Ein Symptom der Gesundheitsreform kann bereits mit Sicherheit diagnostiziert werden: der Adrenalinspiegel steigt - und zwar bei allen Beteiligten. Ob Ärzte, Verbandsvertreter oder die eiserne Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Auf der Zielgeraden der Gesundheitsreform kochen die Emotionen nochmals hoch - denn bei diesem Gesetz geht es eben nicht nur um Krankheit oder Gesundheit, sondern auch um Arbeitsplätze, die Zukunft der sozialen Sicherungssys- teme und sehr viel Geld - statistisch gesehen gibt jeder Bundesbürger pro Jahr rund 2.730 Euro für seine Gesundheit aus, so dass das Gesundheitswesen in Deutschland mit 4, 2 Millionen Beschäftigten auch einen ganz erheblichen Wirtschaftsfaktor darstellt.
Glaubt man einigen Verbandsvertretern, steht das deutsche Gesundheitssystem mit der neuen Reform kurz vor dem Exitus. Hört man die Einschätzung des Gesundheitsministeriums befinden wir uns auf dem richtigen Weg zu einer modernen und bezahlbaren Versorgung. Nur die meisten Patienten, die ihre Beiträge an die Krankenkassen entrichten, können sich in der Regel keinen Reim mehr darauf machen. Für viele ist nicht nachvollziehbar, warum eine Reform der nächsten folgt.
Dabei ist der "Patient Deutschland" bereits seit vielen Jahren in Behandlung - jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik bei den Gesundheitsausgaben weiter auf Platz drei. Nur in den USA und in der Schweiz sind die Ausgaben höher. Der medizinische Fortschritt und die Folgen des demografischen Wandels werden die Kosten voraussichtlich noch weiter steigen lassen. Für das Problem der zukünftigen Finanzierung des Gesundheitswesens, gibt es keine Patentrezepte. Seine Strukturen sind über Jahrzehnte gewachsen - darunter finden sich noch immer einträgliche Einkommensnischen einzelner Lobbygruppen, die ihre Privilegien nicht auf dem "Altar der Kostensolidarität" opfern wollen. Mit dem Hinweis, dass das eigene Sparpotenzial erschöpft sei, zeigen gerade sie in der Spardiskussion mit dem Finger auf die anderen. Erfolge in der Gesundheitspolitik sind aber nur zu erreichen, wenn der Wille zum Wandel in allen Bereichen und von allen Beteiligten als notwendig akzeptiert wird.
In dieser Themenausgabe "Gesundheitspolitik im Wandel" soll daher zum einen die aktuelle Gesundheitsreform, die im Frühjahr 2007 vom Parlament verabschiedet werden soll, unter verschiedenen Aspekten beleuchtet werden - von der Position der Krankenkassen bis hin zur Lage der Apotheker und Patienten. Neben der Befürworterin der Reform, wie Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, kommen dabei auch prominente Kritiker zu Wort. Zum anderen wird gefragt, woran unsere Gesundheitspolitik eigentlich "krankt"? Ausufernde Kosten, strukturelle Mängel und die divergierenden Interessen der teilweise äußerst mächtigen Lobbygruppen spielen hier eine entscheidende Rolle. Auch die Frage, ob es in Deutschland schon heute eine Zwei-Klassen-Medizin gibt, wird sowohl aus Sicht eines Betroffenen ohne Krankenversicherung genauso wie von einem niedergelassenen Arzt beantwortet. Das Problem der Finanzierung der Gesundheitssysteme stellt sich jedoch nicht allein in Deutschland. In unseren Nachbarländern gibt es dafür sehr unterschiedliche Konzepte und Lösungen, die in dieser Ausgabe ebenfalls vorgestellt werden.
Langfristig wird unser Gesundheitssystem nur bezahlbar sein, wenn nicht nur die medizinische Behandlung, sondern auch die Vermeidung von Krankheiten durch präventive Maßnahmen gefördert wird. Welche neuen Wege und Konzepte die Gesundheitspolitik hier bietet, ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausgabe - ein kleiner Beitrag, um in der Diskussion um die Gesundheitsreform den Adrenalinabbau zu beschleunigen, denn dieses Stresshormon kann bei einer Überfunktion bekanntlich zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.