In den 1990er-Jahren wurden in Osteuropa drei verschiedene Reformstrategien verfolgt: Zum einen sollte das Gesundheitswesen dezentralisiert und privatisiert werden, zum anderen hoffte man durch die Einführung von gesetzlichen Krankenversicherungen den finanziellen Spielraum erhöhen zu können. Ein weiteres Ziel war es, die Krankenhausbetten deutlich zu reduzieren.
Eine Dezentralisierung der Strukturen im Gesundheitswesen hat in allen Ländern stattgefunden. Polen etwa übertrug 1991 zentral organisierte Aufgaben aus dem Gesundheitsbereich an 49 Regionalbezirke (Woiwodschaften). Allerdings wagten es nur wenige Länder, Entscheidungskompetenzen tatsächlich an Ärztekammern oder Krankenversicherungen zu delegieren.
Auch die Privatisierung des ambulanten Gesundheitsbereiches, von Zahn- oder Arztpraxen und von Apotheken, haben die Länder unterschiedlich betrieben. Alle Länder haben jedoch nach 1990 ihr Finanzierungssystem auf ein Krankenkassenmodell Bismarckscher Prägung umgestellt. Die Tschechische Republik wechselte damals als erste vom sowjetischen Semaschko-Modell - einem System steuerfinanzierter Gesundheitsversorgung durch den Staat - wieder auf ein Sozialversicherungsmodell. Es folgten von 1991 bis 1993 Estland, die Slowakei, Slowenien und Ungarn. Von 1998 bis 1999 zogen Bulgarien, Litauen, Polen, Rumänien und Lettland nach. Viele Länder orientierten sich dabei an westlichen Nachbarn: Sloweniens Gesundheitswesen gleicht beispielsweise dem von Österreich, die baltischen Staaten wiederum weisen eine Nähe zu den nordischen Ländern auf. Eine wichtige Frage, die die mittel- und osteuropäischen Staaten im Zuge ihrer Reformbemühungen beschäftigt, sind die Kosten. Betrachtet man die Gesundheitsausgaben in Prozent des Bruttosozialproduktes, dann liegen die osteuropäischen Staaten etwa zwei Prozent unter dem EU-Durchschnitt von knapp zwei Prozent (2004), während Deutschland fast zwei Prozent darüber liegt. Auch die absoluten Zahlen zeigen, dass das Finanzvolumen der Gesundheitssysteme aufgrund der wirtschaftlichen Probleme noch immer gering ist. In Bulgarien und Rumänien sind sie sogar extrem unterfinanziert, was vor allem durch ihre mangelnde Wirtschaftskraft zu erklären ist.
Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Kos- ten für Arzneimittel gelegt. In Deutschland betrugen diese Ausgaben für Arzneimittel bezogen auf alle Gesundheitsausgaben 14,6 Prozent (2003). In Mittel- und Osteuropa liegen sie hingegen deutlich darüber: In der Slowakei bei 38,5 Prozent (2003), in Ungarn bei 27,6 Prozent (2002), in der Tschechischen Republik bei 27,5 Prozent (2004) und in Polen bei 18 Prozent (1998). Diese Zahlen erklären sich aber nicht etwa durch einen höheren Verbrauch, sondern durch einen höheren Preis. Viele Medikamente werden importiert, daher sind die Preise praktisch dieselben wie in Westeuropa oder Nordamerika - dementsprechend nehmen sie einen größeren Anteil an den Gesamtausgaben ein.
Zur Kostensenkung setzte die Politik dieser Länder auf zwei Instrumente: Erstens Negativlisten für Medikamente. Auf ihnen werden Arzneimittel festgelegt, die künftig nicht mehr auf Kosten der Krankenkassen verschrieben werden können. Zweitens erfolgte in diesen Ländern die Einführung beziehungsweise Erhöhung der Zuzahlungen von Patienten. Ein weiteres Strukturproblem in den osteuropäischen stellt die große Zahl von Krankenhausbetten dar - ein Relikt aus alten Zeiten: In den sozialistischen Staaten galt das Prinzip, ein Gesundheitssystem sei umso besser, je mehr (Akut-) Krankenhausbetten und Spezialabteilungen vorhanden sind. Mit Ausnahme von Polen und Slowenien lag die Bettenzahl der osteuropäischen Staaten daher zu einem Drittel über dem EU-Durchschnitt. Nach der Wende war es eigentlich wirtschaftlich notwendig, diese Kapazitäten dringend zu reduzieren. Tatsächlich aber begannen nur Estland und Rumänien, mit einigem Abstand auch Lettland, dieses Problem sofort anzugehen. Estland wandelte seine öffentlichen Krankenhäuser darüber hinaus in Aktiengesellschaften oder gemeinnützige Stiftungen unter privater Führung um. Die Tschechische Republik und die Slowakei hatten das Problem der Überkapazitäten zwar ebenfalls erkannt. Sie gingen aber davon aus, dass es sich mittelfristig von selbst lösen würde - vor allem im Zuge von Dezentralisierung und Privatisierung des Gesundheitssystems und mit der Einführung des Sozialversicherungssystems mit konkurrierenden Kassen. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht: Ab 1990 wurden in der Tschechischen Republik zwar einige Krankenhäuser privatisiert. Doch auch wenn dadurch der Anteil der Privatbetten kontinuierlich stieg, hatte das keine Auswirkungen auf die Gesamtbettenzahl. Dieses Ziel wurde erst durch einen Politikwechsel erreicht, der konkrete Ziele formulierte und umsetzte.
Die positiven Veränderungen im Gesundheitswesen dieser Länder sind statistisch unter anderen am Anstieg der Lebenserwartung abzulesen. Sie ist in allen Ländern gestiegen, besonders stark in der Tschechischen Republik: 1990 lag sie dort noch bei 71,5 Jahren, 2004 waren es schon 75,9 Jahre. Einschränkend muss jedoch festgestellt werden, dass in den meisten Ländern viele Maßnahmen zu Lasten der älteren Bevölkerung gingen. Ein Erklärungsgrund dafür ist, dass bei der Einführung der Krankenversicherungen eine Lücke zwischen Gesundheitsversorgung und öffentlichem Gesundheitsdienst, also der Gesundheitsverwaltung mit ihren Gesundheitsämtern und Ministerien, entstanden ist. Während die Gesundheitsversorgung durch die Krankenversicherung und vertraglich verpflichtete Anbieter gesichert wird, werden öffentliche Gesundheitsdienste gewöhnlich steuerfinanziert und dezentral organisiert. Fällt der Etat dafür zu klein aus oder wird dieser zwischen den Ministerien hin und her geschoben, kann sich dies negativ auf die Versorgung der Bevölkerung auswirken.
Eine Chance für die Gesundheitssysteme der mittel- und osteuropäischen Länder liegt in der Kooperation mit westlichen Krankenkassen. Allerdings steckt diese Form der Zusammenarbeit noch in den Kinderschuhen: Deutschland greift nur sehr zurückhaltend auf Krankenhäuser oder Fachärzte aus östlichen Nachbarstaaten zurück, obwohl die Krankenkassen seit 2004 die rechtliche Möglichkeit haben, Verträge mit ausländischen Anbietern abzuschließen.
Für Patienten in den osteuropäischen Staaten ist der Wandlungsprozess derweil noch nicht abgeschlossen. Politische Stabilität ist eine wichtige Voraussetzung, um konsequent am Gesundheitswesen arbeiten zu können. Das einfache Kopieren von Systemen und Maßnahmen hat sich nicht bewährt, da die jeweiligen Besonderheiten der Länder zu wenig berücksichtigt wurden. Die Patienten haben in der Gestaltung ihrer Gesundheitssysteme bereits weitreichende Umwälzungen hinter sich. Und vielleicht gelingt diesen Ländern mit ihren verschiedenen Erfahrungen die Etablierung eines ganz eigenen Gesundheitssystems, das auf längere Sicht auch westlichen Nationen als Vorbild dienen kann.
Die Autoren arbeiten am Institut für Gesundheitswissenschaften und Public Health der Technischen Universität Berlin.