbildung einräumten, regten sie sich im NWDR. Die großen Parteien beanspruchten mehr Sendezeit als die kleineren. Die KPD wollte als Acht-Prozent-Partei in allen Nachrichtensendungen entsprechend berücksichtigt werden. Die NRW-Landesregierung beschloss im April 1947, im NWDR solle ihr "ein maßgeblicher Einfluss in wirtschaftlicher und propagandistischer Hinsicht" bei den Verhandlungen mit den Briten gesichert werden. Und der SPD-Vorstand kritisierte 1948 heftig die Distanz des Rundfunks zu den politischen Parteien.
Der beginnende Ost-West-Konflikt brachte zusätzliche Probleme für den NWDR, der im Funkhaus Köln mit Max Burghardt einen Intendanten hatte, der im Gleichklang mit seinem Abteilungsleiter "Politisches Wort", Karl-Eduard von Schnitzler, offen kommunistische Positionen favorisierte. Greene griff im Frühjahr 1947 ein: "Als erster kam Burghardt dran ... Ich entließ ihn und er ging nach Ostdeutschland. Schnitzler wurde versuchsweise von Köln und Hamburg versetzt, wo er weiter politische Kommentare lieferte; er war ein guter Rundfunkpublizist und ein gescheiter Kopf, den ich nicht unbedingt verlieren wollte." Burghardt wurde in der DDR Generaldirektor der Leipziger Bühnen, Schnitzler avancierte bei Radio und Fernsehen der DDR zum "Chefkommentator".
Der Vorsitzende des NWDR-Verwaltungsrats, Niedersachsens Kultusminister Adolf Grimme, wurde im September 1948 zum NWDR-Generaldirektor gewählt. Greene gab offen zu, dass er Grimme für diesen Posten ausgeguckt hatte, "weil er in der SPD sehr weit rechts stand" und "deshalb sogar für die CDU politisch tragbar war". Grimme war seiner Aufgabe fachlich und menschlich kaum gewachsen. Mitarbeiter wie Axel Eggebrecht oder Ernst Schnabel suchten sehr bald das Weite. Wahrscheinlich wären Sendungen, die heute Jahr für Jahr in Grimmes Namen in Marl preisgekrönt werden, unter seiner Ägide niemals ausgestrahlt worden.
So musste der NWDR in der aufblühenden Bundesrepublik als Sendeanstalt untergehen und anderen Konstruktionen Platz machen, die sich in den Gründungen von WDR, NDR oder SFB dokumentierten. Was aber blieb, war für alle der Leitsatz des Gründervaters Greene, dass die Programme in der gutwilligen Annahme zu planen und zu platzieren seien, "dass sich das Publikum vernünftig benimmt und wählt. Man kann nicht bewusst für Unvernünftige und Dumme planen!"
Peter von Rüden / Hans-Ulrich Wagner
(Hrsg.)
Die Geschichte des NWDR.
Hoffmann & Campe, Hamburg 2005; 464 S., 40,- Euro