Mit diesen Worten leitet der syrische Al-Qaida-Stratege Mustafa as-Sitt-Mariam (sein Kampfname lautet Abu Musab as-Suri) eine monumentale Studie zur Geschichte des Dschihadismus ein, die er "Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand" nennt und die seit ihrem Erscheinen im Dezember 2004 zu einem der wichtigsten ideologischen und strategischen Leitfäden des transnationalen islamistischen Terrorismus wurde.
Er knüpft mit seinem Aufruf zur Abkehr von herkömmlichen Organisationsformen an die Entwicklung der Al-Qaida nach 2001 an: Die einzelnen Zellen, die nach 2001 Anschläge verübten, sind immer seltener an eine größere Organisation angebunden. Planung, Organisation und Durchführung der Anschläge übernehmen sie Zellen. Die Al-Qaida-Führung dagegen hat aus ihren Bergverstecken in Pakistan kaum noch Möglichkeiten, direkt auf die Anschlagsplanungen ihrer Anhänger weltweit einzuwirken. Vielmehr versucht sie, ihren Anhängern ihre Ideologie und Strategie in Audio- und Videobotschaften näherzubringen.
Es ist wenig überraschend, dass Abu Musab as-Suri aus seinem pakistanischen Versteck heraus versuchte, die neue Gestalt der Al-Qaida nach 2001 in eine ausformulierte Strategie einzubetten. Al-Qaida ist aufgrund der Verfolgung insbesondere durch die USA gezwungen, ihre frühere Struktur aufzugeben. Nach dem Verlust der afghanischen Basis konnten die amerikanischen Sicherheitsbehörden die Kommunikationswege Al-Qaidas identifizieren und hunderte ihrer Angehörigen aufspüren.
Die Gedanken, die der Strategie des führerlosen Widerstandes zugrund liegen, entstammen einer gleichnamigen Streitschrift des amerikanischen Rechtsextremisten Louis Beam (geb. 1946), der Anfang der 1980er-Jahre nach neuen Konzepten des Widerstands gegen den amerikanischen Staat suchte. Beam hatte beobachtet, dass hierarchisch strukturierte militante Organisationen mit genau identifizierbaren Kommunikationssträngen zu leicht von den Sicherheitskräften moderner Gesellschaften entdeckt und zerschlagen werden konnten, agierten sie auch noch so professionell. Deshalb sollten die Extremisten ihre Ideologie, Zielvorstellungen und strategischen Überlegungen verbreiten, so dass es einzelnen Zellen ganz ohne organisatorische Verbindung zu einer zentralen Führung gelingen konnte, unabhängig, aber in Einklang mit einer handlungsleitenden Ideologie zu agieren. Nur so, argumentierte Beam, sei es möglich, eine schnelle Aufdeckung und Zerschlagung der Organisation zu verhindern. Über ihre terroristischen Aktionen könnten die Gruppen zueinander finden, um eine landesweite Revolution auszulösen.
Waren Beams Vorstellungen in den 1980er-Jahren nur mit Mühe zu verwirklichen, änderte sich dies mit der Verbreitung des Internet. Mit dessen Hilfe ist es heute ohne Weiteres möglich, eine handlungsleitende Ideologie weltweit zu verbreiten - fast vollkommen ungehindert von staatlichen Stellen. Nachdem sich der Zugang zum Internet gegen Ende der 1990er-Jahre auch in der arabischen Welt verbreitete, wurden islamistische Terroristen auf Louis Beams Schrift aufmerksam und nutzten nach der Zerschlagung der alten Al-Qaida immer stärker die sich neu bietenden Kommunikationsmöglichkeiten. Allerdings agieren in der arabischen Welt selbst immer noch vorwiegend herkömmlich organisierte terroristische Organisationen. Unter den islamistischen Terroristen der Diaspora in Europa jedoch hat die Strategie des führerlosen Widerstands Anhänger gefunden.
Die Anschläge auf Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004 sind ein Beispiel dafür, wie das Konzept des führerlosen Widerstands in die Tat umgesetzt werden kann. Osama Bin Laden hatte die Zielrichtung vorgegeben: Im Oktober 2003 ließ er eine Audiobotschaft veröffentlichen, in der er zu Angriffen auf spanische, italienische und britische Ziele aufrief, weil diese Staaten Truppen in den Irak entsandt hatten. Ungefähr zeitgleich erschien ein Strategiepapier der Al-Qaida im Internet, in dem die bis heute unbekannten Autoren die Zielvorgaben Bin Ladens näher erläuterten. Im Zentrum stand die Forderung, die finanziellen, militärischen und politischen Kosten der Präsenz der USA im Irak zu erhöhen. Zu diesem Zweck sollten die Truppen der amerikanischen Verbündeten Italien, Spanien und Großbritannien im Irak angegriffen werden, um sie zum Rückzug zu bewegen. Ohne diese würde das amerikanische Engagement im Irak immer kostspieliger und damit auch ein Rückzug der US-Truppen wahrscheinlicher.
Im Falle Spaniens forderten die Autoren nicht näher definierte Schläge gegen die spanischen Truppen noch vor den am 14. März 2004 dort anstehenden Parlamentswahlen: "Wir müssen es unbedingt nutzen, dass in Spanien die landesweiten Wahlen schon in nächster Zeit im März 2004 folgen werden. Wir denken, dass die spanische Regierung nicht einmal zwei oder drei Schläge maximal aushalten wird, bis sie wegen des öffentlichen Drucks gezwungen sein wird, ihre Truppen zurückzuziehen. Wenn ihre Soldaten jedoch nach diesen Anschlägen bleiben sollten, ist ein Sieg der Sozialistischen Partei beinahe garantiert und dann wird der Abzug der spanischen Truppen auf ihrem Wahlprogramm stehen."
Tatsächlich sorgten die Anschläge und das katastrophale Krisenmanagement der Regierung Aznar für einen Wahlsieg der oppositionellen Sozialisten, die bis Sommer 2004 sogleich die spanischen Truppen aus dem Irak abzogen. Insofern handelte es sich bei den Anschlägen um eine fast perfekte Umsetzung des Strategiepapiers, in dem die politischen Folgen im Detail vorgezeichnet worden waren. Allerdings griffen nicht im Irak operierende Gruppierungen spanische Truppen an, sondern die Attentäter attackierten gleich "weiche Ziele" - ungeschützte Zivilisten im Herzen der spanischen Hauptstadt. Es handelte sich bei den Terroristen um sozio-ökonomisch unterprivilegierte und ungebildete junge Männer, teils um Kleinkriminelle, handelte, glaubte man lange, es müsse eine direkte Verbindung zu einem Planer im Hintergrund und einer größeren terroristischen Organisation geben müsse. Abu Musab as-Suri, der lange in Spanien gelebt hatte, wurde immer wieder als Verdächtiger genannt. Dennoch fanden die Sicherheitsbehörden keine Belege für die Einbindung der Täter in die Al-Qaida.
Obwohl nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, dass die Täter das Strategiepapier der Al-Qaida kannten, scheint dies doch höchst wahrscheinlich - auch, weil die Attentäter in einem Bekennervideo einen Hinweis auf das Papier lieferten. Dass sie sich zur Al-Qaida zugehörig fühlten, machten sie durch die Wahl des Anschlagsdatums, genau zweieinhalb Jahre nach dem 11. September, deutlich. Hier hatte sich erstmals eine terroristische Gruppierung mit nur indirekten Verbindungen zu Al-Qaida von Bin Ladens Zielvorgaben "inspirieren" lassen, sich dabei aber eng am strategischen Rahmen der Mutterorganisation orientiert. Madrid wurde zum ersten Beispiel des "führerlosen Widerstands", wie von Beam entworfen und von Abu Musab as-Suri im Jahr 2004 ausformuliert. Folgende Anschläge, wie der Mord an dem niederländischen Filmemacher van Gogh und die Attentate in Lonon im Juli 2001 folgten ähnlichen Mustern.
Die fehlende Bindung an eine übergeordnete Organisation macht die islamistischen Terroristen in Europa immer unberechenbarer. Häufig handelt es sich bei den Tätern um den Sicherheitsbehörden unbekannte Aktivisten, die erst vor kurzer Zeit rekrutiert wurden und die keine Kontakte zu bekannten Terrorverdächtigen haben. Terroristische Organisationen haben im "führerlosen Widerstand" - dafür sprechen die Äußerungen Suris, aber auch die Anschläge der letzten Jahre - eine erfolgreiche Strategie entdeckt, die sie in den nächsten Jahren weiter verfolgen werden, insbesondere, wenn sie mit den verhältnismäßig effektiven Sicherheitsbehörden der westlichen Welt konfrontiert sind. Dabei ist es unerheblich, dass Al-Qaida sich nicht aus freiem Willen, sondern unter weltweitem Verfolgungsdruck entschied, ihre Organisationsstruktur den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Entscheidend ist, dass sie die Vorteile eines solchen Vorgehens erkannt hat und den "führerlosen Widerstand" mittlerweile - wie von Abu Musab as-Suri ausformuliert einfordert.
Da die entsprechenden Texte problemlos über das Internet erhältlich sind, benötigen die Dschihadisten nicht einmal mehr Kontakte zum Vordenker ihrer neuen Strategie. Suri wurde im November 2005 in Pakistan verhaftet und befindet sich mittlerweile in amerikanischem Gewahrsam. Seine strategischen Vorstellungen verbreiten sich dennoch weltweit immer weiter. War Al-Qaida im Jahr 2001 noch eine weitgehend herkömmliche Organisation, die indes sehr spektakuläre Anschläge verübte, so ist sie heute tatsächlich ein "neues" Phänomen, dessen Bekämpfung in dem Maße erschwert wird, in dem Abu Musab as-Suris Thesen an Anhängern gewinnen.
Der Autor ist Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit.