Der FC Deutschland versteckt sich irgendwo auf Stockwerk drei. Oben, in seinen Empfangsraum steht ein kleiner Tisch mit Broschüren, sonst gibt es kaum Möbel, geschäftige Kargheit, alles ist weiß, klinisch weiß. Es sieht ein wenig aus wie in einer Arztpraxis.
Der Arzt heißt Mike de Vries. Er hat nicht Medizin studiert, er ist Manager. Der Patient heißt Deutschland, ein Volk von 80 Millionen Menschen. Der Patient hat in den vergangenen Jahren etwas gekränkelt, ist müde geworden, hat das Selbstbewusstsein verloren und im Ausland an Attraktivität eingebüßt. So weit die Diagnose.
Mike de Vries soll den Patienten kurieren und die größte Standortkampagne koordinieren, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Offiziell ist er der Geschäftsführer des FC Deutschland 06.
Die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft haben dem FC Deutschland gut 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Damit soll de Vries in wenigen Monaten ein positives Deutschlandbild zaubern, im großen Jahr der Weltmeisterschaft, wenn die Welt zu Gast bei den Deutschen sein wird.
De Vries wirkt gestresst, die Behandlung des Patienten Deutschland ist in vollem Gange, er spricht schnell, mit rauer, kehliger Stimme. Er muss viel reden in diesen Tagen, mit Sponsoren, Partnern, Agenturen, Journalisten. Er trägt schwarzen Anzug und kurze blonde Haare. Er sieht ein bisschen aus wie Andi Brehme, der Spieler, der Deutschland im Finale 1990 das letzte Mal zum Weltmeister schoss, mit einem Elfmeter.
Wenn man de Vries lange genug zuhört, dann kommt einem die Weltmeisterschaft irgendwann auch wie ein Elfmeter vor, wie eine großartige Gelegenheit, einen Rückstand aufzuholen, gar in Führung zu gehen. Seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung blickte die Welt nicht mehr so intensiv auf Deutschland wie in diesem Sommer. Die WM könnte eine Plattform werden für mehr als nur Gekicke, ein Geschenk, ein Elfmeter eben.
"Wir Deutschen werden als Jammerer wahrgenommen", sagt de Vries. Das gilt es zu ändern. "Im Ausland soll rüberkommen, dass der kranke Patient auf dem Weg der Gesundung ist." Es sind große Worte aus einem sterilen Konferenzraum mit schwarzen Ledersesseln und leeren Bücherregalen. Der einzige Schmuck ist ein Poster. Es schreit: "Welcome to Germany - Land of Ideas." Land der Ideen, so heißt die Kampagne, die de Vries mit seinem FC Deutschland umsetzen soll. "Es geht nicht um platten Optimismus", sagt er, sondern darum, ein Wissen über die Stärken zu vermitteln, die im Lande schlummern.
Die Kampagne hat "Bausteine". Es gibt den "Walk of Ideas", eine Anordnung von riesigen Skulpturen, die quer über das Berliner Regierungsviertel verteilt stehen und die große Erfindungen made in Germany darstellen. Eine riesige Aspirintablette etwa, fesche Fußballschuhe oder ein Sportwagen direkt vor dem Brandenburger Tor. Es sind überlebensgroße Zeugnisse deutscher Erfindererfolge. Sie sollen an das Große erinnern und Mut machen für Gegenwart und Zukunft.
Es gibt einen Reiseführer, der einen kreuz und quer durch die Republik lotsen könnte, durch 365 Orte
im Land der Ideen. Orte, an denen sich nach Ansicht der Kampagnenmacher, das Kreative bis tief in die Provinz hinein nachweisen lasse. Vom "Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz" in Saarbrücken bis zum Otterzentrum in Hankensbüttel.
Es gibt schöne bunte Broschüren für potenzielle Investoren aus dem Ausland oder einen Medienservice für die rund 15.000 Journalisten, die über die WM aus Deutschland berichten werden.
Die Frage ist, ob aus all den Bausteinen am Ende ein Gebäude entstehen wird. "Deutschland wird insgesamt gewinnen", sagt de Vries. Es gehe darum, wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Er arbeitet mit den Rezepten der Werbewelt, mit "Kernprojekten", dem "Markenkern" und "Medienresonanzanalysen".
Im Februar gab es eine Pressekonferenz. Wolfgang Schäuble, der Bundesinnenminister, der zugleich auch Sportminister ist, hatte gerade an der ersten Beiratssitzung von "Land der Ideen" teilgenommen. Jetzt sollte er selbst in die Kameras sagen, worum es eigentlich geht. Schäuble stotterte dabei ein bisschen, er rieb sich beim Reden ganz energisch die Hände. Er wirkte, als fühle er sich unwohl, als glaube er nicht an die Instrumente der Werbeprofis, die schönen Slogans, die manchmal wirken, als seien sie aus einem Optimismusseminar für 2.000 Dollar Teilnehmergebühr entlaufen.
Schäuble sagte, man wolle auch den ausländischen Journalisten zeigen, das Deutschland ziemlich gut sei. "Wir hoffen, dass wir am Ende sogar selbst bemerken", sprach er weiter, stockte kurz, und fuhr noch zögerlicher fort, "was wir für ein tolles Land sind."
Mike Vries war mal Manager beim Bierbrauer Bitburger, er hat die Nationalelf zum Werbeträger des Pils gemacht. Er hat gelernt, dass der Fußball ein prima Partner sein kann, wenn es darum geht, eine Marke aufzupolieren. Warum soll mit einem ganzen Land nicht gelingen, was mit Bier bereits gelang?
De Vries redet viel von Philosophie, von Botschaften, von Visionen, aber es wird nicht ganz klar, was genau er damit meint. Er ist für die Umsetzung verantwortlich, nicht für den gedanklichen Überbau. Den liefern andere.
Sebastian Turner sitzt in einem Backsteinbau in Berlins Mitte. Er ist einer der zwei Chefs der Werbeagentur Scholz and Friends, einer der erfolgreichsten Werber der Republik. Er sitzt in einem Büro mit hellem Parkett und viel Glas drumherum. Es ist ein Schaukasten der Kreativität.
Turner trägt ein weißes Hemd, kurze Haare, eine randlose Brille. Er sagt, dass es ein paar Grundregeln für eine solche Kampagne gibt: Eine sei, dass sie unbedingt das Gefühl in Deutschland selbst verbessern müsse, um auch nach außen Wirkung zu entfalten, um glaubwürdig zu sein. "Schönheit kommt von innen", sagt Turner. Er kennt das aus der Joghurt-Werbung.
Es gebe bei dieser Kampagne ganz andere Möglichkeiten, erklärt Turner. Deutschland sei im Vergleich zu manchem Industrieartikel ein "High Interest Produkt". "Wir haben potenziell 80 Millionen Botschafter. Das ist im Nuss-Nugat-Bereich nicht der Fall."
Vor fünf Jahren sollte Turner einen Vortrag auf einem Kongress für Wirtschaftsförderung halten. Er suchte nach einem Thema und irgendwann schoss ihm dieser Begriff in den Kopf, das Label, unter dem sich Deutschland verkaufen könnte. Den Kongressteilenehmern gefiel der Begriff, aber er geriet dann schnell wieder in Vergessenheit.
Jahre später sprach Turner mit Horst Köhler, der gerade Bundespräsident werden sollte und nach einer Signatur für seine Präsidentschaft suchte. Turner schenkte ihm das "Land der Ideen" und Köhler benutzte es in all seinen Antrittsreden. Als die Bundesregierung später einen Wettbewerb um Konzepte für eine Standortkommunikation ausschrieb, berief Scholz and Friends sich auf Köhler als Kronzeugen und entwickelte eine Kampagne rund um dessen Slogan. Köhler ist jetzt deren Schirmherr. Es ist ein Lehrstück darüber, wie man einen Begriff in den Markt einführt.
Es bringe nichts, immer nur die Probleme des Landes aufzuzählen, ohne Lösungen anzubieten, sagt Turner. Das sei das "Hans-Olaf-Henkel-Problem". Die Lösung für Deutschland heiße: Ideen, Innovation, Forschung und Bildung. "Land der Ideen" sei deshalb das richtige Leitbild für Deutschland.
Die Deutschen und vor allem ihre Regierung versuchen fast krampfhaft, alle Chancen zu nutzen, die ihnen die Weltmeisterschaft bietet. Es wirkt ein wenig panisch, so als sei es die allerletzte Chance.
So wird die Hauptkampagne von zahlreichen Nebenkampagnen begleitet. Bereits vor einiger Zeit startete eine "Nationale Service- und Freundlichkeitskampagne", die uns Deutsche zu netten, hilfsbereiten, gastfreundlichen Menschen machen soll - wenigstens für ein paar Wochen. Ins Leben gerufen von der deutschen Tourismuszentrale, unterstützt von der Bundesregierung, werden vor allem Taxifahrer, Busfahrer und Hotelkräfte dazu angehalten, ihren versteckten Charme spielen zu lassen, damit die Welt tatsächlich den Eindruck gewinnt, zu Gast bei Freunden zu sein.
Allein in Berlin haben sich 3.000 Bus- und Bahnfahrer einem Schnellkurs in Englisch und höflichem Auftreten unterzogen. Auch Kneipenbesitzer, Schaffner der Deutschen Bahn, Stadtführer, Polizisten, Mitarbeiter von Stadtverwaltungen und andere Personen mit Feindkontakt haben aus aktuellem Anlass Sprach- und Benimmkurse belegt. Es sind rührende Versuche, aus einer Servicewüste ein Land des Lächelns zu formen. Im Angesicht der Chance scheinen die Deutschen über ihren Schatten zu springen.
Die Frage bleibt, ob das Experiment gelingen kann, ob man Selbstvertrauen künstlich erzeugen kann, mit den Mitteln einer Kampagne? Kann man Zuversicht erzwingen, gar verordnen?
Es gibt erste Zahlen und Indizien. Turner und de Vries zitieren sie mit Stolz, wie einen Leistungsnachweis. Mehr als 7.500 Medienbeiträge habe es schon gegeben über das Land der Ideen. 1.200 Einrichtungen haben sich darum beworben, "Ort der Ideen" zu werden. 55.000 Reiseführer seien bereits verkauft. Der berühmte britische Economist stellte neulich auf dem Titel die Frage: Ist Deutschland immer noch das Land der Ideen? Der Artikel fiel negativ aus, aber die Kampagnemacher freuten sich, dass da jemand ihre Begriffs-PR übernommen hatte. Aber besagt das was?
Mike de Vries sagt, dass die Kampagne kein Strohfeuer werden dürfe, dass es nach der WM "nachhaltig" weitergehen müsse. Wenn Deutschland auch in vier Jahren noch als "Land der Ideen" gelte, dann, sagt de Vries, "dann hätten wir's geschafft".
Sebastian Turner schwärmt derweil von den Spaniern. Die hätten sich mit einer bisher beispiellosen Kampagnen nach der Franco-Diktatur als modernes Land auf der Landkarte neu platziert. Er sagt: "Kampagnen, die die Veränderung eines Landes abbilden, sind am erfolgreichsten."
Man muss jetzt nur noch hoffen, dass es diese Veränderung in Deutschland tatsächlich gibt.