Während die Große Koalition monatelang um die Details der Gesundheitsreform streitet, vollzieht sich im Kliniksektor fast unbemerkt eine marktwirtschaftliche Revolution. In atemberaubendem Tempo verkaufen überall im Lande von Finanzsorgen geplagte Städte, Landkreise und Bundesländer ihre Krankenhäuser an private Klinikketten. Gut ein Viertel der Akut-Krankenhäuser werden inzwischen privat betrieben, 1995 waren es gerade einmal 16 Prozent. Der Trend ist ungebrochen. 2015 könnte der Marktanteil der Privaten bei 42 Prozent liegen, schätzen Experten der DZ Bank. Bei den privaten Klinikbetreibern hat sich herumgesprochen, dass sich mit Kassen- und Privatpatienten richtig Geld verdienen lässt. "Der deutsche Krankenhausmarkt wird jetzt verteilt, nicht in fünf Jahren", sagt Wolfgang Pföhler, Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG, mit 45 Häusern einer der größten Krankenhauskonzerne der Republik.
Vor allem die Ketten Rhön-Klinikum, Asklepios, Sana und Helios gehen auf Einkaufstour. So will Rhön (1,41 Milliarden Euro Umsatz) seinen Marktanteil von derzeit drei Prozent am deutschen Akut-Klinik-Markt in den nächsten zehn Jahren auf acht bis zehn Prozent aufstocken. Konkurrent Helios (1,55 Milliarden Euro Umsatz) plant jährliche Zuwachsraten von zehn Prozent, 56 Häuser gehören schon heute zum Konzern. Wie schaffen es die Privaten aus den kränkelnden Krankenhäusern auch noch Gewinn zu erwirtschaften?
Eines der erfolgreichen Krankenhäuser ist das 1082-Betten-Klinikum Buch im Nordosten Berlins. Inmitten wilder Hecken graben sich hier Bagger für einen 200 Millionen Euro teuren Neubau durch den Sand. Ist das neue Gebäude Mitte 2007 fertig gestellt, wird die Klinik eines der effizientesten Hospitäler Berlins sein.
Schon heute läuft der Betrieb völlig anders als noch vor wenigen Jahren. Existierten früher fünf Materiallager und fünf Rettungsstellen, so gibt es heute dafür nur noch eine Anlaufstelle. Früher wurden die Patienten von dort in die Fachabteilung transportiert, jetzt kommt der Spezialist in die Rettungsstelle. Auch beim Einkauf sparen die Klinikmanager: Statt mit einem Stromlieferanten hat das Hospital nun Verträge mit vier Anbietern abgeschlossen, was die Kosten minimiert. Und weil zum Schuljahresbeginn der Verbrauch an Büromaterialien immer sprunghaft anstieg, gilt jetzt die Regel "alt gegen neu" - wer einen neuen Locher beantragt, muss den alten abgeben.
Durch die effizienteren Abläufe wurden in Buch 850 der ehemals 3.000 Beschäftigten über Vorruhestandsregelungen eingespart, darunter allerdings keine Ärzte. "10 bis 30 Prozent Effizienzreserven stecken in jedem öffentlichen Krankenhaus", sagt Helios-Chef Ralf Michels. Wie das Beispiel Buch zeigt, setzen die Privaten bei den Sparoperationen das Skalpell in erster Linie bei den Personalkosten an. Das konsequente Optimieren der Prozesse zeigt Wirkung: Während die Personalausgaben bei den öffentlichen Kliniken mit rund 70 Prozent der Gesamtkosten zu Buche schlagen, kommen die Privaten laut DZ-Bank mit knapp 57 Prozent aus. Andere private Klinikbetreiber setzen dagegen gerade auf Outsourcing. Sie vergeben Reinigung, Mahlzeiten oder sonstige Dienstleistungen an kleinere Firmen. So verdient ein im Krankenhaus angestellter Koch meist mehr als sein Kollege bei einer Catering-Firma.
Wie für Berlin sind für die meisten Länder, Städte oder Landkreise die Verkäufe reine Notoperationen. Ihre Hospitäler sind veraltet, die Bausubstanz ist marode und die medizinischen Geräte stammen oftmals von vorgestern. Experten schätzen den Investitionsstau bei Deutschlands Kliniken auf bis zu 50 Milliarden Euro. Die Unternehmensberatung McKinsey hat ermittelt, dass ein Drittel der Kliniken derart hohe Verluste macht, dass sie kurz vor der Pleite stehen. Gab es 1991 noch 2.411 Kliniken, waren es 2004 nur noch 2.166. Durchaus ein heilsamer Prozess: Kaum ein Land der Welt leistet sich pro Kopf so viele Klinikbetten, obwohl die Patienten immer schneller entlassen werden - jedes vierte Krankenhausbett steht leer.
"Jetzt rächt sich, dass Kommunal- und Gesundheitspolitiker sich jahrzehntelang weigerten, über wirtschaftliche Aspekte von Blinddarm-OPs, Kaiserschnitten und Chemotherapien auch nur nachzudenken", erklärt der Stuttgarter Gesundheitsexperte Klaus Kober von 4P-Consulting. Er berät kommunale Träger beim Umbau ihres Krankenhausmanagements. Bisher entschieden Politiker als oberste Dienstherren nach Kassenlage und politischer Laune, frei von betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten, über Klinikumbauten und Bettenzahlen. Jetzt, wo öffentliche Mittel knapp werden, springen inzwischen mehr und mehr die Privaten ein. Den Strukturwandel im Klinikmarkt treibt auch das neue Vergütungssystem voran, das seit dem Jahr 2000 stufenweise eingeführt wird. Krankenhäuser können den Kassen heute nicht mehr die Anzahl der Tage in Rechnung stellen, die ihre Patienten im Hause verweilen. Stattdessen bekommen sie Fallpauschalen. Nur wer es schafft, den Patienten schnell und günstig zu behandeln, verdient daran. "Kommunale Träger haben dabei nur eine Chance, wenn sie sich radikal wandeln", erklärt Gesundheitsexperte Kober, "sonst sind die Privaten schneller."
Eva Haacke ist Parlamentskorrespondentin der Wirtschaftswoche.