Diese Schachidkas oder auch Schwarzen Witwen operierten zunächst in Tschetschenien: Nach Barajewas Attentat folgte Anschlag um Anschlag. Unter anderem steuerten zwei Schwarze Witwen im Dezember 2002 einen mit Sprengstoff beladenen LKW in das soeben wiederaufgebaute Regierungsgebäude in Grosny. Eine junge Frau versuchte auf einem Volksfest im Mai 2003 in Ilischan Jurt Achmed Kadyrow zu töten. Moskaus tschetschenischer Statthalter überlebte, 18 Menschen starben, 140 wurden verletzt. Zwei Tschetscheninnen schmuggelten sich mit ihren Sprengstoffgürteln im Juli 2003 unter die Besucher eines Rockfestivals im Moskauer Stadtteil Tuschina und schickten14 Menschen in den Tod. Eine Schwarze Witwe zündete die umgeschnallte Bombe Anfang Dezember 2003 wenige Tage vor der russischen Parlamentswahl in der Nähe der Duma, zwei Frauen jagten ebenfalls noch vor der Wahl durch eine mit Explosionsmaterial gefüllte Tasche einen Vorortzug in Jessentuki in die Luft.
Erst die Geiselnahme des Moskauer Musicaltheaters hatte die Öffentlichkeit auf das Phänomen der Schwarzen Witwen aufmerksam gemacht: Über 20 Frauen gehörten als "Kommando der Schwarzen Witwen" der Terrorgruppe an, die ab dem 23. Oktober 2002 die Theaterbesucher 58 Stunden lang gefangen hielt. Den tschetschenischen Terroristen um Schamil Bassajew war ein Coup gelungen, der ihnen neue, höhere Aufmerksamkeit für ihren angeblichen Freiheitskampf bescherte. Die Bilder der von den russischen Omon-Spezialeinheiten erschossenen tief verschleierten Frauen auf den roten Theatersesseln gingen nach der Erstürmung des Gebäudes um die Welt. Und immer weitere Tschetscheninnen schlossen sich immer neuen Kommandos an: So waren es wiederum Frauen, die im Juli 2004 zwei russische Passagiermaschinen, die eine auf dem Flug nach Sotschi, die andere nach Wolgograd, durch Explosionen an Bord zum Absturz brachten. Wenige Tage später riss eine Schachidka über ein Dutzend Menschen an der Moskauer Metrostation Ryschskaja aus dem Leben. Bei der Erstürmung der Schule in Beslan waren abermals zwei Frauen unter den Terroristen, unfreiwillig, wie sie den Geiseln in der Turnhalle erklärt haben. Sie starben durch ihre gezündeten Sprengstoffgürtel.
Das tschetschenische Gesetz der Blutrache verpflichtet Frauen nur im Ausnahmefall, wenn kein Mann der Familie mehr in Frage kommt, den Tod von engen Verwandten zu rächen, in dem sie selbst töten. Diese Regel wird bis heute befolgt, wenn die Familie des Mörders nicht rechtzeitig Abbitte leistet. Selbst nach einem tödlichen Verkehrsunfall wird Rache geübt, es sei denn, die Familie des "Täters" entschuldigt sich in gebührender Form und mit einem entsprechend hohen Geldbetrag. Viele Familien haben in den beiden Tschetschenienkriegen ihre Männer verloren. Unzählige Frauen waren gezwungen, mit eigenen Augen anzusehen, wie russische Militärangehörige ihre Männer oder Söhne gefangen nahmen, folterten oder töteten. Leid, Hass und Rache haben sie zu Werkzeugen der tschetschenischen Terrorkommandeure gemacht. Einige der Frauen ließen sich willig für deren Kampf missbrauchen, den sie als ihre eigene Vergeltung verinnerlichten, weil er gegen den russischen Feind und Besatzer gerichtet war.
Die patriarchalische tschetschenische Gesellschaft beraubt die Frauen jedoch jeder Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie sich den Terrorkommandos anschließen oder nicht. Väter, Onkel, Brüder, Cousins bestimmen über die Frauen, lassen ihnen keine Wahl und zwingen sie in den Kampf, selbst wenn sie sich wehren. Dabei fällt auf, dass die weit überwiegende Zahl der Selbstmordattentäter Frauen, nicht Männer sind. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass sie ihre Sprengstoffladungen nicht selbst zünden, sondern männliche Mittäter in der Nähe jeweils den Knopf per Fernsteuerung drücken und damit ihre tschetschenischen "Schwestern" eigenhändig ins Jenseits befördern. Der russische Geheimdienst und die Regierung scheinen an den Rekrutierungsmechanismen kaum ein Interesse zu haben. Statt nach dem Geiseldrama im Moskauer Musicaltheater zu forschen, wie das Anwerben, die Ausbildung und Vorbereitung der Frauen erfolgt, wurden alle Terroristinnen erschossen.
Seit Beslan ist es ruhig geworden um die Schwarzen Witwen. Über die Gründe können nur Mutmaßungen angestellt werden. Die tschetschenische Gesellschaft sei im Verlauf der Kriege degeneriert, habe ihre eigenen moralischen Werte verloren, kritisieren die Tschetschenen, die den Einsatz von Frauen für Terrorakte von Anfang an scharf missbilligten. Doch es gab und gibt genug Sympathisanten in der drangsalierten Zivilbevölkerung, die gutheißen, dass sich Frauen dem Widerstandskampf gegen die russischen Besatzer und die gleichgültige russische Öffentlichkeit anschließen.
Die tschetschenischen Rebellenführer beginnen zu erkennen, dass die Gewalt ihrem Anliegen weit mehr geschadet als genützt hat. Achmed Sakajew, der Außenminister in der Untergrundregierung der nirgendwo in der Welt anerkannten Republik Itschkeria, räumt ein, dass es der tschetschenische Terroranführer Schamil Bassajew und die von ihm initiierten und geführten blutigen Attentate waren, die dem tschetschenischen Widerstand die Glaubwürdigkeit und Rechtmäßigkeit genommen haben. Dass es seit Beslan keine Anschläge mehr gegeben hat, führt Sakajew zurück auf die Einbindung Bassajews in die tschetschenische Regierung. Gelungen sei dies Abdul-Chalib Saidullajew, dem Nachfolger von Aslan Maschadow im Präsidentenamt der Republik Itschkeria. So sei Bassajew einerseits mehr Macht zuteil geworden, andererseits konnten ihm endlich Fesseln angelegt werden. Maschadow wie Saidulajew galten als gemäßigt und gesprächsbereit, die Morde an Maschadow am 8.März 2005 und an Saidulajew im Juni dieses Jahres wurden von Tschetschenien-Kennern und Menschenrechtlern als schwere Fehler gewertet, denn mit beiden Anführern hätte Moskau verhandeln können. Bassajew lehnte Verhandlungen nicht nur strikt ab, er kritisierte jeden in seiner Umgebung als Schwächling, der sich dafür einsetzte.
Dass spektakuläre Gewaltakte seit nunmehr zwei Jahren ausbleiben, führen Beobachter auf die Schwächung der tschetschenischen Terroristen insgesamt zurück, deren Kraft nur noch für kleinere Anschläge auf russische Armeeeinheiten reicht. Dem Sohn des umgebrachten Präsidenten Achmed Kadyrow, Ramsan Kadyrow, ist es gelungen, zahlreiche Rebellen zum Überlaufen zu bewegen, durch Gewalt oder das Versprechen, ihre Verbrechen ungestraft zu lassen. Doch es sind die Ramsan-Milizen, die neben den russischen Soldaten mit neuer Willkür agieren, der Zivilbevölkerung weiter zusetzen. Das Volk sehnt sich nach Frieden, hat genug vom Sterben, vor allem in den eigenen Reihen. Motive, den Kampf fortzuführen, auch für die Schachidkas, gibt es laut Sakajew noch immer genug. Nach den langen Jahren des Kampfes sei es höchste Zeit für Friedensgespräche und eine Unabhängigkeitsregelung, mit der man in Moskau und in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny leben könne.
Die Autorin ist Journalistin beim DeutschlandRadio. 2005 erschien ihr Buch "Ich sollte als Schwarze Witwe sterben" (Deutsche Verlags Anstalt).