Bis 3:53 Uhr wurde verhandelt. Dann traten Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der damalige Unions-Fraktionsvize Horst Seehofer (CSU) erschöpft, aber gut gelaunt vor die Presse. Es sei "eine der schöneren Nächte in meinem Leben gewesen", bekannte Seehofer nach einem 13-stündigen Verhandlungsmarathon.
Das war am 21. Juli 2003. Damals hatten sich die Regierungsparteien SPD und Grüne sowie die Opposition aus CDU/CSU und FDP auf die Eckpunkte für eine Gesundheitsreform geeinigt. Um den Kompromiss zu erzielen, waren in der Nacht sogar noch der damalige SPD-Parteivorsitzende, Bundeskanzler Gerhard Schröder, und CDU-Chefin Angela Merkel wach geklingelt worden. Das brachte den Durchbruch für das "Gesundheitsmodernisierungsgesetz" (GMG), das ein halbes Jahr später nach den Beratungen in Bundestag und Bundesrat zum 1. Januar 2004 in Kraft trat.
Der Druck auf eine umfassende Reform im Gesundheitswesen war Anfang 2003 enorm gestiegen. Der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung betrug 14,3 Prozent und lag damit zwei Prozentpunkte über dem Wert von 1991. Zwar sei das deutsche Gesundheitswesen grundsätzlich leistungsfähig und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet, hieß es in der Gesetzesbegründung für das GMG. Jedoch existierten gleichzeitig Über-, Unter- und Fehlversorgung. Einen ersten Vorschlag für eine Reform legten SPD und Grüne unter Federführung von Ministerin Schmidt im Frühjahr 2003 vor. Der Gesetzentwurf wurde jedoch von der Opposition aus CDU/CSU und FDP weitgehend verworfen, so dass es im Sommer zu Konsensgesprächen kam. Am Ende wurde eine Reform vereinbart, deren Schwerpunkt auf einer Verbesserung der finanziellen Situation der Krankenkassen lag. Ziel war eine Senkung der Beitragssätze auf durchschnittlich 13 Prozent bis 2007. Das sollte unter anderem durch eine höhere Eigenbeteiligung der Patienten und Leistungsausgrenzungen erreicht werden. Als wichtigste neue Zuzahlung wurde beispielsweise die Einführung einer Praxisgebühr von zehn Euro je Quartal beschlossen, sowie Zuzahlungen bei Medikamenten und eine Selbstbeteiligung bei einem Krankenhausaufenthalt.
Zahlreiche Leistungen wurden mit der Reform gestrichen, so das Sterbe- und Entbindungsgeld sowie Leistungen für Sterilisation. Auch nicht verschreibungspflichtige Medikamente und Brillen müssen seit 2004 selbst bezahlt werden. Der ursprünglich geplante Ausschluss von Zahnersatz aus dem Leistungskatalog wurde zwar später aus Gründen der Praktikabilität wieder fallen gelassen. Dafür müssen die Versicherten jedoch seit 1. Juli 2005 die Ausgaben für Zahnersatz und Krankengeld allein tragen. Der Beitragsanteil der Arbeitnehmer stieg so um 0,45 Prozentpunkte, während der der Arbeitgeberanteil um diesen Betrag sank. Heute liegt der Beitragssatz bei durchschnittlich 13,3 Prozent und damit niedriger als vor der Reform 2003. Wird allerdings der Sonderbeitrag der Versicherten von 0,9 Prozent hinzugerechnet, dann bewegt sich der Satz auf dem Niveau von 2003. Eine echte Senkung der Beiträge hat es also nicht gegeben, wohl aber eine Stabilisierung.
Die Reform stellte auch die Weichen für mehr Wettbewerb. So erhielten die Krankenkassen mehr Möglichkeiten, ihre Tarife zu gestalten. Bei den Apotheken fiel das Versandhandelsverbot mit Medikamenten und die Krankenhäuser wurden in einem begrenzten Maße für ambulante Leistungen geöffnet.
Die Bilanz der Reform ist heute durchwachsen. Denn inwiefern die Maßnahmen der Gesundheitsreform 2003 tatsächlich zur besseren Versorgung der Patienten geführt haben, lässt sich nach Ansicht von Gesundheitsexperten allein mit Zahlen über die Inanspruchnahme neuer Versorgungsformen nicht nachweisen.
Der Autor ist Redakteur der "Berliner Zeitung".