Über andere Auswirkungen der WM auf deutschem Boden sind sich Ökonomen jedoch ziemlich uneins. Über drei Millionen Besucher sollen zu 64 Spielen der 32 teilnehmenden Nationen kommen. Die Landesbank Rheinland-Pfalz schätzt, dass die vierwöchige Veranstaltung das Bruttoinlandsprodukt um immerhin 0,3 Prozentpunkte hochschraubt. Auch Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, zeigte sich bereits optimistisch. Deutschland bekomme "quasi von der Weltwirtschaft eine Marketingaktion ohnegleichen geschenkt". Besucher würden "ihre mitgebrachten und zugekauften Koffer bis zum Rand füllen". Fans aus dem In- und Ausland werden nach Schätzungen der Landesbank während der Meisterschaft rund 1,5 Milliarden Euro ausgeben. Die Deutsche Zentrale für Tourismus sieht einen doppelt so hohen Umsatzzuwachs voraus.
Die Bundesagentur für Arbeit erwartet zur Fußball-WM im Sommer 60.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Die Hälfte dieser Beschäftigten werde nach der WM wohl weiter beschäftigt, erwartet Vorstandsmitglied Heinrich Alt. Große Nachfrage nach Arbeitskräften bestehe vor allem in der Gastronomie und bei Wachdiensten: "Das Geschäft mit der WM läuft gut."
Andere denken, dass die Zahl der Gewinner eher begrenzt ausfällt. "Die Euphorie ist völlig überzogen", sagt Gert Wagner, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die Fußball-WM kann ein großer Spaß werden, aber der Wirtschaftsstandort Deutschland wird dadurch nicht gerettet." Auf die gesamte Wirtschaft bezogen, sei es ein zu kleines Ereignis. Auch seien Investitionen etwa in Stadien und andere Bauten schon über Jahre geflossen. Zwar seien mehr Touristen zu erwarten, andere verlegten ihre Reise aber gerade wegen der vielen Fans. "Und wer zur WM mehr Bier trinkt, hat anschließend weniger Geld in der Tasche", sagt der DIW-Ökonom. Wagner rechnet zwar mit zusätzlich einigen Zehntausend Arbeitsplätzen. Diese Jobs existierten aber nur zeitweise. Teils würde die Nachfrage nicht einmal von einheimischen Kräften bedient: "Die Sex-Industrie um die WM herum ist dafür ein Beispiel."
Volkswirt Gernot Nerb vom Münchener Ifo-Institut hält nicht einmal das Abschneiden des deutschen Teams für folgenreich. Bei der WM 1954 in der Schweiz, als die deutschen Kicker Weltmeister wurden, habe sich das Geschäftsklima hier zu Lande schon verbessert, sagt er. Allerdings habe sich bei der WM 1974 im eigenen Land und trotz Titelgewinns nicht viel bewegt. Damals herrschte Rezession. "Meine Folgerung ist, dass eine WM einen Verstärkereffekt hat", sagt Nerb. "Sie bewirkt nur was, wenn sich schon ein leichter Aufwärtstrend zeigt."
Eindeutige Profiteure sind die Catering-Branche, Gaststätten und Hotels. Medienfirmen werden zulegen: 40.000 Stunden Übertragung in fast allen Ländern der Welt sind geplant. Hohe Quoten sind garantiert und das treibt Werbepreise in die Höhe. Außerdem werden Spiele zumindest in Deutschland im 16:9-Format ausgestrahlt. Echte Fans müssen also einen neuen Fernseher kaufen, wenn sie die Spiele in vollem Umfang genießen wollen. Aber oft wirkt ein solcher Konsum-Boom durch Fußball nicht nachhaltig. Wagner nennt ein Beispiel: "Wenn vor der WM beispielsweise mehr Flachbildschirme verkauft werden, werden sie anschließend nicht mehr gekauft."
Auch Sportartikelhersteller rechnen mit einem extra Geschäft. Der WM-Ball und die Schuhe, mit denen Michael Ballack und vielleicht Kevin Kuranyi für den Gastgeber Tore schießen sollen, werden weltweit einige Milliarden einbringen. Das gilt auch für die Zeit vorher und nachher. Allein Marktführer Adidas will im WM-Jahr mit Fußball 1 Milliarde Euro Umsatz machen.
Manche halten aber sogar negative wirtschaftliche Folgen des Kicker-Ereignisses für denkbar. Als Spielverderber darf die Ruhr-Universität Bochum gelten. In einer Studie errechneten Wissenschaftler die gesellschaftlichen Investitionen für 2003 bis 2015. Das berücksichtigt sowohl Einnahmen als auch Kosten - vom Stadienbau bis zur Sicherheit. Das Ergebnis: Investitionen und zusätzliche Konsumausgaben führen zu einer höheren Wirtschaftsleistung von maximal 3,4 Milliarden Euro. Wahrscheinlicher sind nur 1,5 Milliarden Euro, verteilt auf einige Jahre. Je nachdem könnte es für den Staat auch ein Verlustgeschäft werden. DIW-Ökonom Wagner weist auf den Fall hin, dass Sicherheitslücken zum Problem werden. "Wenn es zu einem massiven Terror-Anschlag kommen sollte", wirke sich das negativ auf die Wirtschaftsleistung insgesamt aus.
Doch das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) wirft einen kritischen Blick auf die WM. HWWI-Ökonom Henning Vöpel bemängelt, dass eine schlechte Organisation Impulse verhindere und sogar ein Imageschaden drohe. Er hält Prognosen über einen Wachstumsschub von einem halben Prozentpunkt für die deutsche Wirtschaft für "maßlos überzogen". Zusätzlich aber findet Vöpel, dass die WM-Organisatoren durchaus mehr Dynamik entfachen könnten. "Das ist eine Chance, der Welt zu zeigen: Deutschland ist in der Lage, ein Event wie die WM reibungslos zu organisieren." Diese Chance werde verspielt, etwa bei der Ticketvergabe, wo fast zwei Drittel der Tickets an Sponsoren gegangen seien. Andere Mängel aus Sicht des HWWI: etwa bauliche Mängel an WM-Stadien und die kurzfristige Absage der Eröffnungsveranstaltung. Auch die Debatten um Trainer Jürgen Klinsmann trügen nicht zu einem positiven Bild bei.
Bleibt noch zu bewerten, ob sich etwa ausgiebiges WM-Gucken am Arbeitsplatz negativ auf die Produktivität auswirkt. Hier geben die Ökonomen Entwarnung. Die Spiele lägen relativ spät am Tag. Zudem werde dann eher vor- und nachgearbeitet, sagt Ifo-Volkswirt Nerb. Ökonom Vöpel: "Wenn es einen Ausfall gibt, ist der sicher nicht so gravierend. Einige werden ihre Arbeitszeiten einfach verlagern."
Die Ökonomen denken bereits über die WM hinaus. Wollten die Deutschen auf lange Sicht beim Fußball vorne mitmischen, müssten sie anders investieren, argumentiert die Deka-Bank augenzwinkernd. Die Ökonomen untersuchten Analphabetenrate sowie Anteil der Schüler und Studenten. Nationen mit niedrigem Bildungsniveau schnitten beim Kicken so gut ab wie Länder mit höherem Ausbildungsstand. Also folgern sie: "Will Deutschland auch in Zukunft eine große Fußballnation bleiben, muss es sich wohl oder übel von Spitzenförderung und Elite-Universitäten verabschieden und stattdessen den Bau von Bolzplätzen fördern."
Cordula Tutt ist Politik-Korrespondentin der "Financial Times Deutschland" in Berlin.