Loki Schmidt
Der Bestand von Tier- und Pflanzenarten verändert sich permanent, sagt die Erfinderin der »Blume des Jahres«
Sie setzen sich schon seit mehr als 30 Jahren mit Ihrer Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen für die Artenvielfalt ein. Wie haben Sie diese besondere Sensibilität für den Naturschutz entwickelt?
Ich habe schon als Kleinkind Pflanzen geliebt und immer gefragt: Wie heißt die? In den ersten Jahren nach dem Krieg habe ich gemerkt, dass viele Pflanzen meiner Kinder- und Jugendzeit verschwunden oder sehr zurückgegangen waren. Am auffälligsten war das mit der Kornrade, die ich als Kind in den Kornfeldern sehr liebte. Die Bauern in der Umgebung Hamburgs haben allerdings gesagt, Gott sei Dank, dass die Kornraden nicht mehr da sind, denn jetzt bekommen wir besseres Saatgetreide. Vorher mussten sie nach der Ernte die großen schwarzen Samen der Kornraden aus dem gedroschenen Roggen rauspulen. Wenn zu viel Kornradensamen im Getreide waren, bekamen sie sehr viel weniger Geld.
Dann hat der Rückgang der Artenvielfalt also auch seine Vorteile?
Das ist ein gutes Beispiel für des einen Freud, des anderen Leid. Für diese armen Heidebauern, die gerade mal ihre Familien ernähren konnten, war das Verschwinden der Kornraden gut. Für mich war das sehr traurig, denn ich liebte sie sehr. Ich habe die Kornrade auch einmal als Blume des Jahres ausgewählt, um darauf hinzuweisen, dass sie bei uns nur noch sehr selten zu finden ist.
Das Ziel Ihrer Stiftung ist es, dafür zu sorgen, dass möglichst viele verschiedene Arten weiterexistieren. Warum reicht es nicht, dass beispielsweise nur die schönsten Blumen überleben?
Es gibt in der Natur ein kompliziertes Geflecht zwischen Blütenpflanzen, Insekten, Pilzen, Tieren. Wenn ein Teil fehlt, verändert sich meistens das ganze System und verarmt. Das ist wie in einer riesigen Familie. Alles ist voneinander abhängig, wenn ein Glied rausfällt, muss sich das ganze System verändern, und manches Glied kann dann gar nicht mehr weiterexistieren. Darum versuchen wir seit Gründung der Stiftung, Areale aufzukaufen, in denen gefährdete Pflanzen wachsen. Wir kaufen aber nur, wenn interessierte Menschen in der Nähe wohnen, die ehrenamtlich regelmäßig die Fläche beobachten und nötige Pflegemaßnahmen durch uns veranlassen.
Viele verbinden Ihre Stiftung besonders mit der Verkündung der "Blume des Jahres" . . .
Na ja, man musste erstmal versuchen, die Menschen neugierig zu machen. Wer hat sich denn, als ich damit anfing, für den Artenschutz interessiert? Kein Mensch, bis auf ein paar Botaniker. Die Grünen gab es nicht, und wir hatten noch lange lange keinen Umweltminister. Da habe ich mir die "Blume des Jahres" ausgedacht. Die erste "Blume des Jahres" hat 1980 noch nicht so viel Aufmerksamkeit erregt, aber dazu geführt, dass es einen "Vogel des Jahres" und einige Jahre später den "Baum des Jahres" gab. Einige Gruppen dachten, das sei eine ganz gute Möglichkeit, die Menschen aufzurütteln. Wir waren Vorreiter.
Wie kommen Sie auf Ihre "Blume des Jahres"?
Ehrlich gesagt habe ich in den ersten drei, vier Jahren immer eine Wildpflanze genommen, die besonders attraktiv ist, um die Menschen anzusprechen. Dann habe ich nach und nach die verschiedenen Lebensräume ausgewählt: mal zwei oder dreimal hintereinander Pflanzen aus dem Moor, mal aus dem Trockenrasen. In diesem Jahr ist es mit der "Nickenden Distel" eine Blume aus einem Lebensraum, der beinah verschwunden ist, und zwar aus dem Lebensraum der alten Dörfer. Ich bekomme sehr viel Post und erfahre dadurch, dass viele Menschen gezielter nach den gefährdeten Pflanzen Ausschau halten und sich die "Blume des Jahres" auch mal in ihre Hausgärten pflanzen. Inzwischen gibt es Samenhändler, die sich auf die Pflanzen spezialisieren.
Meistens schlage ich eine Blume vor und freundlicherweise sind meine Vorstandsmitglieder so lieb und finden die Blume, die ich mir ausgedacht habe, auch passend.
Wie hat sich der Umgang mit dem Artenschutz über die Jahre geändert?
Inzwischen ist der Artenschutz und der Rückgang der Artenvielfalt auf der ganzen Welt ein Thema geworden. Zum Teil wird es mir ein bisschen zu plakativ behandelt. Da wird zum Beispiel darüber gejammert, dass eine Pflanze im Verschwinden begriffen ist, ohne die Gründe zu nennen. Ohne dazu zu sagen, dass ihr Lebensraum eingeengt oder sogar zerstört wird, sodass sie gar nicht mehr leben kann. Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass immer noch in verschiedenen Ecken der Welt neue, noch nicht beschriebene Pflanzen entdeckt werden. Ich habe beispielsweise in Mexiko eine Bromelie gefunden, die es in der Literatur noch nicht gab. Sie ist dann wissenschaftlich beschrieben worden und hat als Anhängsel meinen Namen bekommen.
Was erwarten Sie von der Politik in Sachen Artenschutz?
Ich glaube, dass die Bestrebungen kleiner Gruppen, sich in ihrer Umgebung um den Bestand der Wildpflanzen zu kümmern und zum Beispiel Samen zu sammeln und sie an anderen günstigen Standorten wieder auszusäen, das Vernünftigste sind. Die Politiker müssen sehr viel größere Bereiche im Auge behalten, dazu möchte ich mich gar nicht äußern. Mir fällt allerdings auf, wenn ich durch Schleswig-Holstein fahre, dass man nur Felder mit Mais, Mais, Mais oder Raps, Raps, Raps zur Herstellung von Biosprit sieht. Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis wir die Lebensmittel, die früher auf diesen Flächen mal wuchsen, importieren müssen. Das wird sicher irgendwann für Politiker eine Problemstellung sein, die sie lösen müssen.
Haben Sie bestimmte Erwartungen an das Umweltverhalten der Bürger? Beispielsweise nur Biokost und Energiesparautos?
Ich erwarte von den Bürgern eigentlich gar nichts. Das muss jeder Mensch für sich entscheiden. Biokost ist nicht gleich Biokost; es ist oft ein unterschiedlich verwendeter Begriff. Wenn ich auf dem Markt angeblich reine Biokost angeboten bekomme und sehe, dass die Möhren verwelkt aussehen und die Bohnen genauso, nehme ich auch lieber die knackigen frischen Möhren und Bohnen.
Beunruhigen Sie die dramatischen Berichte über den drohenden Klimawandel, der auch die Artenvielfalt bedroht?
Nein, sie beunruhigen mich nicht. Ich ärgere mich über die Kurzsichtigkeit. Wenn man geologische und erdgeschichtliche Untersuchungen liest, weiß man, dass es Klimaschwankungen - und zwar extreme - in der Geschichte der Erde schon immer gegeben hat.
Würden Sie sagen, die Warnungen vor dem Klimawandel sind Hysterie?
Sie sind in meinen Augen übertrieben. Dass wir Menschen deswegen, weil wir viel zu viele für diese kleine Erde sind, viel zu viel Dreck in die Luft pusten, ist klar. Und es kann sein, dass wir deswegen möglicherweise einen Klimawechsel beschleunigen. Etwas daran zu ändern, wäre nicht schlecht. Dass durch einen Klimawandel die einen Arten zurückgehen, weil das Klima nicht mehr passt, dafür aber andere Arten einwandern, für die das veränderte Klima günstig ist, können Sie auch nachlesen. Warum finden Sie denn in der nördlichen Ostsee Bernsteine? Das ist Baumharz aus Bäumen, die in einem tropischen Wald wuchsen. Die Arten haben sich schon immer verschoben.
Glauben Sie im Rückblick, dass Sie mit Ihrem Engagement für den Naturschutz viel bewirken konnten?
Ja, heute brauchen Sie keinem Menschen mehr einen Vortrag darüber zu halten, dass es bestimmte Pflanzen gibt, die stark gefährdet sind. Das weiß jeder.