Spanien könnte in den nächsten Monaten eine der letzten offenen Wunden seiner jüngsten Vergangenheit schließen. Seit die baskische Separatistengruppe ETA Ende März einen "permanenten Waffenstillstand" verkündete, besteht Hoffnung auf endgültigen Frieden. 40 Jahre bewaffneter Kampf mit rund 1.000 Opfern könnte schon bald Geschichte sein. In ihrem Kommuniqué zum Waffenstillstand bekundet die Untergrundorganisation ihre Entscheidung, die Waffen ruhen zu lassen, um "einen demokratischen Prozess im Baskenland anzutreiben, damit das baskische Volk mittels Dialog, Verhandlung und Einigung den politischen Wandel vollziehen kann, den es braucht". Weiter hieß es: "Die Beilegung des Konflikts hier und jetzt ist möglich. Das ist der Wunsch und der Wille der ETA."
Die ETA, so scheint es, steht seit August 2004 mit der Regierung von José Luis Zapatero in Kontakt. Der nur wenige Monate zuvor gewählte Sozialist erhielt damals einen ersten Brief der Untergrundkämpfer. Er beriet sich wiederholt mit seinem britischen Amtskollegen Tony Blair, um aus dessen Erfahrungen im Umgang mit der IRA zu lernen. Pater Alec Reid, der bereits im Nordirland-Konflikt vermittelte, soll auch im Baskenland aktiv gewesen sein. In den vergangenen vier Jahren wohnte er immer wieder in einem Hotel in Bilbao. "Die Ankündigung des Waffenstillstands bedeutet, dass es eine Einigung zum Beispiel über die Gefangenen gibt", ist Reid sicher. Zur Zeit sitzen in Spanien 544 Etarras in Haft.
Noch während der Sommerpause wollen Regierungsgesandte und ETA- Führung erstmals zusammentreffen. Für die Separatisten dürfte Josu Ternera am Tisch sitzen. Der Letzte der alten Garde war schon einmal in der ETA-Führung. Nach mehreren Jahren Haft dann wurde er als Abgeordneter für den politischen Arm der ETA, die mittlerweile verbotene Partei Batasuna, ins baskischen Autonomieparlament gewählt. 2002 floh er angesichts einer richterlichen Vorladung und schloss sich wieder den bewaffneten Separatisten an. Heute soll er der Chef des politischen Apparats der ETA sein.
Die ETA, die Ende der 50er-Jahre im Kampf gegen die Franco-Diktatur entstand, ist seit Jahren die letzte nennenswerte Organisation in Westeuropa, die auf den bewaffneten Kampf zur Umsetzung ihrer Ziele setzt. Doch längst befindet sich die Separatistengruppe in einer tiefen Krise. Nachdem sie ihren eigenen Waffenstillstand von 1998 14 Monate später wieder gebrochen hatte, kritisierten immer mehr ihrer eigenen Anhänger den bewaffneten Kampf. Viele verziehen der ETA nie, mit den Illusionen der baskischen Bevölkerung gespielt zu haben.
In den Jahren danach schlug die Polizei in Spanien und Frankreich öfter zu denn je. Immer wieder wurde die gesamte Führungsstruktur ausgehoben. In den vergangenen sieben Jahren wurden knapp 1.000 mutmaßliche "Etarras" festgenommen. Der schwerste Schlag: Dank eines neuen, von der damaligen konservativen spanischen Regierung unter José María Aznar erlassenen Parteiengesetzes wurde die "Herri Batasuna" verboten. Der gesellschaftliche Einfluss der Separatisten litt ebenso darunter wie deren Finanzen. Keine Beteiligung an den Wahlen hieß: keine öffentlichen Gelder.
Auch international gerieten die radikalen Separatisten mehr unter Druck. Frankreich genehmigt seit mehreren Jahren zeitweilige Auslieferungen, um Etarras den Prozess in Spanien zu machen, auch wenn sie in Frankreich noch Haftstrafen verbüßen. Nach dem 11. September wurden sowohl die ETA als auch Batasuna in die Listen terroristischer Gruppen von EU und USA aufgenommen. Spätestens nach den islamistischen Anschlägen auf die Pendlerzüge in Madrid, die am 11. März 2004 192 Menschen das Leben kosteten, konnte die ETA nicht mehr weitermachen wie bisher. Die soziale Akzeptanz gegenüber tödlicher Gewalt als politischem Mittel verschwand danach auch bei den Basken völlig. Die ETA, die bereits zuvor zusehen musste, wie nach ihren Anschlägen hunderttausende Menschen selbst im Baskenland auf die Straße zogen und "Schluss jetzt!" riefen, mordete seither nicht mehr. Die Bombenanschläge in den letzten Jahren zielten einzig auf Unternehmen, die sich weigerten, die so genannte Revolutionssteuer an die ETA abzuliefern. Tote oder Schwerverletzte waren dabei keine zu beklagen.
Zapatero will die Chance nutzen und mit der ETA die endgültige Niederlegung der Waffen aushandeln. Damit macht er sich allerdings nicht nur Freunde. Die Opfervereinigungen und die konservative Opposition befürchten, Zapatero könne einen politischen Preis für den Frieden zahlen und den Terror damit im Nachhinein belohnen. "Verhandlungen in meinem Namen: nein!" und "Zapatero Betrüger" stand auf den Schildern, mit denen die Anhänger der Vereinigung der Opfer des Terrorismus (AVT) und der konservativen Volkspartei in den letzten Monaten gleich vier Mal in Großdemonstrationen durch Madrid zogen.
Die Opfer wollen, dass "die Erinnerung, die Würde und die Gerechtigkeit nicht verspielt werden, indem sich der Rechtsstaat vor einer Mörderbande beugt", erklärt der AVT-Vorsitzende Francisco José Alcaraz. Und der Vorsitzende der konservativen Partido Popular (PP), Mariano Rajoy, verlangte, dass "auf keinen Fall mit einer terroristischen Vereinigung politisch verhandelt oder gar ein Preis bezahlt werden" dürfe. Für die Kritiker hat die Regierung bereits der ETA nachgegeben, indem sie das Friedensszenario der Separatisten übernommen habe. Dieser Plan sieht vor, dass Regierung und ETA über alle militärischen Fragen sowie den Umgang mit den Inhaftierten reden sollen. Parallel dazu soll ein Tisch aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte aus dem Baskenland die Zukunft der Region diskutieren.
Für die AVT ist dies "der erste politische Preis", den die Regierung den Terroristen zahlt. Die PP geht noch weiter. "Das Projekt von Zapatero ist das der ETA", wetterte der Generalsekretär der PP und Ex-Innenminister Angel Acebes und brach alle Kontakte seiner Partei zur Regierung Zapatero ab. Auch aus den Reihen der Sozialisten wird zunehmend Kritik laut. Eine der wichtigsten Gegnerinnen der Politik Zapateros ist dort die baskische Europaabgeordnete Rosa Díez. Offizielle Gespräche mit Batasuna seien eine Aufwertung der radikalen Partei und kämen einer Wiederzulassung vorbei an den Richtern gleich. "Diese Regierung hat das Recht, es zu versuchen und dabei von allen unterstützt zu werden", verteidigt sich Zapatero. Der Sozialist verweist immer wieder darauf, dass jede der bisherigen demokratischen Regierungen Spaniens mit ETA verhandelt habe und dabei von der Opposition unterstützt worden sei - auch sein konservativer Vorgänger José María Aznar.