Das Parlament: Herr Bartsch, sind Sie mit Verlauf und Ergebnissen des Parteitages der Linkspartei in Halle zufrieden?
Dietmar Bartsch: Ich bin sehr zufrieden, sowohl mit dem Verlauf als auch mit den politischen Ergebnissen. Wir haben an die Öffentlichkeit die von uns gewollten Signale gesandt. Auch vom Ablauf her ist alles im Wesentlichen so aufgegangen, wie wir das geplant haben. Einen vollkommen "durchgestylten" Parteitag wird es bei der Linkspartei nicht geben…
Das Parlament: Welche Signale wollten Sie aussenden?
Dietmar Bartsch: Wir wollten die Kampagne für den Mindestlohn gemeinsam mit der WASG starten. Zweitens wollten wir uns mit der Politik der Großen Koalition auseinandersetzen. Dann wollten wir die Ziele fürs nächste Jahr benennen und schließlich auch noch einen neuen Vorstand wählen.
Das Parlament: Sie hatten vom Parteitag der WASG in Ludwigshafen klare Signale erwartetet, haben Sie die bekommen?
Dietmar Bartsch: Die WASG hat die notwendigen Dinge, sprich das Bekenntnis für die gemeinsame Parteineubildung, beschlossen. Das beruhigt mich, aber so wenig wie ich im Vorfeld die Stimmung als dramatisch angesehen habe, so wenig verfalle ich im Nachgang nun in einen solchen Enthusiasmus, dass ich sage, alles ist gelaufen. Wir werden sehr schnell wieder vor neuen Schwierigkeiten stehen.
Das Parlament: Was ist neu an der Neuen Linken, wenn man bedenkt, dass die einen aus der alten SED entwachsen sind und die anderen aus der alten SPD kommen?
Dietmar Bartsch: Wir wollen viele andere einladen, mitzutun. Eine gesamtdeutsche linke Partei ist wohl das spannendste Projekt in ganz Deutschland, weil es hier noch viele Möglichkeiten der Mitgestaltung gibt. Entscheidend wird sein, wie wir die neuen Herausforderungen programmatisch ausfüllen, dass wir Antworten auf die dringendsten gesellschaftlichen Fragen geben. Ich denke da beispielsweise an die Krise der sozialen Sicherungssysteme.
Das Parlament: Welches sind die programmatischen Knackpunkte zwischen Linkspartei und WASG?
Dietmar Bartsch: Zwei wesentliche Punkte sind der demokratische Sozialismus, der ja in unserem Parteinamen enthalten und eine zentrale Frage ist, sowie der Weg zu einer anderen Gesellschaft. Selbstverständlich auch die Frage der Regierungsbeteiligung. Die WASG ist sehr gewerkschaftsgeprägt, Verteilungsfragen spielen dort eine große Rolle. Für mich persönlich ist sehr wesentlich, dass das Ziel des demokratischen Sozialismus erhalten bleibt.
Das Parlament: Sie bleiben also dabei: Sie wollen eine andere Gesellschaft?
Dietmar Bartsch: Ja, wir wollen die Gesellschaft verändern in eine bestimmte Richtung.
Das Parlament: Sind Sie sich bewusst, dass Sie sich mit der Fusion die Probleme, Debatten, Diskussionen, die die PDS in den 90er-Jahren hatte und geglaubt hatte, längst überwunden zu haben, jetzt wieder ins Haus holen?
Dietmar Bartsch: Es ist einfach so, dass bestimmte Debatten, die wir Anfang der 90er-Jahre hatten, bei der WASG jetzt auch geführt werden. Das ist aber in einem Parteineubildungsprozess normal. Man muss sich auf den Weg machen. Jegliche Form der Arroganz ist da fehl am Platze. Wir alle werden uns verändern müssen und wollen das auch. Die wirklichen Schwierigkeiten werden noch kommen.
Das Parlament: Welche Rolle spielt die kulturelle Differenz zwischen Ost und West?
Dietmar Bartsch: Ich setze mich nachhaltig dafür ein, dass die 15 Jahre PDS-Geschichte nicht zur Seite gelegt werden. Wir wollen unsere Identität erweitern. Das ist ein Prozess, den wir annehmen müssen. Das kann man nur leben, das kann man nicht beschreiben. In der Fraktion klappt das übrigens ziemlich gut, obwohl wir merken, dass die Herangehensweisen unterschiedlich sind.
Das Parlament: Woher nehmen Sie den Optimismus, nachdem die Westausdehnung der PDS auch nach 15 Jahren als gescheitert anzusehen ist, Sie aber den Vereinigungsprozess in zwei Jahren schaffen wollen?
Dietmar Bartsch: Was den Westaufbau der PDS betrifft, ist das wohl wahr. Wir haben uns in den alten Bundesländern sehr engagiert, wir haben auch einzelne Erfolge erreicht, vor allem im kommunalen Bereich. Die Wahlergebnisse waren trotz mancher gutbesuchter Veranstaltungen im Null-Komma-Bereich. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Die Westdeutschen haben uns immer mehr als eine ausländische, als eine komische Partei betrachtet. Das konnten auch einige prominente Mitglieder und Sympathisanten nicht ändern. Jetzt ist die Situation anders. Vor allem gibt es eine neue Aufgeschlossenheit bei den Gewerkschaften. Das macht mich zuversichtlich, aber die Bäume wachsen nicht schnell in den Himmel, wie die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bewiesen haben.
Das Parlament: Linkspartei und WASG sind ein ungleiches Paar. Sie wollen auf Augenhöhe fusionieren. Wie soll das geschehen angesichts des ungleichen Kräfteverhältnisses, unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und Traditionen?
Dietmar Bartsch: Das ist keine arithmetische Frage. Wir können ja nicht erst dann fusionieren, wenn die Mitgliederzahl gleich ist. Eine Partei neu zu bilden ist eine politische Frage. Die entscheidende Frage ist, dass man politisch gleichberechtigt, also auf Augenhöhe, agiert.
Das Parlament: Die WASG ist möglicherweise ein kurzatmiges Projekt, das der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen geschuldet ist. Woher nehmen Sie den Optimismus, an die Nachhaltigkeit einer neuen Linkspartei zu glauben?
Dietmar Bartsch: Optimismus ist, glaube ich, eine elementare Voraussetzung für so einen Prozess; da gibt es ja keine Gewissheit. Sicherlich ist die Entstehungsgeschichte der WASG unmittelbar verbunden mit der Agenda 2010-Politik und Hartz IV. Da haben sich Menschen auf den Weg gemacht, es gibt noch keine festen Strukturen. Das Unfertige der WASG sehe ich als Chance.
Das Parlament: Läuft das ganze Projekt letztendlich nicht auf eine Ost-West-Arbeitsteilung hinaus: Die WASG hat im Osten keine Chance, dort hat die PDS die Milieus besetzt; im Westen ist die PDS nach wie vor ein Fremdköper.
Dietmar Bartsch: Das ist keine Arbeitsteilung, sondern zunächst eine objektive Beschreibung. Wir waren immer die Ostinteressenvertretung. Das war so und wird so bleiben. Hier sind wir stark. Die WASG hat sich zunächst in den alten Ländern gegründet. Die neue linke Partei wird gemeinsam agieren müssen. Da gibt es sicherlich noch ein gewisses Konfliktpotenzial. Es ist nicht billiger zu haben.
Das Parlament: Lafontaine meinte, die Fusionsbewegung hätte an Schwung verloren. Teilen Sie diese Ansicht?
Dietmar Bartsch: Ich habe weder Äußerungen, wonach der Schwung nun raus sei, ganz geteilt, noch teile ich die Euphorie nach den Parteitagen ganz. Klar war am Anfang ein anderer Schwung. Das ist in Wahlkämpfen immer so. Jetzt sind wir in den Mühen der Ebene. Wir dürfen nur die Gipfel nicht aus den Augen verlieren.
Das Parlament: Heißt das, dass der Zeitplan für die Fusion forciert werden sollte?
Dietmar Bartsch: Wir haben verabredet, dass Mitte nächsten Jahres der Endpunkt ist. Da hat ja niemand ausgeschlossen, dass wir eventuell auch früher zu dem Ergebnis kommen. Meine Auffassung ist die, wenn man programmatisch und statuarisch einigermaßen Sicherheit hat, dann kann man das auch vollziehen mit der neuen Partei. Ich kann mir das durchaus auch schneller vorstellen als der damalige Zeitplan es vorsah. Aber das müssen beide Partner wollen.
Das Parlament: Können Sie sich Lafontaine als einen neuen Vorsitzenden vorstellen?
Dietmar Bartsch: Diese Frage stellt sich im Moment nicht. Wie Sie wissen, haben wir gerade Lothar Bisky als Vorsitzenden wiedergewählt. Und es ist gut, dass er es ist.
Das Interview führte Heinrich Bortfeldt