Alles ist offen im Land zwischen Elbe und Harz. Für kaum eine der bevorstehenden Landtagswahlen gilt diese Prognose so deutlich wie für die in Sachsen-Anhalt. Doch interessant ist der Wahlkampf, den die im Landtag vertretenen Parteien führen. Die jetzige CDU/FDP-Koalition hat echte Probleme. Die Prognosen allein für die Liberalen liegen gegenwärtig nur zwischen sechs und acht Prozent. Vor vier Jahren waren es noch 13,3 Prozent. Offenbar klingt dem Wähler jener allzu kecke Spruch auf den Plakattafeln 2002 für die damalige FDP-Spitzenkandidatin Cornelia Pieper noch in den Ohren: "Höppner geht, die Arbeit kommt". Der Volksmund münzte ihn später um in "Die Arbeit kommt und Pieper geht", als die FDP-Landeschefin in Magdeburg nicht Ministerin wurde und in Berlin neue Aufgaben übernahm.
Sicher ist: Es gibt Fortschritte im Land. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) nennt Daten, Zahlen und Fakten, die belegen, dass sich Sachsen-Anhalt seit 2002 besser entwickelt hat als die meisten Bundesländer. "Sachsen-Anhalt hat die Potenziale und Fähigkeiten, auf die eigenen Füße zu kommen. Wer dieses Land liebt, versucht nicht, es abzuschaffen, sondern seine eigenen Kräfte zu mobilisieren und zu stärken", sagte Böhmer und verweist auf Investitionen von 8,4 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren, verbunden mit 21.500 neuen Dauerarbeitsplätzen. Und der frühere Chefarzt Böhmer stellt mit Freude fest, dass die wirtschaftlichen Daten besser geworden sind und das Land sein "Verliererimage" habe abstreifen können.
Auch bei der Arbeitslosigkeit hat sich Sachsen-Anhalt nicht viel, aber doch um einen Platz im Ranking der Länder verbessert. Mit 20,4 Prozent Arbeitslosigkeit im Januar 2006 hat das Land die jahrelang getragene Rote Laterne als Letzter der Statistik an Mecklenburg-Vorpommern abgeben können. Aber: Selbst für die CDU sieht die Lage nicht rosig aus. Nach letzten Umfragen kommen die Christdemokraten lediglich auf knappe 33 Prozent (2002: 37,3 Prozent). Damit hätte Böhmer ein Problem: Es wird eng für Schwarz-Gelb. Eine Fortsetzung der Koalition wäre unter diesen Bedingungen nicht möglich. Kommt aber künftig Schwarz-Gelb nicht zum Zuge, wäre das erneut die Sternstunde für Rot-Rot? Mit 29 Prozent für die SPD (2002: 20 Prozent) und 23 Prozent für Die Linke.PDS (2002: 20,4 Prozent) könnte es reichen.
In Sachsen-Anhalt ging eine derartige Konstellation vor acht Jahren schon einmal als Magdeburger Modell in die Landesgeschichte ein. Hatte doch von 1994 bis 2002 die sozialdemokratische Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Reinhard Höppner - vier Jahre auch gemeinsam mit den Grünen - nur mit der Tolerierung durch die PDS regieren können. Das Magdeburger Modell blieb allerdings ein besonders in den alten Bundesländern umstrittenes und mit Argwohn betrachtetes Projekt rot-roter Gemeinsamkeit. Viele glaubten in ihm eine Fortsetzung der Politik der untergegangenen SED wahrzunehmen.
"Mit mir wird es in diesem Jahr eine solche Konstellation nicht noch einmal geben", sagt Jens Bullerjahn, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag und SPD-Spitzenkandidat im Gespräch mit "Das Parlament". Die SPD habe im Land die reelle Chance, Erster zu werden. "Dazu müssen wir uns positionieren. Ich habe bewusst vor dem Landesparteitag gesagt, dass ich nach der Wahl zuerst mit der CDU reden werde", sagt der 43-jährige Elektroingenieur aus dem Mansfelder Land. "Selten hat sich eine Opposition schon lange vor der Wahl so klar positioniert und gesagt, was wir nach der Wahl machen werden", so der SPD-Politiker. Viele Gespräche in der Partei hätten ihm dafür Zustimmung signalisiert. Und von 102 Teilnehmern des Parteitages erhielt Bullerjahn mit 100 Stimmen recht deutlichen Rückenwind. "Für ein Zusammengehen mit der Linken.PDS ist diese Partei gegenwärtig nicht koalitionsfähig", sagt Bullerjahn und begründet es auch mit der Stellung der WASG, die kürzlich auf einem Parteitag in Magdeburg den kompletten Landesvorstand kippte. Er habe auch Zweifel, ob die Linken die Vorstellungen zur Haushaltskonsolidierung und die Hartz-IV-Reformen mittragen würden.
Auch Wulf Gallert, Fraktionschef der Partei Die Linke.PDS, sieht zukünftig nicht noch einmal das Magdeburger Modell kommen: "Es war damals ein Tolerierungsmodell. Zur Zeit haben wir aber ein Akzeptanzproblem." Im Gegensatz zu früheren Jahren, wo beide Partner im Magdeburger Modell Mehrheiten zu organisieren hatten, habe man jetzt ein eindeutiges Konkurrenzverhalten untereinander. Inhaltlich sei die Nähe zur SPD allerdings offensichtlich. Die von den Linken im Landeswahlkampf vertretenen Positionen wie längeres gemeinsames Lernen der Kinder in der Schule, Ablehnung von Studiengebühren oder eine Regionalkreisreform mit nur noch fünf statt der von der Landesregierung jetzt vereinbarten und vom Landtag gebilligten elf Landkreise lägen mehr oder weniger dicht bei den SPD-Zielen. "Ich habe aber den Eindruck, die SPD flüchtet als Juniorpartner lieber zur CDU, weil sie sonst ihre Konzepte in der Regierung mit uns umsetzen müsste. Davor haben sie offensichtlich Angst." Gegenwärtig lobe die SPD, so Gallert, die Landesregierung mit Ministerpräsident Böhmer, spreche von vielen so genannten, aber nicht zu belegenden gemeinsamen Schnittmengen mit der CDU, habe zu ihr jedoch viele Unverträglichkeiten. "Damit ist die SPD im Landtag bereit, ihr eigenes Profil aufzugeben", sagt Gallert im Gespräch mit "Das Parlament".
Beispiele für die Unverträglichkeit seien die Haltung zur Mehrwertsteuererhöhung, gegen die sich die SPD im Land bisher vehement gewandt hatte. Auch die vorgeschlagene Politik der Konzentration auf die Wirtschaftsförderung so genannter Leuchttürme sei nicht glaubwürdig. "Die SPD in Sachsen-Anhalt strebt offensichtlich einen Wahlkampf an, um in eine Koalition nach Berliner Muster hinein zu kommen", so der 42-jährige Lehrer aus Havelberg.