Artensterben
Eine ausgewogene Einführung
Alles ist relativ - das klingt nach Gemeinplatz, der keine genauere Betrachtung verdient. Aber der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf beweist, dass es mitunter sinnvoll sein kann, sich einen solchen Gemeinplatz zu vergegenwärtigen.
So wird zum Beispiel häufig vergessen, dass "in der Geschichte der Lebewesen das Aussterben den Normalfall darstellt". 95 Prozent der Arten, die jemals lebten, schreibt Reichholf weiter, seien nach mehr oder minder langer Zeit ausgestorben. Wer aber deshalb das Artensterben zu den Akten legen will, befinde sich auch auf einer "falschen Zeitskala". Denn die Entwicklungen der Evolution verlaufen in Zeitspannen von Jahrtausenden und Jahrmillionen und nicht in Jahrzehnten oder Jahrhunderten - für Entwarnung gibt es also keinen Grund.
Um die Beschreibung von Katastrophenszenarien geht es Reichholf aber auch nicht. Eher um die Klärung grundlegender Begriffe: Was heißt Biodiversität? Welche Funktion hat die Artenvielfalt? Wieviele Arten leben auf der Erde? Wodurch sind sie bedroht? So entsteht eine runde Einführung ins Thema, die positive Entwicklungen in den Vordergrund rückt, ohne die Gefahren zu verharmlosen.
Eher überraschend für den Laien ist die Information, dass gerade die Städte zu einem Hort der Artenvielfalt geworden sind. Während in Wald und Flur die Artenvielfalt bei Vögeln, Insekten oder Wildpflanzen stark rückläufig ist, nahm sie in den Städten zu.
Doch: Berlin, Hamburg und andere westliche Großstädte mögen als idyllische Beispiele taugen. Aber wie verhält es sich in den Megacitys der Entwicklungsländer, in denen die Umweltprobleme oft buchstäblich zum Himmel stinken? Gilt da auch die Feststellung: "Die positive Einstellung der Stadtbevölkerung drückt sich auch in den beträchtlichen Mengen an Geld aus, die in Form von Spenden dem nationalen wie internationalen Naturschutz zufließen." An dieser Stelle wäre mehr Differenzierung nötig, denn eine eurozentrische Perspektive muss auch als solche benannt werden.
So angenehm es ist, dass Josef H. Reichholf Hoffnung statt Angst verbreiten will: Der Verweis darauf, dass es "in vielen Ländern der Erde recht gute Gesetze zur Erhaltung der Natur, insbesondere auch zum Artenschutz gibt", reicht als Begründung dafür nicht. Gesetze und deren Umsetzung sind bekanntlich in vielen Ländern zwei Paar Schuhe.
Ende der Artenvielfalt? Gefährdung und Vernichtung von Biodiversität.
Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt/M. 2008; 224 S., 9,50 ¤