Manche halten ihn für überflüssig, andere für dringend nötig. Was hat es auf sich mit dem Patriotismus, der Vaterlandsliebe? Was könnte seine "Wiederentdeckung" für die Gesellschaft, für ihr Gemeinwesen, bedeuten? Fragen, die sich um eine alte, in Deutschland historisch belastete Vokabel ranken. Antworten zu geben, ist nicht nur aus historischen Gründen so schwierig, sondern auch deshalb, weil es sich um einen theoretischen Begriff handelt, der eben nicht ganz einfach zu fassen ist. Auch deshalb war es wohltuend und gleichzeitig überraschend, dass ein sportliches Weltereignis im eigenen Land zumindest der Auslöser dafür war, dass die Deutschen diesen lange Zeit umstrittenen Begriff sympathisch und fröhlich mit Leben füllten - das zusammen mit vielen ausländischen Bürgern und Bürgerinnen. Die elektronischen Medien haben die in schwarz-rot-gold "gekleidete" Begeisterung, die einen unbefangenen, unverkrampften Umgang mit den nationalen Farben sichtbar machte, um die Welt getragen. Bundespräsident Horst Köhler brachte es in einer auflagenstarken deutschen Tageszeitung sogar so auf den Punkt: "Ich finde es gut, dass ich nicht mehr der einzige bin mit einer Flagge am Auto." Ganz häufig lautete der begleitende Kommentar in den Medien, dass ein Stück Normalität zurückgekehrt sei, in der Art und Weise, wie die Deutschen ein nationales, ein "Wir-Gefühl", ausgedrückt haben.
Doch die entscheidende Frage ist, was kommt jetzt? Zurzeit erzählt die Illusionsmaschine Kino Sönke Wortmanns Fußballmärchen dieses Sommers. Irgendwann fällt auch für diesen Film der letzte Vorhang. Es wäre wichtig, dass etwas bleibt - nach dem "Partyotismus". Dazu braucht es Anregendes, Nachdenkenswertes und Reflektiertes. Als Angebot dafür versteht sich diese Themenausgabe von "Das Parlament". Es ist außerordentlich spannend, den Begriff Patriotismus genauer unter die Lupe zu nehmen. Das haben ausgewiesene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Politiker und Politikerinnen, aber vor allem Journalisten und Journalistinnen unter ganz unterschiedlichen Themenstellungen gemacht. Dabei wurde klar: Die Diskussion über den Patriotismus rückt auf dem aktuellen deutschen "Selbsterfahrungs- und Selbsterforschungstrip" weitere Themen ins Zentrum der Betrachtung. Begriffe wie Nation, Heimat, Gemeinsinn, Werte, Integration und Europa stechen dabei hervor. Und auch der häufig diffamierte Begriff "Leitkultur" erscheint jetzt in einem anderen differenzierten Licht. Der Themenbogen in dieser Ausgabe spannt sich über die aktuelle Diskussion, die historische Dimension, das gesellschaftliche Spektrum, über Positionen zum Patriotismus in der Wirtschaft bis hin zur Meinung der anderen über uns. Der Eindruck ausländischer Journalisten und Journalistinnen, die Deutschland mit mehr Distanz beobachten, ist deshalb interessant, weil sie uns anders wahrnehmen, weil gerade sie durch die Außensicht die negativen Seiten von Patriotismus am ehesten diagnostizieren würden.
Patriotismus ist in der Psychologie den menschlichen Beziehungssystemen zugeordnet und bedeutet die Liebe zu den Seinen. Das bedeutet auch: Patriotismus integriert. Im Unterschied zum Nationalismus. Dieser grenzt aus. Eine wichtige Differenzierung, denn nur somit wird klar, dass Patriotismus nie nur eine gemäßigte Form des Nationalismus sein kann und sein darf. Auch diese Diskussion wird im Themenheft aufgegriffen.
Der Blick nach vorn weist nach Europa. Stößt hier der Patriotismus an seine Grenzen? Offenbar nicht, folgt man einer aktuellen europaweiten Studie der Universität Köln. Sie fördert zutage, dass diejenigen, die sich als Patrioten verstehen, auch stolzer sind, Europäer zu sein. Kein Widerspruch, denn der Kölner ist auch Nordrhein-Westfale und der Münchner Bayer. Aber wahrscheinlich ist er vor allem erst einmal Lokalpatriot.
Die Autorin ist Journalistin in Bonn.