Wie eine Trophäe führt die russische Regierung für gewöhnlich "liquidierte Terroristen" vor. Im Fall von Schamil Bassajew war die Sache schwieriger: Als Beweis der Vernichtung des tschetschenischen Terroristenführers mussten Trümmer eines angeblich am 10. Juli 2006 explodierten LKW herhalten. Der Öffentlichkeit blieb es überlassen, ob sie der Aussage vom Chef des russischen Geheimdienstes FSB, Nikolai Patruschew, Glauben schenkte, Bassajews Leiche befinde sich in dem ausgebrannten Schrotthaufen. Eine DNA-Analyse soll angeblich Aufschluss über den Erfolg der Aktion geliefert haben. Überprüft werden kann die Aussage nicht: Das russische Herrschaftssystem ist völlig intransparent.
Bassajew habe die gerechte Strafe erhalten, hieß es unisono. Tatsächlich hat es kaum ein Attentat gegeben, das nicht unter Bassajews Beteiligung stattfand: So auch die Geiselnahme eines Krankenhauses in Budjonnowsk während des ersten Tschetschenienkrieges 1995, als 1.200 Patienten und medizinisches Personal drei Tage lang in Schach gehalten wurden und über 130 Menschen starben. Eine regelrechte Terrorserie begann 2001 und sollte in Beslan 2004 ihren entsetzlichen Höhepunkt erfahren. Und wenn es je einen Rest Verständnis für die Sache der Tschetschenen gegeben hatte, war dieser mit der Schulbesetzung im September 2004 im nordossetischen Beslan aufgebraucht: Von den mindestens 330 Menschen, die ihr Leben in dem Drama lassen mussten, waren weit über die Hälfte Schulkinder. Der kleine Ort im Nordkaukasus bekam einen frischen Friedhof, den zu füllen es unter normalen Umständen Jahrzehnte gebraucht hätte. Es war Bassajew zuzuschreiben, dass die Welt die Sichtweise des Kremls zu übernehmen begann, nach der man mit den tschetschenischen Terroristen nicht verhandeln könne.
Dass Bassajew nun tatsächlich tot ist, scheint auch der itschkerische Außenminister in seinem Londoner Asyl nicht wirklich zu beklagen, wenngleich er fürchtet, auf Moskaus Abschussliste jetzt der nächste zu sein. Anfang Juli dieses Jahres bat Präsident Wladimir Putin um die Zustimmung des russischen Parlaments, Killerkommandos in alle Welt entsenden zu dürfen, um Terroristen, die Russland bedrohen, aufzuspüren und zu vernichten. Für Menschenrechtler ein Skandal, den das Ausland nicht unwidersprochen hinnehmen dürfe.
Auslöser des an Stalinsche Zeiten erinnernden Erlasses war die Ermordung von vier russischen Diplomaten im Irak durch islamistische Banden. Freilich verfährt Russland schon seit Jahren nach dieser Praxis. Der ehemalige Präsident der Republik Itschekeria Selimchan Jandarbijew beispielsweise fiel ihr nach dem Freitagsgebet am 13. Februar 2004 in seinem Asylland Katar zum Opfer, ermordet in Doha durch eine Autobombe, die zwei Agenten des russischen Auslandsgeheimdienst SWR gezündet hatten. Dass russische Todesschwadronen auch in Deutschland aktiv werden könnten, schloss der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir Kotenjow, auf einer Pressekonferenz vor dem G-8-Gipfel ausdrücklich nicht aus - allerdings würden zuvor die Behörden informiert werden.
Bassajews Tod darf als sicher gelten, denn die itschkerische Untergrundregierung hat dies auf ihrer Web-Seite sowie in Stellungnahmen bestätigt. Dass er aber von "russischen Einheiten" getroffen worden ist, wie dies der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow noch in der gleichen Woche auf dem G-8-Gipfel in Sankt Petersburg nebulös mit einem undefinierbaren Lächeln verkündete, ist nicht bewiesen. Denkbar wäre auch, dass Bassajews LKW zu früh in die Luft geflogen ist. Angeblich sei er mit Sprengstoff beladen gewesen und sollte in Inguschetien während des G8-Gipfels hochgehen und damit das Treffen in Sankt Petersburg erschüttern.
So sehr mit Bassajews Tod die Hoffnung verknüpft ist, dass der Terror im Kaukasus nun der Vergangenheit angehört, so wenig veranlasst er die Regierung Putin zur Einhaltung ihrer Zusage: eine politische Lösung für den Tschetschenienkonflikt zu finden. Ob beim im März 2003 gefälschten Referendum, den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2003 und August 2004 oder den unehrlichen Parlamentswahlen am 27. November 2005 - statt tatsächlich den Willen des tschetschenischen Volkes zu erfragen und dann auch zu respektieren, wurden Moskau genehme Ergebnisse fabriziert. Der von Moskau eingesetzte Statthalter Ramsan Kadyrow schafft mit seiner Soldateska neues Leid und damit neuen Hass. Immer noch verschwinden jede Woche Menschen in Tschetschenien, liefern sich verfeindete Banden Schusswechsel, explodieren Autos, finden Anschläge auf Armeekonvois statt.
Wie wenig der Kreml zu einem Umdenken bereit ist, veranschaulichte Russlands Verteidigungsminister Iwanow in Sankt Petersburg: Moskau denke nicht an einen Abzug seiner Truppen aus Tschetschenien, die 42. Division bleibe dort auf unbegrenzte Zeit stationiert. "Tschetschenien ist ein Teil Russlands, wir haben jedes Recht, dort zu sein." Die jetzige itschkerische Untergrundregierung will Gespräche und Friedensverhandlungen ohne jede Vorbedingung. Ob Moskau mit den tschetschenischen Vertretern redet oder nicht: An einer Klärung des Status für Tschetschenien kommt Russland nicht vorbei, auch wenn es sich seit dem ersten Friedensschluss von 1996 in Chasawjurt daran bislang stets vorbeigemogelt hat. Längst hat der Konflikt den gesamten Nordkaukasus erfasst, sind die russischen Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien, Nord-Ossetien, Kabardino-Balkarien sowie das seit 1991 von Moskau unabhängige Georgien destabilisiert. Anhaltende Menschenrechtsverletzungen, 70 Prozent Arbeitslosigkeit, der schleppende Wiederaufbau, der völlig ungeklärte Status Tschetscheniens innerhalb der russischen Föderation - Gründe, das Problem Tschetschenien anzugehen, gibt es mehr als genug.