Die Referentin im Bundesgesundheitsministerium schüttelt entnervt den Kopf: "Die Ärzte meinen, ihnen steht der ganze Himmel offen." Erst hätten die Klinikärzte gestreikt, dann ihre Kollegen in den kommunalen Krankenhäusern und Wochen später riefen die Doktoren gar zu einem "nationalen Protesttag" in Berlin gegen die Pläne zur Gesundheitsreform auf. Mit dem "offenen Himmel" spielt die Ministeriumsmitarbeiterin auf Forderungen nach einem Honorierungssystem an, das allerdings nicht mehr zu bezahlen sei. Es sei an der Zeit, dass die Ärzte wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfänden.
Es ist nicht die erste Gesundheitsreform, um die in der Großen Koalition gestritten wird. Und es ist auch nicht das erste Mal, das die Ärzte aufbegehren - fast immer als Anwälte in eigener Sache, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Mai auf dem Deutschen Ärztetag in Magdeburg kritisch feststellte. Es sei bedauerlich, dass die Ärzte vergessen würden, "wie andere Berufsgruppen, die Hand in Hand mit Ärztinnen und Ärzten zusammenarbeiten, bezahlt werden und in welcher Lage diese sind, ihre Anliegen zu verfolgen." Gemeint sind Schwestern, Arzthelferinnen, Pfleger oder Hebammen, die für einen Bruchteil des Arzthonorars schwere und verantwortliche Arbeit leisten, ohne von einer einflussreichen Lobby unterstützt zu werden.
Besonders scharfe Töne schlagen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) an, wenn sie gegen "zunehmend rationierende Staatsmedizin mit überbordender Bürokratie bei anhaltender Unterfinanzierung ärztlicher Leistungen" zu Felde ziehen. So die KV Rheinland-Pfalz in einer Mitteilung an die Presse. Von "Geißelungsinstrumenten" ist die Rede und von "ostdeutscher Staatsmedizin". Viele Ärzte hätten wohl die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt und würden gerne übersehen, dass sie schließlich von einer Solidargemeinschaft finanziert werden, betont ein Gesundheitsexperte, der schon an Reformen beteiligt war, als die Bundesrepublik noch von Bonn aus regiert wurde, aber ungenannt bleiben will. Dabei wird leicht vergessen, dass der Solidargedanke bei der Gründung der Kassenärztlichen Vereinigungen Pate gestanden hat.
Im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es wiederholt zu Arbeitskämpfen gekommen, weil die Ärzte zunehmend in finanzielle Abhängigkeit von den Krankenkassen geraten waren, die die Vertragsbedingungen vorgegeben hatten. Die Streiks wurden schließlich 1931 durch die Notverordnung von Reichspräsident Heinrich Brüning geschlichtet. Das Einzelvertragssystem wurde abgeschafft und die Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertragspartner der Kassen gegründet. Zu Grunde lag das Prinzip der bis heute gültigen Selbstverwaltung. Die Wahrung der Rechte der Kassenärzte gegenüber den Kassen wurde somit auf eine Körperschaft des öffentlichen Rechts verlagert. Sie untersteht der staatlichen Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren rund 145.300 Vertragsärzten und -psychotherapeuten sind also kein rein berufsständischer Zusammenschluss.
Die Aufsicht durch das Ministerium wird immer dann besonders deutlich, wenn es um knifflige Themen wie Honorarfragen oder die Verordnung von Arzneimitteln geht. Dann holt die Führungsspitze des Ministeriums schon einmal den Knüppel hervor, um die aufmüpfige Ärzteschaft zu disziplinieren. Als im vergangenen Jahr die Ausgaben für Arzneimittel überbordeten, erinnerte Staatssekretär Klaus Theo Schröder die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) daran, dass die Verordnungen von Arzneimitteln ausschließlich in der Hand von Ärztinnen und Ärzten liegen. Somit trügen Vertragsärzte auch Mitverantwortung für die beunruhigende Kostenentwicklung. "Kehrseite der Therapiefreiheit ist die Verantwortung für Qualität und Kosten der Arzneimitteltherapie", mahnte der Staatssekretär, um drohend hinzuzufügen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung "sich selbst als Vertragspartner in Frage stellt", wenn sie nicht energisch für eine Beschränkung der Ausgaben sorge.
Staatssekretär Schröder fügte noch die Überlegung an, dass die Existenz dieses Systems - gemeint war die KBV - überdacht werden und auf direkte vertragliche Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Vertragsärzten übergegangen werden müsse, wenn solche Fragen wie die Kostenentwicklung bei den Medikamenten nicht "kollektivvertraglich" geregelt werden könnten. Es gehe um die Handlungsfähigkeit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die als "professionell bezahlte Organisation ihre Aufgaben erfüllen muss". Sonst stelle sich die Frage ihrer Existenzberechtigung, warnte Schröder.
Die Abschaffung des KV-Systems war in der Vergangenheit bereits von mehreren Politikern gefordert worden, doch ist es bis heute bei der Drohkulisse geblieben. Im Prinzip hat sich die Kräfteverteilung im Gesundheitswesen bewährt, und die niedergelassenen Ärzte werden nicht müde, auf ihre Fachkompetenz und Erfahrung hinzuweisen. Gemeinsam mit der Bundesärztekammer unterhält die KBV das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Das ÄZQ berät und unterstützt die KBV bei Fragen, die die Qualitätssicherung in der ärztlichen Berufsausübung betreffen. 2005 Im Jahr des 50-jährigen Bestehens der KBV, hat sie ein Leitbild etabliert, das die Körperschaft als Dienstleister und Garanten der medizinischen Qualität definiert. Die gesetzten Ziele dabei sind, bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte zu schaffen, die Zufriedenheit der Patienten zu steigern und eine hohe Akzeptanz bei den Verhandlungspartnern und in der Bevölkerung zu erzielen.
Der Autor arbeitet als freier Journalist.