Globalisierung ist in den letzten Jahren zu einem populären und polarisierenden Schlagwort geworden. Ökonomen, Politologen und Soziologen haben sich der Globalisierung, ihrer Chancen und Risiken, ihrer Ursachen und Folgen inzwischen ausführlich zugewandt. Einen Aspekt aber haben sie dabei bislang unterschlagen: Die Globalisierung eröffnet auch der illegalen Wirtschaft neue profitable Geschäftszweige und Geschäftswege.
Moises Naim unternimmt den verdienstvollen Versuch, das globalisierte Verbrechen nicht als isolierte Erscheinung zu betrachten, sondern es in den Rahmen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen zu stellen. Er liefert eine anschauliche Analyse über die einzelnen Entwicklungslinien der internationalen Kriminalität - Drogen, Waffen, Menschenhandel, Geldwäsche, Markenpiraterie - und die Kommunikations-, Vertriebs- und Geldtransferwege für die Abwicklung ihrer dunklen Geschäfte.
Organisiert in schwer durchschaubaren, flexiblen und mobilen Netzwerken verständigen sich die globalen Kriminellen via Internet und Kartenhandys. Sie transportieren ihre Waren mit gefälschten Papieren im "Huckepackverfahren" mit legalen Handelsgütern und nutzen oft den bargeldlosen Zahlungsverkehr über Offshore-Märkte. Im Schatten der legalen Weltwirtschaft gedeiht und floriert der globale Schwarzhandel, über dessen tatsächlichen Umfang wir kaum etwas wissen. Noch weniger wissen wir über die Händler und Hintermänner. Und am wenigsten wissen wir, wie sie in ihre Schranken gewiesen werden können.
Das größte Hindernis sieht Naim darin, dass wir drei großen Illusionen erliegen, die die Problemerkennung und damit die Lösung erheblich erschweren. Wer glaubt, das illegale Treiben habe sich erstens kaum geändert, es beziehe sich zweitens nur auf Verbrechen im Sinne normabweichenden Verhaltens und es handele sich drittens um ein Untergrundphänomen, der wird nach der Lektüre dieses Buches eines Besseren belehrt sein.
Der ehemalige Direktor der Weltbank räumt außerdem mit dem nicht minder verhängnisvollen Irrglauben auf, der Nationalstaat könne sich durch protektionistische Alleingänge und Rückwärtsbewegungen gegen die Globalisierung und ihre kriminellen Auswüchse stemmen. Das Gegenteil ist richtig: "Nationalismus ist ein probates Mittel, um sicherzustellen, dass kein Außenstehender die Geschäfte der globalen Kriminellen stört." Es sind nicht etwa die weggefallenen, sondern vielmehr die fortbestehenden Grenzen, die den Verbrechern Verdienstmöglichkeiten bieten - und Schutz vor den Strafverfolgern, für die Grenzen oft unüberwindliche Barrieren darstellen.
Wenn die Staaten im Kampf gegen das globalisierte Verbrechen, an dem sich auch zunehmend Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International beteiligen, die entscheidenden Schlachten gewinnen wollen, müssen sie neue Wege gehen und Bedingungen für internationale behördenübergreifende Kooperationen schaffen. Grenzüberschreitende Probleme, wie es die Machenschaften der flaggenlosen Gesetzesbrecher ohne Zweifel sind, verlangen nach grenzüberschreitenden Lösungen, so der Autor. Die wohl wichtigsten und zugleich schwierigsten Voraussetzungen dafür liegen darin, die Staaten für eine solche Zusammenarbeit zu motivieren, die "Einmischung in innere Angelegenheiten" zuzulassen und Vertrauen zwischen den Behörden aufzubauen. Das kann nur durch einen sorgfältig überwachten und bewusst in Gang gesetzten Prozess gegenseitiger Kontrolle geschehen.
Trotz der düsteren Farben, mit denen Naim das Bild der kriminellen Bedrohung zeichnet und die er in Teilen seiner Problemdiagnose etwas dick aufträgt, verfällt er nicht in Resignation, sondern zählt - nicht ohne einen gewissen Interventionsoptimismus - auf, was bereits unternommen wird, was unternommen werden kann und was unternommen werden muss, um der internationalen Kriminalität wirksam zu begegnen. Vor allem gilt es, so seine Hauptforderung an die Adresse der westlichen Welt, nicht länger nur in moralischer Empörung zu verharren, auch wenn sie angesichts der menschenverachtenden Methoden der Kriminellen zweifelsohne angebracht ist.
Denn Empörung allein blockiert nur die dringend benötigten politischen Innovationen, die schnellstens in Anschlag gebracht werden müssen, um globalisiertes Verbrechen als das zu bekämpfen, was es ist: ein von wirtschaftlichen Anreizen hervorgebrachtes Phänomen.
Moises Naim
Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens. Drogen, Waffen, Menschenhandel, Geldwäsche, Markenpiraterie.
Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer und Helmut Dierlamm.
Piper Verlag, München/Zürich 2005; 405 S., 22,90 Euro