Das Parlament: Deutschland steht derzeit in der Kritik verschiedener NATO-Partner bezüglich seines Engagements in Afghanistan. Wird sich Deutschland auf Dauer dem Wunsch nach einem Einsatz der Bundeswehr im umkämpften Süden des Landes verschließen können?
Reinhold Robbe: Es steht mir als Wehrbeauftragten zwar nicht an, dazu politische Kommentare abzugeben. Aber ich will so viel sagen: Die Aufgabenverteilung in Afghanistan unter den NATO-Verbündeten war von Anfang an klar geregelt. Die politische und militärische Führung der Bundeswehr ist überzeugt davon, dass diese Aufgabenverteilung, insbesondere was den deutschen Part betrifft, richtig ist. Unsere Soldaten leisten dort eine hervorragende Arbeit - davon habe ich mir bei meinen Truppenbesuchen mehrfach selbst ein Bild machen können. Insofern sollte man relativ gelassen bleiben, was gewisse Äußerungen angeht. Vor allem können die deutschen Soldaten sicher sein, dass die politisch Verantwortlichen in Regierung und Parlament ihre Entscheidungen nicht von tagespolitischen Dissonanzen abhängig machen. Der Einsatz in Afghanistan ist langfristig angelegt und in seiner Struktur mehr als nur einmal durchdacht worden. Nach meiner Einschätzung wird es deshalb auch bei der derzeitigen grundsätzlichen Aufgabenverteilung bleiben.
Das Parlament: Wie beurteilen denn die deutschen ISAF-Soldaten den Vorwurf, sie säßen im sicheren Norden, während ihre NATO-Kameraden im Süden bluten müssen?
Reinhold Robbe: Die Soldaten wissen, dass sich zum Zeitpunkt der Aufgabenverteilung die Situation noch ganz anders dargestellt hat. In der Vergangenheit kam es im Norden oftmals zu besorgniserregenden und gefährlichen Situationen. Und es ist ja nicht so, dass der Norden beruhigt oder stabil wäre. Auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sind die Gefahren allgegenwärtig.
Das Parlament: Das Engagement am Hindukusch zerfällt in zwei Teile --den ISAF-Einsatz, der der Stabilisierung Afghanistans dienen soll, und die Operation Endurig Freedom, einem Kampfauftrag gegen Terroristen. Macht diese Trennung angesichts der heftigen Gefechte mit den Taliban noch Sinn?
Reinhold Robbe: Diese Frage ist von den politisch Verantwortlichen zu entscheiden. Als Wehrbeauftragter habe ich mich dann mit den Folgen auseinander zu setzen. Aber die Aufteilung macht deswegen Sinn, weil die Operation Enduring Freedom unter besonderen Bedingungen als offensiver Einsatz abläuft. Deshalb kann ich mir eine Vermengung der beiden Missionen nicht vorstellen. Die Gefahren durch den internationalen Terrorismus sind ja nicht geringer geworden - ganz im Gegenteil. Sie sind größer denn je. Deswegen macht die Trennung der beiden Einsätze Sinn. Das bestätigen mir auch die deutschen Soldaten des ISAF-Einsatzes und der Operation Enduring Freedom.
Das Parlament: Die Beteiligung an Enduring Freedom ist vom Bundestag am 9. November um weitere zwölf Monate verlängert worden - allerdings mit einer deutlich niedrigeren Zustimmungsrate als in den Jahren zuvor. Selbst aus der Regierungskoalition kamen etliche Nein-Stimmen und Enthaltungen. Ist dies in der Truppe negativ registriert worden?
Reinhold Robbe: Nein. Die Soldaten können sehr gut beurteilen, wie derartige Abstimmungen zu Stande kommen, dass in allen Fraktionen Abgeordnete zu finden sind, die aus welchen Gründen auch immer einer solchen Mission nicht zustimmen oder sich der Stimme enthalten. Wichtig ist, dass es bislang bei allen Abstimmungen im Parlament über die unterschiedlichen Auslandseinsätze eine ganz deutliche Mehrheit gegeben hat. Das gibt den Soldaten zum einen Sicherheit mit Blick auf den rechtlichen Hintergrund der Einsätze und zum anderen die nötige moralische Unterstützung - vor allem dann, wenn sich die Sicherheitssituation im Einsatzgebiet verschlechtert und wenn es zu Anschlägen kommt.
In der Bundeswehr findet sich ja das gleiche politische Meinungsspektrum wie im Bundestag und in der Gesellschaft. Die Soldaten wissen zwar, dass ihr Beruf nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam funktioniert, dementsprechend loyal verrichten sie ihren Dienst. Trotzdem gehen sie natürlich auch mit einer eigenen politischen Einstellung in den Einsatz. Und sie lesen mindestens so intensiv die Zeitung wie die politisch Verantwortlichen, manchmal vielleicht sogar noch intensiver. Und sie nehmen alles sehr sensibel wahr, was sich von links bis rechts im Spektrum der Meinungen bewegt. Genau so, wie wir es von einem Staatsbürger in Uniform erwarten.
Das Parlament: Wahrgenommen haben dürften die Soldaten auch, dass ihr öffentliches Image durch die Bilder der mit Totenschädeln posierenden Angehörigen der ISAF-Truppe beschädigt wurde. Wie beurteilen die Soldaten denn ihr Bild in der Öffentlichkeit?
Reinhold Robbe: Ich hatte in den vergangenen Wochen Gelegenheit, mit vielen Soldaten darüber zu sprechen. Zum einen konnte ich mehrheitlich eine große Betroffenheit unter den Soldaten über diese Vorkommnisse feststellen. Gleichzeitig aber auch die Erwartung, dass alle, die in irgendeiner Weise zur Meinungsbildung beitragen - ich sage es mal in der Sprache der Soldaten -, "die Kirche im Dorf lassen". Diese Vorkommnisse waren ganz klar nicht in Ordnung und müssen aufgearbeitet werden. Und es muss die Frage gestellt werden, ob wir in bestimmten Bereichen der Ausbildung nachsteuern müssen. Aber man muss eben auch die Relationen sehen: 99,99 Prozent der über 200.000 Soldatinnen und Soldaten, die bislang in Auslandseinsätzen waren, haben ihren Auftrag und ihre Pflicht vernünftig erfüllt. Und die darf man nicht gleichsetzen mit einigen wenigen, die sich nicht korrekt verhalten haben. Das wird von den Soldaten unisono so gesehen und ich unterstütze diese Sicht.
Das Parlament: Werden die Soldaten auf die Auslandseinsätze denn richtig vorbereitet? Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Bundeswehr in diesem Zusammenhang unangenehm auffällt. Vor zwei Jahren sorgte der Standort Coesfeld für Schlagzeilen, als Ausbilder Rekruten misshandelten mit dem Argument, dies gehöre zur Ausbildung.
Reinhold Robbe: Da muss man differenzieren. Die Vorfälle in Coesfeld darf man in gar keinem Fall mit den Vorkommnissen um die besagten Fotos vermengen. Die Vorfälle in Coesfeld sind sehr akribisch aufgearbeitet worden und es wurden im Bereich der Ausbildung von Ausbildern nach dem Prinzip "Lektion gelernt" die auch aus meiner Sicht richtigen Konsequenzen gezogen.
Ansonsten ist es so, dass die Soldaten fachlich in jeder Hinsicht optimal ausgebildet werden. Ich behaupte, wir haben beispielsweise die besten Fallschirmjäger, wir haben die besten Sanitäter in der Bundeswehr, die allen internationalen Maßstäben Stand halten. Deswegen sind die Einsätze bisher auch so gut verlaufen. Und wir haben ein Faustpfand - das Prinzip der Inneren Führung. Jeder Soldat weiß, dass er nicht nur einen Einsatzbefehl erhält, sondern er soll in den Einsatzgebieten unser Menschenbild verkörpern und unsere Grundrechte sowie die Menschenrechte vertreten. Wir müssen aber sicherlich immer wieder neu prüfen, inwieweit die Soldaten auch mental richtig auf die Einsätze vorbereitet werden.
Das Parlament: Das bedeutet konkret?
Reinhold Robbe: Ich habe im Vorfeld des Kongo-Einsatzes ja darauf hingewiesen, dass es nicht nur wichtig ist, die Soldaten fachlich auszubilden. Ebenso wichtig ist es, dass die Soldaten hinsichtlich der kulturellen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in den Einsatzgebieten optimal vorbereitet werden.
In Zentralafrika herrschen nun einmal andere Gesetzmäßigkeiten. Vor Ort gewinnt man schnell den Eindruck, dass der Wert eines Menschen dort ein anderer ist als bei uns. Dort werden die doch sehr jungen Soldaten mit Dingen konfrontiert, die für uns nahezu unvorstellbar sind. Dass zum Beispiel jemand wegen einer gestohlenen Armbanduhr umgebracht wird oder dass Menschen am Straßenrand dahinvegetieren, weil ihnen Nahrung und Medizin fehlen. Darauf muss man unsere Soldatinnen und Soldaten mental so gut es geht vorbereiten. Deshalb muss auch die Ausbildung von Einsatz zu Einsatz entsprechend angepasst werden. Dies ist auch eine Art Prävention mit Blick auf posttraumatische Störungen, die bei unseren Soldaten zunehmend häufiger festzustellen sind. Natürlich wird es immer Soldaten geben, die mit solchen Szenarien nicht klar kommen und diese nicht verkraften können. Meine Aufgabe sehe ich auch darin, dass alles getan wird, um diesen Soldaten zu helfen. In dem Bereich müssen wir optimal aufgestellt sein, um den zukünftigen Belastungen zu begegnen.
Das Parlament: Ist dies nur eine Frage der richtigen Ausbildung? Spielen hier nicht auch Charaktereigenschaften und der Bildungsgrad eine ebenso wichtige Rolle? Steht der Bundeswehr denn überhaupt der geeignete Nachwuchs zur Verfügung?
Reinhold Robbe: Ich bin sehr froh, dass alle militärisch Verantwortlichen - vom Generalinspekteur bis zu den Zentren für Nachwuchsgewinnung - stark darauf achten, dass die Soldaten nicht nur die körperlichen Voraussetzungen für ihren Beruf mitbringen, sondern insbesondere auch die geistigen und die charakterlichen. Die werden aber nun mal in erster Linie im Elternhaus und in der Schule vermittelt. Ein bekannter Politiker hat mal gesagt, die "Schule der Nation" ist die Schule und nicht die Armee. Dieser Satz ist noch immer gültig. Deswegen warne ich davor, die Defizite, um die wir im Bildungsbereich seit langer Zeit wissen, bei der Bundeswehr abzuladen. Die Ausbilder können nichts dafür, dass manch junger Mensch nicht über die geistigen Voraussetzungen für eine moderne Armee verfügt. Ich besuche regelmäßig die Kreiswehrersatzämter und die Zentren für Nachwuchsgewinnung, um mir selbst ein Bild von der Leis-tungsfähigkeit der jungen Generation zu machen. Und diese ist in der Tat manchmal schon sehr bedenklich.
Das Parlament: Sie bekleiden seit gut eineinhalb Jahren das Amt des Wehrbeauftragten. Konnten Sie in dieser Zeit eine Veränderung bezüglich der angespannten Stimmung innerhalb der Bundeswehr feststellen?
Reinhold Robbe: Nun, gravierende Veränderungen kann ich nicht feststellen - sehr wohl aber partielle. Die Truppe ist durch den gewaltigen Umbau der Bundeswehr, der längst noch nicht abgeschlossen ist, stark belastet und die Anforderungen durch die Auslandseinsätze sind nicht geringer geworden, sondern haben im Gegenteil noch zugenommen. Deswegen bin ich sehr froh, dass die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister, aber auch der Finanzminister mehr als einmal darauf hingewiesen haben, dass die Bundeswehr auch finanziell das bekommen muss, was sie benötigt. Das bezieht sich zum einen auf die Ausrüstung, aber auch auf die Bezahlung der Soldaten.
Ich weise immer wieder darauf hin, dass zwei Drittel unserer Soldatinnen und Soldaten den unteren Einkommensgruppen angehören. In der Öffentlichkeit kursieren da oftmals recht abstruse Vorstellungen diesbezüglich. Die Soldaten haben in den letzten Jahren die gleichen Kürzungen hinnehmen müssen wie der gesamte öffentliche Dienst. Aber allein die Tatsache, dass die Soldatinnen und Soldaten ihre Gesundheit und notfalls auch ihr Leben einsetzen für die Ziele unserer Demokratie und die Verteidigung unserer Werte ermächtigt sie auch, besondere Erwartungen an den Staat zu haben hinsichtlich ihrer Besoldung und Versorgung. Und da gibt es einiges zu tun. Nicht ohne Grund steht diese Problematik oben auf der Liste der rund 6.000 Eingaben, die ich jährlich aus der Truppe bekomme.
Das Parlament: Der Satz "Die Bundeswehr muss das bekommen, was sie benötigt" lässt sich natürlich auch umdrehen. Sprich, wenn der Verteidigungsetat nicht merklich erhöht wird, dann muss auch bei den Aufgaben - zum Beispiel bei den Auslandseinsätzen - abgespeckt werden ...
Reinhold Robbe: Richtig. Genau das ist der Punkt. Und deswegen bin ich auch froh, dass im Vorfeld des Libanon-Einsatzes der Verteidigungsminister sehr deutlich gesagt hat, dass die Bundeswehr in bestimmten Bereichen an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gestoßen ist. Wir müssen zukünftig in jedem Fall genau prüfen, wo werden diese Grenzen der Belastbarkeit erreicht, und gegebenenfalls auch einmal deutlich sagen, dass jetzt andere in der Europäischen Union oder innerhalb der NATO gefragt sind. Das ist, und das höre ich bei meinen Truppenbesuchen immer wieder, auch die Erwartung der Soldaten an die militärisch und politisch Verantwortlichen.
Das Parlament: Den Satz "Wir sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen" hört man aus der Bundeswehr nun aber schon seit mehreren Jahren. Und trotzdem findet sich Deutschland bei jedem neuen internationalen Einsatz wieder ganz oben auf der Liste der Truppensteller...
Reinhold Robbe: Ich glaube aber, dass sich hier in den letzten zwei Jahren etwas in der Wahrnehmung verändert hat. Es ist mehr Verständnis für die Belange der Bundeswehr zu bemerken. Nicht nur bei den Fachpolitikern im Bundestag, sondern auch bei jenen Abgeordneten, die eigentlich mit ganz anderen Aufgabenschwerpunkten befasst sind - insbesondere wenn es um die Verteilung der knapp bemessenen Haushaltsmittel geht. Das lässt nach meiner festen Überzeugung für die Zukunft hoffen.
Das Interview führte Alexander Weinlein