Offiziell heißt es "Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung". Die Krankenkassen sprechen dagegen vom "Wettbewerbschwächungsgesetz", Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) von einem "bürokratischen Monster": Nach monatelangen Auseinandersetzungen hat sich die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD Anfang Oktober auf eine Gesundheitsreform geeinigt.
Dabei ist erstaunlich, dass es den Koalitionspartnern überhaupt gelungen ist, sich auf ein gemeinsames Konzept zu einigen. Denn in kaum einem Politikfeld lagen beide Seiten zuvor so weit auseinander wie in der Gesundheitspolitik. Zwar waren sich Union und SPD schon lange vor dem Wahlkampf im Sommer 2005 einig, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens neu geregelt werden muss, damit die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen. Die vorgelegten Modelle aber waren unvereinbar: Die Union trat zur Bundestagswahl 2005 mit einem einkommensunabhängigen Prämiensystem an. Mit der "solidarischen Gesundheitsprämie" wollte die Union erreichen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung vollständig von den Löhnen getrennt werden. Das Konzept sah für jeden Versicherten eine einheitliche Pauschale von rund 170 Euro vor, wobei die Kindermitversicherung und die Unterstützung für Geringverdiener aus dem Steuertopf gezahlt werden sollten. Die private Krankenversicherung sollte unangetastet bleiben.
Die SPD schlug mit der Bürgerversicherung einen anderen Weg ein. Sie wollte die prozentuale Kopplung der Krankenkassenbeiträge an das Arbeitseinkommen beibehalten, gleichzeitig aber die Beitragsbasis verbreitern. Um die Abhängigkeit von den sozialversicherungspflichtigen Einkommen zu verringern, sollten zum einen auch diejenigen in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden, die sich derzeit überwiegend privat versichern, also Gutverdiener, Beamte und Selbstständige. Das hätte eine Abschaffung der Privatversicherung bedeutet. Zum anderen war geplant, auch auf Kapitaleinkommen, wie Zinsen und Dividenden, Beiträge zu erheben. Schon in ihren Koalitionsverhandlungen im Herbst 2005 gelang es Union und SPD nicht, sich auf eine Reform zu einigen. Im Koalitionsvertrag stellte man lediglich fest, dass sich beide Konzepte "nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen". Anfang 2006 wurde man jedoch im Bundesgesundheitsministerium auf einen Reformvorschlag aufmerksam, den Finanzwissenschaftler ausgearbeitet hatten. Unter der Überschrift "Ein Konsensmodell" wurde angeregt, dass die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht mehr direkt zu den Krankenkassen fließen, sondern zunächst in eine "zentrale Inkassostelle". Dieses Modell wurde anschließend zum Gesundheitsfonds weiterentwickelt.
Der Gesundheitsfonds stellt ein Mischmodell zwischen den ursprünglichen Plänen von Union und SPD dar. Das Prinzip, wonach eine Kasse im Grundsatz von jedem Versicherten einen einheitlichen Beitrag erhält, stammt aus dem Unions-Prämienmodell. Die Beibehaltung der einkommensabhängigen Beiträge war dagegen die zentrale Forderung der SPD. Der Vorteil des Fonds liegt für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) klar auf der Hand. "Der ungesunde Wettbewerb um günstige Versicherte, also gut verdienende und gesunde, lohnt sich nicht mehr", sagt die Ministerin. Stattdessen werde es nun einen Wettbewerb um eine möglichst effektive Versorgung der Patienten geben. Außerdem könnten die Versicherten künftig auf einen Blick erkennen, wie gut ihre Krankenkasse arbeitet. "Das Gesetz ist gut für die Patienten", meint auch der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Zöller (CSU).
Ihre eigenen Ziele erreicht die Koalition nach Ansicht der Opposition mit dem Gesundheitsfonds allerdings nicht. "Der Faktor Arbeit wird weiter belastet", kritisiert FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr (FDP). "Sie haben sich nicht an die Kernprobleme herangetraut", sagt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast. Tatsächlich werden durch den Fonds zwar die Finanzierungsströme in der gesetzlichen Krankenversicherung neu geordnet, was eine größere Transparenz schafft. An der Beitragsbasis selbst wird aber nichts geändert, weil hier keine Einigung zwischen Union und SPD möglich war. Weder wird es die von der Union geforderte Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Löhnen geben, noch die von der SPD verlangte Ausweitung der Kassenbeiträge auf andere Einkommen oder eine umfangreiche Steuerfinanzierung. Nach Ansicht der Krankenkassen wird der Beitragssatz daher weiter steigen wie bisher oder sogar noch schneller. Schließlich sorgt die demografische Entwicklung für steigende Ausgaben, da immer mehr alte Menschen immer höhere Kosten verursachen. Der Fonds hat aus Sicht der Koalitionspartner allerdings einen entscheidenden politischen Vorteil: Durch wenige Anpassungen kann der Gesundheitsfonds in Richtung der Gesundheitsprämie oder der Bürgerversicherung weiterentwickelt werden. Wird beispielsweise die Finanzierung des Fonds durch die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern reduziert, weitet sich die Zusatzbeitrag der Versicherten zu einer Kopfpauschale nach dem Unions-Modell aus. Andererseits ermöglicht der Fonds, dass die Privatversicherten relativ unkompliziert in das Solidarsystem der gesetzlichen Versicherung einbezogen werden können. Die Wege zur Gesundheitsprämie oder zur Bürgerversicherung werden also nicht verbaut. Schmidt macht daraus auch keinen Hehl. Die Gesundheitsreform sei lediglich ein "Zwischenschritt" zur Bürgerversicherung, betonte sie. Die Union verbat sich umgehend derartige Äußerungen. "Die Frau Schmidt soll sich bloß in Acht nehmen, dass sie sich an der Gesundheitsreform jetzt nicht versündigt", wetterte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Bis der Fonds überhaupt startet, sollen aber noch zwei Jahre vergehen. Denn die Unions-geführten Bundesländer hatten bei den Verhandlungen durchgesetzt, dass die Einführung um ein Jahr auf Anfang 2009 verschoben wird. Begründet wurde dies offiziell mit der notwendigen Vorbereitungszeit für den Fonds. Zwar kann er tatsächlich nur starten, wenn alle Krankenkassen entschuldet sind und ein neues System des Finanzausgleichs installiert ist. Eine entscheidende Rolle bei der Verschiebung hat aber vielmehr die Tatsache gespielt, dass 2008 eine Reihe von Landtagswahlen anstehen. Vor allem in Bayern, wo im Herbst 2008 gewählt wird, wurde befürchtet, dass sich mögliche Beitragssteigerungen beim Fondsstart negativ auf das Wahlergebnis der CSU auswirken könnten. Der Streit um den Gesundheitsfonds hat allerdings überdeckt, dass Union und SPD in großer Übereinstimmung viele Maßnahmen beschlossen haben, die selbst von Fondskritikern gelobt und als überfällig bezeichnet werden. So sieht die Reform unter anderem vor, die Honorierung der Ärzte umzustellen. Statt des komplizierten Punktesystems wird es ab 2009 eine Gebührenordnung mit festen Euro-Beträgen geben. Vor allem aber werden die Grundlagen dafür gelegt, dass niemand mehr ohne Krankenversicherungsschutz bleiben muss. Profitieren werden davon ungefähr 300.000 Menschen, die heute unversichert sind. Für Ministerin Schmidt ein entscheidender Fortschritt: "Das ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften, die wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen."
Timot Szent-Ivanyi ist Politikredakteur der "Berliner Zeitung".