Am Anfang dieses Buches steht ein Glaubensbekenntnis des Autors, von Haus aus Ökonom und Redakteur beim "manager magazin". Henrik Müller erklärt, dass er "Vaterlands-Liebe" schwerlich nachempfinden könne. Gleichwohl hat er zwei Begriffe miteinander verknüpft, die auf den ersten Blick so gar nicht zueinander passen wollen. Aber in einer Zeit, in der auch Politik oft ratlos wirkt, machen seine Argumente nachdenklich. Schließlich hat es schon einmal einen großen Wirtschaftspsychologen gegeben, der zeigte, wie man "barfuß durch die Talsohle" kommt. Das war Karl Schiller.
Die "Standortanalyse" zeigt die Richtung an: Wir haben den Glauben an uns selbst verloren, den Glauben an die Leistungsfähigkeit des Landes, den Glauben in die Kraft der Wirtschaft. Das Ergebnis: Die fatalistische Stimmung nährt die Krise, diese nährt den Fatalismus. Ein Teufelskreis. Bis zur eingehenden Begründung nimmt sich Müller im Rahmen der Beschreibung unserer Befindlichkeit noch Zeit. Aber er schickt die Frage vorweg: "Warum fehlt den Bundesbürgern der Mut? Warum waren sie zu jenem kollektiven ,Ruck' nicht fähig, den der damalige Bundespräsident Roman Herzog (...) von ihnen verlangte?"
Die Antwort ist zugleich sein Plädoyer: "Weil Patriotismus im globalen Wettbewerb ein entscheidender Erfolgsfaktor ist und weil es Bundesbürgern eben daran mangelt an einem positiven kollektiven Selbstbild, das in einem Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander und einer emotionalen Bindung an die Nation zum Ausdruck kommt."
Dieses Thema wird weiter ausgeleuchtet, eine historische Rückblende eingeschoben, die die mannigfaltigen Gründe dafür benennt, warum der Deutsche auch hier im Gegensatz zu anderen Nationen einen "Sonderweg" eingeschlagen hat. "Seit dem 19. Jahrhundert verstehen sich die Deutschen als Erwerbs- und Verteilungsgemeinschaft. Reicht das, um auch im 21. Jahrhundert eine erfolgreiche Nation zu sein?" Die Frage ist natürlich rhetorisch, und so lässt es Müller nicht an Begründungen fehlen, um seine These zu stützen. Über die aktuellen Bemühungen, die Bundesbürger mit Phrasen wie "Du bist Deutschland" zu beglücken, ist er allerdings nicht glücklich: "Wir müssen unseren eigenen Weg finden."
Die Tragödie der Allmende ist jenseits aller Marktversagenserklärungen, die der Autor spannend und verständlich beschreibt, ohne oberflächlich zu werden, eine wunderbare Parabel zum Thema. Das Beispiel zeigt, dass auch bei vernünftigem wirtschaftlichem Handeln der gemeinsame Ruin drohen kann, wenn die Einzelnen (hier die Bauern) keinen Blick für das Ganze haben und sich auf ein kollektives Handeln verständigen. Auf der Suche nach der verlorenen kollektiven Identität wird Hans-Ulrich Wehler zitiert: "Es hebt das Selbstbewusstsein und stärkt das Identitätsgefühl, wenn mit dem Solidarverband, dem man angehört, außer Schutz und Hilfe auch Ansehen und Geltung verbunden sind." Dass andere Staaten ihren wirtschaftlichen Erfolg diesem "Umstand" verdanken, belegt der Autor eindringlich.
Doch die deutsche Nation war und ist tabubeladen. Hier stellt Henrik Müller einen guten Wegweiser auf: "Die Regionen bieten dem gerade in der Ära der Globalisierung vagabundierenden Bedürfnis nach Heimat eine historisch unbelastete Alternative (...). Wenn sich die Deutschen darauf besinnen, könnten sie erfolgreicher und wohlhabender sein. Vor allem: Sie könnten sich besser fühlen."
Fazit: Eine Lektüre, deren Verbreitung man sich wünscht, weil sie neben ausführlichen Zustandsbeschreibungen unseres "Gemeinwesens" glaubhaft dafür plädiert, dass eine intakte nationale Identität entscheidende ökonomische Vorteile bietet. "Es sind Nationen, die sich im weltweiten Wettbewerb als Kollektive behaupten müssen, indem sie Investitionen, Jobs und hochqualifizierte Arbeitsplätze an sich binden." Wohl war!
Henrik Müller:
Wirtschaftsfaktor Patriotismus.
Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2006; 237 S., 19,90 Euro