Sie wirken schon fast ein wenig ungewohnt, diese Bilder mit einem entspannten, lächelnden, fröhlichen Klaus Wowereit. In der vergangenen Woche gab es sie mal wieder zu sehen, als der Regierende Bürgermeister von Berlin auf Dienstreise in Namibia, weilte: Wowereit am Flughafen mit seinem Amtskollegen aus Windhuk, Wowereit beim Eintrag ins Gästebuch der Stadt, Wowereit beim Wippen mit Kindern.
So viel Vergnügtheit konnte er selten zeigen in den vergangenen Wochen. Zuletzt stand die politische Karriere des 53-jährigen Sozialdemokraten, Regierungschef in der Hauptstadt seit 2001, vor ihrem abrupten Ende. Er hatte es nicht mehr in der Hand. Er hatte Glück."Klaus Simonis", höhnte an jenem Donnerstag, den 23. November, der polemisch begabte FDP-Fraktionschef Martin Lindner im Berliner Abgeordnetenhaus: So solle sich Wowereit künftig nennen - eine Anspielung auf das blamable Scheitern der ehemaligen SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein im Jahr 2005. Wowereits erster Versuch, zum Regierenden Bürgermeister gewählt zu werden, war soeben schief gegangen. Die erforderliche Mehrheit von 75 Ja-Stimmen hatte er nicht bekommen, was selbst die Parlamentsverwaltung dermaßen verwirrte, dass Präsident Walter Momper Wowereit zwischenzeitlich für gewählt erklärte. Doch es fehlte eine Stimme.
Die Opposition aus CDU, Grünen und FDP hatte geschlossen gegen Wowereit votiert - zwei Enthaltungen aber kamen aus dem Lager der Regierungsfraktionen von SPD und Linkspartei/PDS. Die knappe Drei-Stimmen-Mehrheit von Rot-Rot war so gleich bei der ersten Bewährungsprobe in sich zusammengefallen.
Und auch wenn im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit aller abgegebenen Stimmen zustande kam: Grund zur Erleichterung hatte Wowereit nicht. Denn diesmal gab es zwar eine Ja-Stimme mehr, aber eben auch ein Nein. Das war in den fünf Jahren zuvor nicht einmal passiert: Irgendjemand, einer von 76 Parlamentariern der rot-roten Koalition, hatte tatsächlich die Seiten gewechselt und mit der Opposition gegen den eigenen Spitzenmann gestimmt. Das war der Versuch, Wowereits Amtszeit auf einen Streich zu beenden, denn der Regierende Bürgermeister hatte in der Sitzungspause zwischen den Wahlgängen allen rot-roten Fraktionären klar gemacht, dass er nur noch einmal antrete. Er könne sich durchaus auch ein anderes Leben vorstellen, soll er gesagt haben. Damit war klar, worauf es ankommt. Seit diesem Tag im November suchen die rot-roten Koalitionäre verzweifelt nach Gründen für das Auftaktdesaster - und beruhigen sich mit der Feststellung, dass jene erste Wahl ja eine der wenigen geheimen während der gesamten Legislaturperiode war. Carola Bluhm, Vorsitzende der Linksfraktion, und ihr SPD-Partner, der Fraktions- und Parteichef Michael Müller, hatten für die eigenen Leute jeweils ausgeschlossen, dass einer oder eine gegen Wowereit gestimmt haben könnten. Da sich beide Thesen ausschließen, beschloss man schnell, den Abtrünnigen gar nicht finden zu wollen. Müller, der gerade noch die "Verlässlichkeit" der Linkspartei, im Gegensatz etwa zu den Grünen, hervorgehoben hatte, behauptet jetzt: "Es ist müßig, da- rüber zu spekulieren." Und: "Ich rechne die nächsten fünf Jahre mit einer stabilen Mehrheit." Müller kann sich dabei keinesfalls sicher sein, dass es kein Sozialdemokrat war. Zwar schauten im ersten Moment alle zur Linkspartei, in der es ja wegen des schlechten Wahlergebnisses Widerstand gegen eine zweite rot-rote Koalition gab und gibt. Auch sitzt in der sozialistischen Fraktion der von Wowereit aus dem Amt gedrängte Ex-Kultursenator Thomas Flierl, dessen Ressort der Regierende gleich mitübernahm. Allerdings haben alle diese Kritiker ihre Einwände stets öffentlich ausgetragen. "Wer sich vorher so zu erkennen gibt", sagt jemand aus Wowereits Umfeld, "der macht doch nicht plötzlich den Heckenschützen."
Allein die Möglichkeit, dass es einer von 53 Berliner Sozialdemokraten war, ist aber schon eine neue Qualität in Berlin. Denn Wowereit konnte sich, auch dank seines loyalen Helfers Müller, in den vergangenen fünf Jahren stets voll auf die Parteifreunde in der Fraktion verlassen. Auf den Parteitagen liefen Kandidatenkür und Beschlussfassung zum zweiten rot-roten Bündnis samt Koalitionsvertrag stets reibungslos, nämlich fast einstimmig. Genau dies aber könnte auch ein Problem gewesen sein, heißt es nun in der Koalition. Während die Linkspartei öffentlich mit der Regierungsrolle hadert und die Konflikte teilweise selbstquälerisch austrägt, herrsche in der SPD die Neigung vor, die Genossen auf Linie zu bringen, um die Ein-Mann-Show Wowereit nicht zu gefährden. Das kann Frustration schaffen.
Besonders dann, wenn der inszenierte Glanz ganz und gar nicht zu den Auftritten passen will, die er in den vergangenen Wochen absolvierte. Nach dem Nein der Bundesverfassungsrichter zu weiteren Schuldenhilfen für Berlin fiel er, dessen Name bereits als Kanzlerkandidat gehandelt wurde, republikweit nur noch als Nörgler und Trotzkopf auf. Dem Bund diente er die Staatsoper an, forderte mehr Geld für die Hauptstadt und verweigerte sich zusätzlichen Sparanstrengungen - und er tat dies alles so undiplomatisch, dass ihn selbst die nicht mehr unterstützen konnten, die es gewollt hätten.
Was ist los mit Wowereit, fragten sich zuletzt viele Genossen. Hat ihn das Glück verlassen? Oder ist es auch seine Schuld, wenn sein früheres Selbstbewusstsein als Interessenvertreter Berlins plötzlich wie eine Attitüde voller Selbstherrlichkeit ankommt. Vielleicht hat ihm die Reise nach Namibia ein wenig geholfen. Deutschsprachige Medien vor Ort lobten den Gast aus Berlin als "wissbegierig und begeisterungsfähig". So viel Freundliches konnte er zu Hause schon lange nicht mehr über sich lesen.