Koalitionsregierungen gehören in einer parlamentarischen Demokratie mit Verhältniswahlrecht zum Alltag. Weil die Bildung von Großen, Rot/Grünen, Rot/Roten, Schwarz/Gelben, "Jamaika"-, Ampel- oder sonstigen Koalitionen nach Wahlen nicht selten das Ergebnis zäher Verhandlungen sind, gerät die zentrale Rolle der Abgeordneten oft in Vergessenheit. Das Verhalten einer mit Direktmandat in den Hessischen Landtag gewählten Parlamentarierin hat kürzlich deutlich gemacht, dass ethische Maßstäbe als Richtschnur politischen Handelns gelten können, nicht allein parteipolitische Strategieüberlegungen oder individuelle Karriereplanungen. Der Unterschied zwischen politischem Moralismus und politischer Moral trat im Umgang mit einer "Abweichlerin" deutlich zutage. An eine parlamentarische Selbstverständlichkeit sei erinnert: Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen sowie an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, heißt es in Artikel 38 Grundgesetz.
In der Parlamentarismusforschung wird immer wieder die Frage nach dem Einfluss der Mehrheitsfraktionen in Zeiten Großer Koalitionen gestellt. Das Ergebnis ist eher ernüchternd: Große Koalitionen unterscheiden sich in ihrer Funktionsweise von "kleinen" Koalitionen nur wenig. Absprachen zwischen den Regierungsfraktionen und das Koalitionsmanagement werden in einem Koalitionsausschuss koordiniert, in dem die Fraktionsführungen und deren Vorsitzende vertreten sind.
Was für den Deutschen Bundestag gilt, trifft auch auf den Bundesrat zu. Die Ländervertretung wird auch unter einer Großen Koalition nicht zu einem Instrument parteipolitischer Überlegungen, sondern sie tritt vorwiegend als Sachwalter von Länderinteressen in Erscheinung. Wenn die Neuregelung der föderalen Finanzverteilung zur Entscheidung ansteht, könnten die jeweiligen Interessen der Länder die parteipolitischen Mehrheiten gehörig durcheinanderwirbeln.