Vorsicht! Sturzgefahr" warnt ein Piktogrammmännlein im Schaufenster einer Berliner Kiezapotheke die Kunden. Es ist nicht der bevorstehende Winter, sondern die Gesundheitsreform, die ihn und seine drei Mitarbeiterinnen nervös macht. Die Bundesregierung plant die Apotheken stärker zu be- lasten, klärt das Plakat auf. Das könnte an die Existenz gehen, sorgt sich eine der Angestellten.
Bisher können rund 21.500 Einzelapotheken in Deutschland recht konkurrenzlos und auskömmlich nebeneinander existieren. Eine Apotheke wirft durchschnittlich 85.000 Euro Gewinn pro Jahr ab, die Umsätze stiegen im letzten Jahr sogar um rund acht Prozent an. Strenge staatliche Vorgaben unterbinden Wettbewerb und Preiskämpfe. Für rezeptpflichtige Medikamente gelten Festpreise, festgelegt sind auch die Erlöse für die Apotheker. Selbst für Pillen, die im Einkauf nur einen Euro kosten, bekommen sie staatlich garantierte 6,10 Euro und drei Prozent vom Großhandelspreis. Diese rezeptpflichtigen Arzneimittel bilden etwa zwei Drittel des Sortiments einer durchschnittlichen deutschen Apotheke.
Durch die Gesundheitsreform werden die starren Preisvorgaben aufgebrochen. Ab nächstem Jahr sollen für Medikamente auf Rezept nur noch Höchstpreise gelten, welche die Pharmazeuten unterbieten können. Die Margen der Apotheker werden also voraussichtlich schrumpfen. Die Bundesregierung verlangt von den Apothekern in jedem Fall Einsparungen in Höhe von einer halben Milliarde Euro. Dazu sollen sie mit Pharmaherstellern Rabatte aushandeln.
"Die Maßnahmen lösen für Apotheker einen ruinösen Wettbewerb aus", warnt Heinz-Günter Wolf, Präsident der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA). Die ABDA sieht ein Apothekensterben voraus, dem besonders Pharmazien in Wohngebieten und auf dem Lande zum Opfer fallen könnten. "Diese haben einen hohen Rezeptanteil", erläutert ABDA-Sprecherin, Annette Rogalla.
Neu ist die Sorge der Apotheker nicht. Noch vor jeder Gesundheitsreform sahen sie ihre Existenz gefährdet. Zuletzt 2004, als ihr Monopol auf den Arzneimittelverkauf fiel. Seitdem dürfen rezeptfreie Arzneimittel auch im Internet und per Versand gehandelt werden. Die Bedenken der Apotheker erweisen sich heute als unbegründet: Zwar ordern viele Krankenkassen güns- tiger über das Internet und bei ausländischen Apotheken. Doch auf virtuell verkaufte Arzneien entfallen nach Auskunft der ABDA gerade mal ein Prozent der Umsätze des 35 Milliarden Euro schweren Marktes. Von Apothekensterben bisher keine Spur. Im Gegenteil: 84 Neugründungen verzeichnete die Branche im letzten Jahr.
Diesmal scheint es jedoch ernst zu werden. "Die Reform löst einen internen Konkurrenzkampf um Qualität und Effizienz aus", prophezeit Gerd Glaeske, Pharmaforscher an der Universität Bremen. Als Mitglied des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen begrüßt er die Maßnahmen der Regierung auf diesem Gebiet. Dabei gelte das Motto: Wer sich nicht bewegt, verliert. 5.000 Apotheken würden dann wohl mittelfristig verschwinden. "Wir haben etwa ein Drittel zu viel Apotheken", schätzt der Sachverständige. "Gewinnen werden die, die sich rechtzeitig vernetzen".
Solche Netzwerke existieren bereits. Gut gerüstet für den künftigen Wettbewerb sieht sich das Bündnis Parmapharm. "Zukünftig werden wir verstärkt zusammen einkaufen", sagt Geschäftsführer Thomas Worch. Bei Parmapharm sind zurzeit rund 1.000 Einzelapotheken zusammengeschlossen, die mit dem gemeinschaftlichen Slogan "gesund ist bunt" werben. Das Bündnis funktioniert nach dem so genannten Edeka-Prinzip: Die Heilberufler bleiben selbständig, aber teilen sich gemeinsame Aufgaben, etwa das Marketing und Weiterbildungen.
Denn auch von außen droht den deutschen Apothekern Konkurrenz. Noch schützt sie das hiesige Fremdbesitzverbot. Nur ein in Deutschland approbierter Apotheker darf auf deutschem Boden eine Apotheke gründen und dazu maximal drei Filialen. Doch ausländische Apothekenkonzerne lockt der deutsche Markt. Die niederländische Apothekenkette DocMorris hatte im Sommer eine Filiale in Saarbrücken gegründet. Frei verkäufliche Arzneimittel lieferte DocMorris um bis zu ein Drittel billiger als der Apotheker nebenan. Apotheker und Kammern klagten prompt gegen den Konkurrenten, das Verwaltungsgericht entschied im Eilverfahren zu ihren Gunsten: Im September musste sich DocMorris wieder zurückziehen. Die nächste Gerichtsentscheidung steht noch aus. "Wir gehen davon aus, dass wir die Filiale wieder eröffnen können", meint eine Sprecherin des Unternehmens. Die Niederländer sehen sich im Einklang mit europäischem Recht, das die Abschottung heimischer Märkte untersagt. Die ABDA sieht indes amerikanische Zustände heraufdämmen, sollten die Hürden für ausländische Konkurrenten fallen und staatliche Regularien aufgehoben werden. In den USA haben Ketten wie Walgreens bereits einen Marktanteil von über 40 Prozent. Ihre Gewinne steigen ebenso rasch wie die Arzneimittelpreise. Parmapharm-Geschäftsführer Worch sieht der Konkurrenz der großen Apothekenketten jedoch gelassen entgegen: "Den Einzelhändlern bei der Edeka geht es auch sehr gut. Gemeinsam sind sie sogar mächtiger als Aldi."