Freudetaumelnd lagen sich "Wessis" und "Ossis" in jener historischen Nacht, als die Mauer fiel, in den Armen und feierten ihre neue alte Zweisamkeit. Am 9. November 1989 schien sie zum Greifen nah zu sein, die Einheit auch in den Köpfen.
Zwei Jahre später herrschte Katerstimmung in Deutschland: "Wirtschaftskatastrophe im Osten", "Spirale in den Bankrott", titelten die Zeitungen und prangerten an, was kein Bonner Politiker mehr als bloße Konjunkturflaute abtun konnte: Drei bis vier Millionen Arbeitslose seien im Sommer zu erwarten, hieß es, und die Pleitewellen nähmen kein Ende. Geschehe nichts, drohe Mitte des Jahres der Zusammenbruch im Osten, gab sich der damalige Arbeitsminister in der schwarz-gelben Regierungskoalition, Norbert Blüm, wenig optimistisch. "Zieht der Osten den Westen womöglich mit in die Krise?", fragte der "Spiegel" ähnlich besorgt.
Tatsächlich lastete die Wiedervereinigung schwer auf der Republik: Das Missverhältnis zwischen wachsenden Ausgaben und ausbleibenden Einnahmen war nicht mehr länger zu schultern, eine weitere Verschuldung nicht zu verantworten. Immerhin stand die Bundesrepublik damals mit circa 140 Milliarden Mark in der Kreide. Die Zusage der alten Länder, den Osten früher als geplant an den Umsatzsteuereinnahmen zu beteiligen, reichte bei Weitem nicht aus. Deshalb beschlossen die Regierungsparteien aus CDU und FDP gegen die Stimmen der Opposition am 14. Mai 1991, dass die Bürger ihre Solidarität künftig auch auf dem Steuerzettel unter Beweis stellen sollten: Das so genannte Solidaritätsgesetz forderte von den Bundesbürgern einen auf ein Jahr befristeten Zuschlag von 7,5 Prozent auf die monatliche Lohn-, Einkommens-, und Körperschaftssteuer. Darüber hinaus wurden die Mineralöl- und Versicherungssteuer sowie die Tabaksteuer angehoben. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) versprach sich davon einen zusätzlichen Geldsegen von 17 Milliarden Mark 1991 und 27 Milliarden Mark für 1992.
Als "Mittelbeschaffungsgesetz" bezeichnete Werner Schulz von den Grünen jedoch das Gesetz vor der Abstimmung im Bundestag und fügte hinzu: "Ich verstehe unter Solidarität etwas anderes, dass nämlich diejenigen, die haben, denen geben, die nichts oder nur wenig haben." Auch der damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine betonte, er hätte lieber nur die Besserverdienenden zur Kasse gebeten. Das Gesetz der Koalition brandmarkte er als "größtes Täuschungsmanöver in der Geschichte der Bundesrepublik".
"Keine Steuererhöhung zur Finanzierung der Deutschen Einheit" hatte es in der Tat vor der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 geheißen. Dann aber schnürte die Koalition das große Steuerpaket schon bald mit dem Verweis auf unvorherzusehende Mehrausgaben. Begründung: die notwendige finanzielle Unterstützung der Mittel-, Ost- und Südosteuropas auf ihrem "Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie". Darüber hinaus trieb der Golfkrieg nicht nur die Ölpreise in die Höhe: Deutschlands Mitgliedschaft in der westlichen Staatengemeinschaft verlangte aus Sicht der Regierenden außerdem, zumindest einen finanziellen Beistand für Friedenschaffende Maßnahmen im Nahen Osten. Als letzter Tropfen kullerte dann auch noch die Wiedervereinigung in das Fass und brachte es zum Überlaufen. Das laute Versprechen aus dem Wahlkampf mutierte zum vorlauten Versprecher.
Angesichts der großen Probleme sehe er keine "Alternative", gestand Waigel schließlich ein. Es sei eine "Wahl zwischen Pest und Cholera" fand auch der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Otto Graf Lambsdorff. Bisher konsequenter Gegner jeder Steuererhöhung, musste er schließlich verkünden, dass Subventionskürzungen nicht die nötigen Mittel für die "Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse" mobilisieren würden. Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Hermann Otto Solms, tröstete die Wähler mit der Zusage, "den Pfad der finanziellen Tugend nur vorübergehend zu verlassen." Da jedoch stand die Mehrwertsteuererhöhung, die bald wegen der EG-Harmonisierung angeblich fällig werden würde, auf einem anderen Blatt.
Das Solidaritätsgesetz landete zunächst im Vermittlungsausschuss, nachdem die SPD bei der Wahl in Rheinland-Pfalz in Führung ging und die Mehrheit im Bundesrat erhielt. Es trat jedoch am 1. Juli in Kraft. Weil auch nach dem Auslaufen der Ergänzungsabgabe die Landschaften im Osten noch nicht so recht blühen wollten, wurde 1993 wieder ein Solidaritätszuschlag von diesmal 5,5 Prozent der Lohn-, Einkommens-, und Körperschaftsschuld beschlossen. Im Gegensatz zu 1991 war er aber unbefristet.