Ein wenig zu kokettieren, das macht sich schick. Ulrich Noll warnt seine FDP schon mal vor Übermut: "Die Frühform ist auch im Sport manchmal kritisch zu sehen", die Wahl sei "noch lange nicht gewonnen". Aber natürlich gefällt es dem Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag, im Blick auf den Urnengang am 26. März Zuversicht zu demonstrieren: "Ich schätze die Ausgangslage sehr gut ein." Die schwäbischen und badischen Liberalen fühlen sich noch immer euphorisiert von ihrem Höhenflug bei der Bundestagswahl, als sie mit 11,9 Prozent das republikweit beste FDP-Ergebnis einfuhren. Mit dem Nein zur Mehrwertsteuererhöhung erhofft sich die Partei um Justizminister Ulrich Goll, ihren politisch wenig kantigen und aufregenden Spitzenkandidaten, zusätzlichen Rückenwind von der Bundesebene. Der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling prophezeit zudem, dass die Liberalen in den Städten von dem Desaster der CDU wegen des nach einem Streit mit einem Bischof demissionierten Sozialministers Andreas Renner profitieren dürften.
Könnte die Südwest-FDP zum Gewinner am 26. März werden - und dies angesichts der CDU-internen Konflikte zu Lasten des Koalitionspartners? Vielleicht sind indes Nolls Mahnungen vor Sorglosigkeit begründeter als es den Liberalen lieb sein dürfte: Eine Umfrage von Infratest dimap sieht die Partei bei enttäuschenden neun Prozent, während Ministerpräsident Günther Oettinger und die Union bei satten 45 Prozent rangieren. Nach dieser Erhebung scheint die SPD mit 29 Prozent der Verlierer zu sein, die Grünen legen wie die FDP leicht auf neun Prozent zu, die WASG/Linkspartei käme auf vier Prozent. Das Leipziger Institut für Marktforschung ermittelte für die CDU gar 49 Prozent, für die SPD 30 Prozent, schlecht kommen bei dieser Umfrage die FDP (acht Prozent) und die Grünen (sieben Prozent) weg.
Nun werden nach der Blamage der Demoskopen am 18. September 2005 Umfragen mit spitzen Fingern angefasst, auch wenn solche Daten durchaus die aktuelle politische Stimmungslage beleuchten können. Die hohen Werte der CDU muten schon erstaunlich an, eine gewisse Vorsicht erscheint jedenfalls angebracht. Immerhin hat Infratest dimap ermittelt, dass nur 37 Prozent der Baden-Württemberger Oettinger für einen guten Ministerpräsidenten halten. Und bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten läge Oettinger mit 43 Prozent nicht sehr weit vor SPD-Konkurrentin Ute Vogt mit 37 Prozent.
Die Union hat den Machtkampf um die Ablösung und die Nachfolge Erwin Teufels noch nicht verdaut. Auch die Renner-Affäre ist eine Folge dieses Risses in der CDU. Ob Lohnkürzung für ältere Arbeitnehmer, späterer Schulbeginn am Morgen, Zwangsgespräche für Eltern mit der Schule: Mit so manchen seiner medienwirksam inszenierten Ideen stößt der Regierungschef bei Betroffenen und in der Öffentlichkeit auf erhebliche Gegenwehr. Auch mit der Sanierung des hochverschuldeten Etats will es nicht recht klappen.
Doch all diese Kalamitäten scheinen der Union nicht zu schaden. Oettinger segelt in Angela Merkels Popularitätshoch. Und landespolitisch dürften sich im "Ländle" auch dieses Mal langfristige Bindungen in der Bevölkerung auswirken. Baden-Württemberg steht wirtschaftlich mit der niedrigsten Arbeitslosenquote im Bundesvergleich nun mal am besten da. Zudem hofiert der heiß umkämpfte Gesinnungstest für Moslems bei Einbürgerungen und das erst jüngst beschlossene Kopftuchverbot in staatlichen Kindergärten das konservative Wahlvolk.
Auf Landesebene braucht die Union die Konkurrenz der FDP nicht zu fürchten, auch wenn Noll tapfer behauptet: "So pflegeleicht, wie die CDU es gerne darstellt, sind wir gar nicht." Innenpolitisch markieren die Freidemokraten kaum liberale Kontrapunkte zur Union, nicht bei der Kriminalitätsbekämpfung, nicht bei der Verschärfung des Jugendstrafrechts, nicht im Kopftuch-Streit. Der Politologe Wehling wundert sich, dass die FDP die Affäre Renner "noch nicht genutzt hat". Und die FDP-Forderung nach mehr Privatisierung ist nicht gerade ein Wahlkampfknüller.
Noch mehr als die Liberalen muss die Opposition das Beharrungsvermögen der Union grämen. Vor allem die SPD tritt landespolitisch auf der Stelle. Ein als Mobilisierungsshow inszenierter Parteitag mit Matthias Platzeck hat den Teilnehmern zwar für einen Tag ein Hochgefühl beschert, trifft aber kaum die Stimmung im Land. Vor fünf Jahren hatte Spitzenkandidatin Vogt mit ihrem Mädchen-Image als Kontrast zum altväterlichen Teufel die Partei mit acht Prozentpunkten Plus noch auf gut 33 Prozent katapultiert. Nun präsentiert sich Vogt als seriöse Politikerin, die Oettinger als unsteten Kantonisten attackiert, der "ohne Orientierung und ohne das notwendige Wertefundament" agiere. Die Regierung jage "zwar viele Themen durchs Land", denke sie aber "an keinem Punkt zu Ende". An solchen Vorwürfen ist viel dran, etwa gegenüber Oettingers Ganztagsschulkonzept, dessen Umsetzung pädagogische und finanzielle Probleme aufwirft. Diese Kritik will im Wahlkampf bislang nicht durchschlagen.
Die SPD leidet auch am Gegenwind aus Berlin. Intern herrscht viel Ärger, dass die Rente mit 67 nun noch schneller kommt und dieses Vorpreschen Franz Münteferings den Wahlkampf stört. Solche gerade Arbeitnehmer verschreckenden Beschlüsse, zu denen auch Kürzungen beim Arbeitslosengeld II für junge Erwachsene gehören, und hohe Erwerbslosenzahlen im Winter könnten der WASG noch etwas Auftrieb verschaffen: Auch wenn die aus Gewerkschaftskreisen stark unterstützte Linke nicht ins Parlament gelangen sollte, so gehen vier bis fünf Prozent in erster Linie zu Lasten der SPD.
Eher in der Defensive sehen sich auch die Grünen, die am 18. September noch auf stolze 10,7 Prozent geklettert waren: Ihnen fehlt wie der SPD eine Machtperspektive. Im Wahlkampf will die Union von schwarz-grünen Spielereien nichts mehr wissen. Auch Andreas Braun, Vorsitzender der Öko-Partei, sagt, solche Perspektiven seien "weiter weg als je zuvor" - was angesichts der Ausländerpolitik der Landes-CDU und Oettingers Forderung nach längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke nicht verwundert. Spitzenkandidat Winfried Kretschmann präsentiert sich als solider Politiker, aber nicht unbedingt als mitreißender Wahlkämpfer. Zudem verspüren auch die Grünen keinen Rückenwind aus Berlin: Im Bundestag fehlt ein klares Oppositionsprofil, überdies macht die BND-Affäre der Ex-Regierungspartei zu schaffen.
Ein Machtwechsel und die damit verbundene Spannung liegen im "Ländle" nicht in der Luft: Gut möglich, dass aus diesem Grund am 26. März die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt.