Einmal nur haben deutsche Fußball-Fans sich bislang zehntausendfach darauf geeinigt, den Bundestrainer Jürgen Klinsmann gemeinsam zu belobigen. Das war im vergangenen Juni in Leipzig. Deutschland gewann im Spiel um Platz drei beim Confederations Cup 4:3 gegen Mexiko. Es war ein aufregendes Spiel. Und so kamen die Menschen überein, dem Klinsmann auch verbal seinen Anteil am schönen Unterhaltungsprogramm zukommen zu lassen. Hinterher haben die Spieler ein Spruchband durchs Stadion geschleppt und sich bei den Fans für deren Unterstützung bedankt. Diese Marketing-Aktion in eigener Sache, ersonnen von Klinsmanns (auch vom Deutschen Fußball-Bund bezahlten) Medienberater Roland Eitel und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, erwies sich als gelungen. Das schöne Bild fand sich vielspaltig in den Tageszeitungen wieder. Es war ein lauer Sommerabend, und jeder, der dann irgendwann entrückt nach Hause gegangen ist oder mit Freunden noch ein Bierchen im Barfußgässchen kippte, hat sich auf die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr gefreut. Niemand neidete Klinsmann in dieser Nacht die 300 Sonnentage an der kalifornischen Küste.
Mittlerweile haben die Menschen hier mühevoll einen endlos scheinenden Winter überstanden und gieren verbissen nach jedem Sonnenstrahl, der sich durch die Wolken kämpft. Der Nationalmannschaft geht es genauso: Der Winter war hart. Aber schon sehr bald, am 16. Mai, bricht man auf ins Nobel-Camp nach Sardinien, danach sogleich weiter nach Genf. Auf der Sonneninsel sollte ursprünglich die Regeneration für Kopf und Knochen im Mittelpunkt stehen: Mountainbiken, Backgammon, gutes Essen.
Längst aber dünkt den Verantwortlichen aus Klinsmanns "inner circle", dass die Zeit drängt. Co-Trainer Joachim Löw, der engste Vertraute des Bundestrainers, hat deshalb schon einmal prophylaktisch darauf aufmerksam gemacht, dass es in unmittelbarer Nähe der Fünf-Sterne-Herberge selbstverständlich einen Trainingsplatz gibt. Das ist auch gut so. Denn bei nüchterner Betrachtung gestaltet sich die Suche nach Gründen, weshalb diese deutsche Mannschaft einen Anspruch auf den Titel haben sollte, als ausgesprochen schwierig. Klinsmann hat das große Ziel, vermutlich beraten von seinen beiden einflussreichen Geschäftspartnern in den USA, unmittelbar nach seinem Amtsantritt im August 2004 formuliert. Hans-Dieter Hermann war seinerzeit noch nicht als Team-Psychologe für die Nationalspieler engagiert worden, aber er sagt im Nachhinein, Klinsmann habe das so genau richtig gemacht. "Er hat ein Ziel gesetzt, das konkret ist, aber nicht utopisch."
Dem großen Einmaleins der Motivationsschulung stehen Zahlen gegenüber, die eine geringere Erwartungshaltung realistischer erscheinen lassen. Zahlen, für die Klinsmann nichts kann. Er hat mit einigem Recht auf das Dilemma hingewiesen, dass er in der Bundesliga aus kaum 70 Kandidaten mit der Spielberechtigung für die deutsche Nationalmannschaft auswählen muss. Im Ausland spielen außer den beiden Wahl-Londonern Robert Huth (FC Chelsea) und Jens Lehmann (Arsenal) keine Deutschen mit Perspektive für diesen Sommer. Zum Vergleich: Aus Brasilien wechselten 2005 allein 878 Spieler ins Ausland. Niemand soll behaupten, das hätte alleine mit mangelnder Wirtschaftskraft des brasilianischen Fußballs zu tun. Im DFB sind 6,3 Millionen Fußballspieler organisiert - allein 1,4 Millionen sind unter 14 Jahre alt. Aber es kommen aus dieser Masse viel zu wenige oben an, noch nicht einmal zum Export.
Klinsmann wird also am 14. Mai Männer in seinen Kader berufen, die in ihren Klubs als Wackelkandidaten gelten, eine schwache Rückrunde gespielt haben oder gar zu Ersatzspielern degradiert wurden: Huth aus London, Metzelder aus Dortmund, Owomoyela aus Bremen, Mertesacker aus Hannover, Podolski aus Köln, Schneider aus Leverkusen, Ernst von Schalke 04, Friedrich aus Berlin, Schweinsteiger aus München, den Wolfsburger Hanke vielleicht oder den Stuttgarter Hitzlsperger. Man sieht: Der Bundestrainer wird nicht auf ein stämmiges Gerüst bauen. Es gibt - zumal nach der Degradierung von Kahn und der schweren Knieverletzung von Deisler - trotz Ballack, Lahm, Schweinsteiger keine eingespielte Bayern-Fraktion. Werder Bremen schickt neben dem gesetzten Klassestürmer Klose mit Owomoyela und Borowski zwei Ergänzungsspieler, genau wie Schalke mit Asamoah und Ernst. Der Hamburger SV schickt niemanden. Mehr Spitzenmannschaften gibt es in Deutschland derzeit nicht.
Jürgen Klinsmann und Joachim Löw setzen deshalb alles darauf, aus all den Einzelstücken in den beiden Trainingslagern ein stimmiges Ganzes zu formen. "Wir werden", sagt Löw, "vor allem in Genf knallhart arbeiten", zehn Tage lang, vom 21. bis zum 30. Mai. Der einflussreiche Assistent hat im vergangenen Herbst darauf hingewiesen, dass in der Bundesliga zu wenig Tempofußball gespielt werde und dass das im modernen Spitzenfußball inzwischen entscheidende Umschalten im höchsten Speed nach Balleroberung nicht den internationalen Anforderungen genüge.
Die Kritik ist nicht gut angekommen bei den Verantwortlichen in der Liga. Aber sie ist berechtigt. Nur: Zehn Tage sind eine schrecklich kurze Zeit, um die inzwischen in etlichen Testspielen gescheiterte konsequente Vorwärts-Strategie Erfolg versprechend einzuüben.
Das Trainerduo Klinsmann und Löw steht vor einer Herkulesaufgabe. Gemeinsam mit Oliver Bierhoff und Torwarttrainer Andreas Köpke arbeiten sie darum intensiv daran, der Mannschaft psychologisch Halt zu geben. Das Miteinander soll funktionieren, äußere Einflüsse, vor allem durch die Medien, möglichst gering gehalten werden. Das Teamhotel im Berliner Grunewald, das am 5. Juni, nach weiteren Testspielen gegen Luxemburg (27.5. in Freiburg), Japan (30.5. in Leverkusen) und Kolumbien (2.6. in Mönchengladbach) und zwei freien Tagen bei der Familie gemeinsam bezogen wird, ist hermetisch abgeriegelt.
Zusätzlich zur Team-Lounge, die unter Klinsmann eingeführt wurde, wird es im Garten des Schlosshotels eigens vom DFB eingerichtete Treffpunkte geben. "Die Spieler sollen sich wohl fühlen", sagt Manager Bierhoff. Dazu gehört auch, dass die Ehefrauen mit VIP-Tickets versorgt werden und Medienvertreter keinen Zugang zum Hotel erhalten. Denn Klinsmann ist klug und erfahren genug, die von dem Münchner Medien-Wissenschaftler Josef Hackforth ausgerufene "gemeinsame Publizistik" für das nationale Anliegen als reichlich weltfremd einzustufen. Nicht nur "Bild" und "Sportbild" werden da nicht mitmachen.
Die Pressekonferenzen hat der Deutsche Fußball-Bund ins kaum mehr als zehn Autominuten vom Schlosshotel entfernte ICC ausgelagert und erwartet dort täglich zwischen 200 und 600 Journalisten. Bis zu fünf TV-Sender werden die - in der Regel wenig informativen - Veranstaltungen live ausstrahlen. Rechtekosten fallen nämlich nicht an, die Quoten über die Mittagszeit waren bei der Europameisterschaft in Portugal ansehnlich.
Die Trainingseinheiten auf dem Gelände von Hertha BSC Berlin oder im Mommsenstadion werden auch für Medienvertreter zum großen Teil nicht zugänglich sein. Laut FIFA-Anordnung muss der DFB jedoch ein öffentliches Training durchführen. Oliver Bierhoff wird dabei besonderen Wert auf einen reibungslosen Ablauf legen: Bei der verkorksten Europameisterschaft 2000 hatte der ehemalige Mittelstürmer sich bei einem öffentlichen Training in der Nähe von Aachen einen Muskelfaserriss in der Wade zugezogen, weil tausende Fans mit Autogrammwünschen das Aufwärmtraining gestört hatten.
Jan Christian Müller ist Redakteur der "Frankfurter Rundschau".