Jetzt hat einer das Buch zum Schlagwort geschrieben: Franz Münteferings Heuschrecken-Vergleich zur Charakterisierung des Kapitalismus in Zeiten globalisierter Finanzmärkte folgt die Geschichte von der Invasion der Heuschrecken. Geschrieben hat sie ein prominentes Opfer dieser Invasion: Werner G. Seifert, bis Mai 2005 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse AG. Seifert erzählt zusammen mit seinem Ko-Autor, dem Wirtschaftsprofessor Hans-Joachim Voth, wie er und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Börse, Rolf-E. Breuer, die Übernahme der renommierten britischen Börse London Stock Exchange (LSE) planten, von eigenen Minderheitenaktionären, den viel zitierten Hedge Fonds, ausgebremst wurden und schließlich selbst den Hut nehmen mussten. Das schlagzeilenträchtige Scheitern löste die Heuschrecken-Debatte um das Verhalten dieser Finanzinvestoren aus, die aus der Sicht der Autoren zum Angriff auf die "Deutschland AG" und damit auf die traditionellen Konzernverflechtungen und auf die deutsche Art der Unternehmensführung ("Corporate Governance") geblasen haben.
Der gebürtige Schweizer Seifert, aus dem Stall der Unternehmensberatung McKinsey, Pfeifenraucher und optisch immer etwas an seinen berühmteren Landsmann Max Frisch erinnernd, kam auf Wunsch Breuers 1993 zur Deutschen Börse und hat sie innerhalb von zwölf Jahren in die komfortable Lage gebracht, dass das Traditionsunternehmen LSE ein Übernahmekandidat wurde. Akribisch schildert Seifert, der heute mit seiner Band "X-Change" Jazzmusik macht, wie Investmentfonds, die unter zehn Prozent des Aktienkapitals hielten, durch gezieltes Störfeuer die Übernahme torpedierten und letztlich den Rücktritt Seiferts und Breuers erzwangen.
Was wollen diese Hedge-Fonds? Seifert: "Äußerst geschickt schaffen sie es, durch finanzielle Druckmittel und raffinierte Nachrichtenstreuung die De-facto-Kontrolle in einem Unternehmen zu übernehmen. Sie fügen den Unternehmen, über die sie herfallen, irreparablen Schaden zu - daher ist der Vergleich mit Heuschrecken so passend, wie er sich in Deutschland mittlerweile eingebürgert hat. Die Absichten dieser Anleger sind zumeist kurzfristiger Natur. Sie verfügen über nur begrenzte Betriebswirtschaftskenntnisse und sind selten daran interessiert, ein Unternehmen selbst zu führen."
Dramaturgisch geschickt richtet der Autor den Scheinwerfer auf einen Londoner Fonds, The Children's Investment Fund (TCI), der als eigentlicher Anstifter identifiziert wird. Hinter diesem Fonds steht der öffentlichkeitsscheue Christopher Hohn, noch keine 40 Jahre alt, den Seifert als trickreichen, aber unfairen Gegenspieler wahrnimmt und der in diesem Spiel mit verdeckten Karten schließlich die Oberhand behält. Eine High-Noon-Story aus dem Frühjahr 2005 mit Showdown in der Londoner Clifford Street, dem Sitz von TCI. Ein Wirtschaftskrimi, bei dem - in der Lesart der Autoren - die Anständigen verloren haben. Seifert geizt daher auf den letzten Seiten auch nicht mit wohlmeinenden Ratschlägen, wie solche Hasardeure künftig in die Schranken gewiesen werden können.
Das Buch präsentiert sich bestsellergerecht: Fachjargon nur, soweit unbedingt nötig, und dann auch immer verständlich erklärt; kurzweilig, anschaulich, streckenweise sogar mitreißend geschrieben; herrlich subjektiv, das Börsenparkett "menschelt", eine Lektüre auch für die U-Bahn und den Strandkorb. Und ein Einblick in die Welt der Hochfinanz, in der die Intrigen heute per E-Mail gesponnen und die Aufsichtsratsgremien durch gezielte Desinformation auseinander dividiert werden.
Werner G. Seifert mit Hans-Joachim Voth:
Invasion der Heuschrecken.
Intrigen - Machtkämpfe - Marktmanipulation.
Econ-Verlag, Berlin 2006; 266 S., 19,95 Euro