Gerade der für Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) musste lernen, mehr zu kooperieren; sowohl intern als auch mit in- und ausländischen Partnerdiensten. Die Übergänge zwischen dem auf das Inland begrenzten Aktionsradius der Verfassungsschutzbehörden und dem auf das Ausland gerichteten Fokus des BND wurden fließend. Auf der einen Seite wächst der so genannte "home grown terrorism". Auf der anderen Seite entwickelt sich Al-Qaida zu einem ideologischen Gerüst in einer lockeren Organisationsstruktur unter anderem durch eine Zunahme von Kämpfern, die bereit und fähig sind, weltweit zuzuschlagen.
Zudem wirkt sich der gegenwärtige Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah aus. Die Gefahr besteht, dass so genannte Schläfer zunehmend aktiv werden. Da sie den inländischen Diensten nur zum Teil bekannt sind und ihre Anweisungen aus dem Ausland erhalten, ist auch hier eine enge Kooperation aller Nachrichtendienste geboten. Dies bedeutet, dass sowohl ein weitreichender Austausch von Informationen auf nationaler Ebene als auch multilateral notwendig ist, da der Gefährdungsraum unbestimmt ist. Es reicht nicht aus, wie BND-Präsident Ernst Uhrlau mehr Kooperation zwischen Geheimdiensten anzumahnen. Notwendig ist viel mehr, dass eine politische Kultur entsteht, "in der Geheimhaltung und Effizienz der Dienste und die Transparenz- und Kritikerfordernisse unserer Demokratie ausgewogener aufeinander abgestimmt werden", so der ehemalige BND-Direktor und jetzige Vorsitzende des Gesprächskreises "Nachrichtendienste in Deutschland" Wolbert Smid.
Für die Dienste relevante Aspekte sind Radikalisierungsprozesse im Übergang vom fundamentalistischen zum extremistischen Islam und vom legalistischen zum gewaltbereiten Islamismus. Dabei gibt es gezielte Rekrutierungsstrategien, die den Sozialisationshintergrund und die Lebenssituationen von Personen nutzen, die für die Ideologie des Islamismus empfänglich scheinen. Sie setzen an Orten an, die Gelegenheit für systematische Rekrutierung bieten und Sicherheitsbehörden zugleich vor Zugangsprobleme stellen - insbesondere in Moscheegemeinden, Heimat- oder Jugendvereinen sowie Universitäten. Daher ist es einerseits notwendig, staatliche Maßnahmen bereits im Vorfeld der Radikalisierungsprozesse zu starten. Andererseits müssen sich sicherheitspolitische Aktivitäten stärker auf den Rekrutierungsprozess selbst richten. Dies bedeutet, dass ein Maß an Transparenz erlangt wird, damit die Dienste nicht als Black Box erscheinen. Ein solches Verständnis nachrichtendienstlicher Arbeit nämlich ermutigt Migranten mit einschlägigen Erfahrungen mit den Geheimdiensten ihrer Herkunftsländer nicht zur Kooperation. Die aber ist erforderlich, um die gegenwärtigen Zugangsbedingungen in diese Bereiche zu verbessern.
Um tiefere Einblicke in extremistische und terroristische Zusammenhänge zu erhalten, müssen sich die Dienste weiter reformieren. Derzeit sind sie noch nicht in der Lage, eintreffende Informationen vollständig und zeitnah auszuwerten, obgleich das über Jahre hinweg vernachlässigte Agentennetz in Nahost ausgebaut worden ist. Der eklatante Mangel an sprachkompetenten Mitarbeitern behindert nicht nur die Auslandsaufklärung, er ist auch hinderlich bei der Bewertung innerdeutscher Kommunikation und der Kontaktaufnahme mit Migranten. Das gleiche gilt für die interkulturelle Kommunikation. Kenntnisse der Religion, der kulturellen Prägung und der Traditionen sind notwendig, um Gesprächspartnern adäquat gegenübertreten oder Quellen ansprechen und führen zu können.
Für den Sicherheitsbereich zunehmend relevanter ist die steigende Zahl islamistisch geprägter Konvertiten. Die organisatorische Abteilungsaufgliederung bei den Verfassungsschutzämtern in Rechts-, Links- und Ausländerextremismus ist Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Situation zum Ende der 1960er- und zum Beginn der 1970er-Jahre. War die Einführung des Arbeitsgebietes Ausländerextremismus vor über 30 Jahren gerechtfertigt, so weist sie inzwischen doch kaum noch Bezüge zur extremismustheoretischen Strukturierung auf.
Denn die Vergleichbarkeit zwischen den Bereichen Rechts- und Linksextremismus auf der einen und Ausländerextremismus auf der anderen Seite ist in einer sich globalisierenden Welt nicht mehr gegeben: In einer vernetzten Welt kommt es nicht mehr darauf an, wo die Zentrale einer extremistischen Organisation liegt, die sowohl deutsche als auch ausländische Mitglieder haben kann. Die gegenwärtige Arbeitsteilung erschwert insofern die Zuordnung von extremistischen Phänomenen über die Abteilungsgrenzen hinweg, wodurch adäquates Handeln verzögert werden kann.
Die als "Sicherheitspaket 1 und 2" bezeichnete Gesetzgebung dient einer Ausweitung der Kompetenzen einzelner Behörden und Dienste. Wenn auch die Befugnisse aus den Gesetzen nur selten angewandt worden sind, war es doch sinnvoll, diese befristeten Anti-Terror-Gesetze zu verlängern. Durch ihre Anbindung an die G-10-Bestimmungen besteht ein weitreichender Kontrollmechanismus, der den Befürchtungen, Deutschland befinde sich auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat, insofern widerspricht, als nunmehr unmissverständlich geregelt ist, was zuvor nach eigenem Gutdünken der Dienste entschieden wurde.
Die Einrichtung des GTAZ, des Gemeinsamen Terrorismus Analyse Zentrums, stellt die wesentlichste organisatorische Veränderung der Sicherheitsarchitektur dar. Seine Aufgaben sind die beschleunigte Lagebewertung samt umfassender Hintergrund- und Strukturanalyse, die zentrale Steuerung des Informationsflusses, vor allem aber die Bearbeitung gleichlautender Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Somit trägt das Zentrum dazu bei, Doppelarbeiten zu minimieren und die Aufmerksamkeit für Querverbindungen zwischen Gruppierungen in der risikoanalytischen Bewertung, etwa zwischen islamistischen Gruppierungen oder zwischen solchen und der Organisierten Kriminalität zu schärfen. Zudem soll es helfen, präventiv ansetzende Aktivitäten zu stärken.
Wie diese Anforderungen realisiert werden, hängt von grundlegenden politischen und institutionellen Rahmenbedingungen ab. Sie sind sowohl bei der Einführung einer Gemeinsamen Terrorismusdatei für Nachrichtendienste und Polizei als auch für eine Vernetzung von GTAZ und dem Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration entscheidend.
Es ist notwendig, die Analysefähigkeit zu stärken - dabei müssen sowohl Quellen in unterschiedlichen Zusammenhängen platziert als auch Materialien genauestens ausgewertet werden. Daneben muss sich die Kommunikation in und zwischen den Diensten verbessern. Zudem müssen die Mitarbeiter endlich althergebrachte Muster von Spionage im Kalten Krieg über Bord werfen. Dies ist dringend: Zeit, auf einen natürlichen Generationenwechsel zu warten, gibt es nicht.
Der Autor ist Politikberater bei der Unternehmensberatung PRGS in Berlin.