Matthew Bogdanos ist Staatsanwalt in New York, Oberst der Reserve der Marineinfanterie und Amateurboxer mit einem Abschluss in Klassischer Altertumswissenschaft in einer Person. In Afghanistan und im Irak führte er eine ungewöhnliche Einheit, die Soldaten, Kriminalbeamte, Zollfahnder und Geheimdienstler in ihren Reihen hatte. Durch Zufall stieß Bogdanos auf die „Diebe von Bagdad“, die das weltberühmte Irak-Museum mit seinen Schätzen aus der Anfangszeit der Zivilisation ausgeraubt hatten. Seine Bucheinnahmen hat Matthew Bogdanos dem Irak-Museum in Bagdad gestiftet. Im Januar bat die irakische Regierung das Pentagon formell, Bogdanos zur Fortsetzung der Ermittlungen erneut nach Bagdad zu schicken.
Das Parlament: Colonel Bogdanos, Ihre Einsatzgruppe hatte zu-nächst wenig mit Antiquitäten zu tun.
Bogdanos: Wir suchten im Süden des Irak nach Belegen für Verstöße gegen Sanktionen der Vereinten Nationen.
Das Parlament: Sie stießen auf die doppelte Buchführung im Öl-für-Lebensmittel-Programm. Sie entdeckten, dass eine "ansonsten befreundete Nation" dem Irak kurz vor Kriegsbeginn chinesische Anti-Schiffs-Marschflugkörper geliefert hatte. Warum nennen Sie sie nicht beim Namen?
Bogdanos: Das war und ist vermutlich immer noch geheim. Es waren Europäer; mehr kann ich dazu nicht sagen.
Das Parlament: Schließlich hat Sie eine empörte Journalistin nach Bagdad in Marsch gesetzt...
Bogdanos: Eine Journalistin der BBC schrie mich an: "Ihr Macho-Arschlöcher sucht hier nach Geld und Waffen, und in Bagdad wurde das schönste Museum der Welt geplündert." So war es. Wir hatten als einzige Ermittlungserfahrung und die erforderlichen Leute; also haben wir den Fall übernommen.
Das Parlament: Alle Welt wurde vom Ausmaß der Plünderungen überrascht. Sie auch?
Bogdanos: Bei den Regierungsgebäuden und Präsidentenpalästen nicht; überrascht hat mich, wie sehr das Irak-Museum mit dem Regime identifiziert wurde. Für den Durchschnittsiraker war es das Museum Saddam Husseins, nicht das eigene. Das habe ich unterschätzt.
Das Parlament: Die Öffentlichkeit hatte keinen Zutritt?
Bogdanos: Einmal an Saddams Geburtstag war es geöffnet. Im Nachhinein weiß ich, dass das Museum hätte besser geschützt werden müssen
Das Parlament: Die ersten Berichte klangen verheerend: 170.000 Artefakte sollten gestohlen worden sein...
Bogdanos: Nach ein paar Stunden im Museum war mir klar, dass diese Zahl falsch war. Sie war absichtlich falsch, um die Weltmeinung zu mobilisieren. Das hat geklappt; anders wäre auch ich kaum nach Bagdad gekommen. Als sich abzeichnete, dass nicht 170.000 Stücke verschwunden waren, sondern 40 der unersetzlichen Schätze aus der Ausstellung und 14.000 weitere Stücke aus den Magazinen, hörte man einen kollektiven Seufzer der Erleichterung. Nur 14.000! Dabei ist schon eines eine Tragödie.
Das Parlament: Ein Marburger Professor berichtete, Anwohnern zufolge hätten amerikanische Soldaten die Plünderer angefeuert...
Bogdanos: Ich war empört, als ich das hörte. Ich hab meinen Chef angerufen: "Der Herr sei unseren Soldaten gnädig, die daran in irgendeiner Form beteiligt waren." "Völlig richtig", sagte der. Wir haben es sorgfältig untersucht; für eine Beteiligung amerikanischer Soldaten gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Einerseits ist die Welt empört, weil unsere Truppen das Museum nicht geschützt haben. Das ist richtig, sie sind ihm lediglich auf 1.000 Meter nahe gekommen. Es liegt hinter einer Anhöhe und kann nicht eingesehen werden. Anderseits empört man sich über Berichte, amerikanische Soldaten hätten die Plünderer unterstützt. Beides geht nicht.
Das Parlament: Auf dem Umschlag der amerikanischen Ausgabe Ihres Buches sieht man eine verschwundene, fast 3.000 Jahre alte assyrische Elfenbeinarbeit, die Löwin mit dem Nubier-Jungen.
Bogdanos: Es ist mein Lieblingsstück; es hätte auch auf den Umschlag der deutschen Ausgabe gehört.
Das Parlament: Auf der sieht man die Front des Kindermuseums mit dem Granateinschlag...
Bogdanos: Das ist anbiedernde Manipulation, mit Kunstdiebstahl hat das nichts zu tun. Das ist eine politische Aussage; meine Botschaft ist unpolitisch.
Das Parlament: Es ist der Einschlag einer amerikanischen Panzer-granate...
Bogdanos: Amerikanische Soldaten, 1.000 Meter entfernt, erfuhren von angeblichen Plünderungen in der Nähe des Museums und des Krankenhauses. Ein Panzerkommandant bat um Erlaubnis, dies aufzuklären. Als er die Anhöhe erreichte, wurde er vom Dach des Kindermuseums mit panzerbrechenden Waffen angegriffen. Er feuerte eine Granate zurück, die zwei irakische Soldaten getötet haben muss. Das Museum war eine befestigte Stellung, die, Anwohnern zufolge, von 100 bis 150 Mann der Special Republican Guard gehalten wurde. Der Panzerkommandant - ein ehemaliger Geschichtslehrer - erkannte, dass ein Gefecht das Museum hätte zerstören können. Er entschied - taktisch falsch, aber kulturell brillant -, sich zurückzuziehen. Damit hatten die Plünderer freies Feld.
Das Parlament: Nach Ihren Ermittlungen sind für den Raubzug mehrere Tätergruppen verantwortlich.
Bogdanos: Mindestens drei. Zunächst die Professionellen. Einige sollen ein, zwei Wochen vor Kriegsbeginn angereist sein und auf die Gelegenheit ihres Lebens gewartet haben, auf die 48, 72 oder 96 Stunden im Museum. Zusätzlich gab es mehrere Wellen von Plünderern, 200 bis 400 Mann. Originellerweise sind 95 Prozent der Artefakte, die sie raubten, wieder da.
Das Parlament: Hatten die professionellen Plünderer Helfer unter den Mitarbeitern des Museums?
Bogdanos: Aus den Kellermagazinen wurden
über 5.000 Zylindersiegel gestohlen; einer kann bis zu 250.000
Dollar bringen. Hier müssen Insider am Werk gewesen sein, die
an die Schlüssel herankamen und die versiegelten Räume
kannten. In den oberirdischen Magazinen fanden sich keine Anzeichen
für ein gewaltsames Eindringen. Entweder hatten die Diebe
Schlüssel oder die Türen standen offen, was ich vermute.
Aus Nachlässigkeit oder weil es jemand mit vorgehaltener Waffe
erzwang. Oder weil jemand den Eindruck erwecken wollte, die
einfachen Plünderer hätten sich auch über die
wertvollsten Schätze der Ausstellung und das
Untergeschoß hergemacht. Wir haben es mit drei sich
überlappenden Diebstählen zu tun.
Zudem dürften in den Jahrzehnten, Jahren, Monaten und Wochen
vor dem Krieg an die 60.000 Artefakte systematisch entfernt worden
sein.
Das Parlament: Eines der ältesten Kultgefäße der Menschheit wurde zurückgebracht; der alabasterne Frauenkopf von Warka konnte auf einer Farm ausgegraben werden. Glauben Sie, dass noch weitere Stücke auftauchen?
Bogdanos: Stücke, die sich sofort identifizieren lassen, werden kaum auf dem Markt auftauchen, wohl aber Zylindersiegel und kleinere Stücke, nach einer Abkühlphase. Als syrische, türkische oder jordanische Antiquitäten; niemand bei Verstand wird irakische Zylindersiegel anbieten.
Das Interview führte Klaus Jürgen Haller.
Matthew Bogdanos: Die Diebe von Bagdad - Raub und Rettung der ältesten Kunstschätze der Welt. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, 432 S., 19,90 Euro.