Unternehmen scheinen seit einigen Jahren die mit Abstand wichtigsten Akteure in modernen Gesellschaften zu sein, und die Gesellschaft erweckt den Eindruck, als würde sie vom Wirtschaftssystem dominiert werden. Das Schlagwort von der "Ökonomisierung der Gesellschaft" 1 bringt diesen "gefühlten Trend" treffend zum Ausdruck. Aber vor lauter selbst erzeugter Dynamik, modischen Trendbehauptungen und kommunikativen Artefakten 2 geraten die zu Grunde liegenden Vorstellungen, Begrifflichkeiten und Institutionalisierungspfade aus dem Blick. Im Kern geht es um die grundlegende Frage nach der Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft. 3 Eine unübersichtliche Vielzahl und Vielfalt von Deutungsversuchen und Begrifflichkeiten streifen diese gesellschaftspolitische Grundfrage, wobei sich global gebräuchliche Begriffe wie Corporate Social Responsibility (CSR) und Corporate Citizenship (CC) mit je spezifischen Akzentsetzungen durchzusetzen scheinen. 4
Der CSR-Begriff gründet im wirtschaftlichen Handeln von Unternehmen. Die Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen, der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen sowie die Formulierung und Implementierung ethischer Standards sind typische CSR-Themen. Das gesellschaftliche Selbstverständnis und das entsprechende Engagement von Unternehmen kommen in der Ausgestaltung betrieblicher Prozesse und Strukturen entlang der Wertschöpfungskette zum Ausdruck. Von diesem CSR-Begriff ist die Vorstellung vom freiwilligen gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen in der Gesellschaft, Corporate Citizenship, zu unterscheiden, das über die wirtschaftliche Unternehmenstätigkeit hinausgeht. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass sich Unternehmen freiwillig und - über den wirtschaftlichen Unternehmenszweck hinaus - zusammen mit Nonprofit-Organisationen in gesellschaftlichen Angelegenheiten engagieren, "also eine Art Pfadfinderfunktion aus-üben", 5 um selbst gestellte Aufgaben vor Ort zu bearbeiten. In diesem Sinne nimmt der Begriff des Corporate Citizenship die als Corporate Social Responsibility beschriebenen und dezidiert wirtschaftlichen Bezüge des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen auf und eröffnet darüber hinaus für Unternehmen als Corporate Citizen gesellschaftliche Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in den von ihnen selbst gewählten Tätigkeiten und Projekten in Engagementfeldern wie Bildung, Soziales, Sport, Kultur und Ökologie.
Festzuhalten bleibt, dass beide analytisch zu trennenden Begriffe das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen aus zwei unterschiedlichen, sich gleichwohl aber ergänzenden Perspektiven thematisieren: einerseits aus der (betriebs-)wirtschaftlichen Perspektive (CSR) und andererseits aus der gesellschaftlichen Perspektive (CC) eines engagierten Unternehmens. Bei einer derartigen begrifflich-analytischen Differenzierung ist zu bedenken, dass sich CSR und CC "im wirklichen Leben" wechselseitig ergänzen. Implementiert z.B. ein Unternehmen in seinen Betrieben sachlich höhere und qualitativ bessere als die gesetzlich vorgeschrieben Arbeits-, Umweltschutz- und Sozialstandards, dann erfüllt es erstens CSR-Standards und entwickelt es zweitens darüber hinaus - in gesellschaftspolitischer Absicht - gemeinsam mit Nonprofit-Organisationen sowie auch Staat und Verwaltung beispielsweise Ideen und Projekte zur Vereinbarkeit von "Familie und Beruf", dann betätigt es sich als Corporate Citizen.
In diesem, die Dimensionen Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship umfassenden Verständnis des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen werden im Folgenden der traditionsreiche Institutionalisierungspfad des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen nachgezeichnet und dessen Entwicklungspotenziale ausgelotet.
Für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft ist die relativ späte Herausbildung von Demokratie sowie von Sozial- und Rechtsstaat konstitutiv. Bürgertum und kapitalistisches Unternehmertum entwickelten sich im 19. Jahrhundert unter den Bedingungen einer Monarchie; zugleich wurden aber bereits die institutionellen Grundlagen moderner Staatlichkeit und kapitalistischen Wirtschaftens gelegt. 6
Die kapitalistische Industrialisierung veränderte die Wirtschaftsstruktur des Kaiserreichs grundlegend. Diese "schöpferische Zerstörung" 7 bzw. ökonomische Transformation ging einher mit tief greifenden sozialen Veränderungen und Konflikten. Dabei war das Bürgertum bestrebt, sich gegenüber Adel und Klerus zu etablieren, während die sich herausbildende Arbeiterklasse daran interessiert war, einen auskömmlichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg für sich zu sichern und politischen Einfluss zu erringen. Die Unternehmer wiederum waren auf die Leistungs- und Folgebereitschaft ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter angewiesen. Vor allem durch betriebliche Fürsorgeleistungen in den Bereichen Wohnen, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Alter - bei gleichzeitig relativ geringen Löhnen - erhofften sich Unternehmer eine Rendite steigernde Leistungs- und Folgebereitschaft ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter und darüber hinaus ein hinreichendes Maß an gesellschaftlicher Befriedung. Dabei ist zu bedenken, dass die betriebliche Fürsorge eine freiwillige, nur von einem Teil der Unternehmen gewährte soziale Leistung war.
Als soziale Klasse drängte das Bürgertum im 19. Jahrhundert auf politische Machtbeteiligung. In der Anfangsphase des deutschen Kapitalismus war die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen in erster Linie die eines wirtschaftlichen Akteurs, der darüber hinaus freiwillig und anhand subjektiver - zumeist religiös begründeter - Erwägungen in Art und Umfang höchst unterschiedliche Fürsorgeleistungen für seine Arbeiterschaft gewährte. In der Anerkennung sozialer Risiken und ihrer sachlichen Differenziertheit bildete die unternehmerische Fürsorge eine wesentliche Grundlage für die seit den 1880er Jahren in Deutschland aufgebauten öffentlichen Sozialversicherungen. 8 Manch ein namhafter Unternehmer - von Bosch bis Siemens - wurde so auch zum Vorkämpfer für ein zeitgemäßes Sozial-, Arbeits- und Tarifrecht.
Aber bis weit in die Weimarer Republik hinein entwickelten sich Wirtschaft und Politik als eigenständige Systeme nebeneinander. Während die wirtschaftliche Entwicklung dynamisch und rasch verlief, kam es zu einer verspäteten Herausbildung von Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat, die aber - was das rasche Ende der Weimarer Republik und der Machtantritt der Nationalsozialisten zeigten - höchst fragil waren. Durch die "Politik der Gleichschaltung" des nationalsozialistischen Regimes wurde das Wirtschaftssystem dem totalitären Staat "einverleibt" und die Dualität von Wirtschafts- und Staatssystem beendet.
Die DDR folgte - bei aller inhaltlichen Unterschiedlichkeit gegenüber dem Nationalsozialismus - diesem Strukturmuster eines verabsolutierten Staates und einer ihm untergeordneten Wirtschaft. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen wurde zunächst am Strukturmuster eines Dualismus von Staat und Wirtschaft aus der Weimarer Republik angeknüpft. Die nachholende Modernisierung in den Bereichen Demokratie, Rechts- und Sozialstaat wurde in der Anfangszeit der Bundesrepublik durch die politischen Vorstellungen der westlichen Alliierten und später durch die innenpolitischen Auseinandersetzungen und die entstehenden sozialen Bewegungen forciert und stimuliert. Gleichzeitig erlebte die deutsche Wirtschaft ein dynamisches Wachstum und zeigte ein entsprechend gestärktes Selbstbewusstsein, das aber bis in die 1970er Jahre hinein unter Verweis auf die aktive Rolle führender deutscher Unternehmen im Nationalsozialismus in Frage gestellt wurde.
In den 1950er und 1960er Jahren konsolidierten sich Wirtschaft und Staat innerhalb kürzester Zeit. Mit der Rentenreform (1957) und der Einführung der Sozialhilfe (1961) wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Expansion des deutschen Sozialstaates gelegt. 9 Die Definition von sozialen Risiken, die Entwicklung einer sozialstaatlichen Leistungspalette sowie von sozialen Diensten und Einrichtungen erlebte eine bis dahin nicht gekannte Erweiterung. Vor diesem Hintergrund konnte der deutsche Sozialstaat mit der Akzeptanz und Unterstützung seiner Bürger rechnen, da er ihnen in Aussicht stellen konnte, sie an der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung über sozialstaatliche Mechanismen und Verfahren der Verteilung und des Ausgleichs teilhaben zu lassen.
Der expansive Sozialstaat wiederum begegnete diesen wachsenden Ansprüchen und Herausforderungen mit einer Strategie der Einbeziehung bzw. Inkorporierung privater Organisationen in die staatliche Politik. 10 In erster Linie zielt der Korporatismus auf die Schlichtung des für kapitalistische Gesellschaften grundlegenden Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit ab. Insofern steht die Inkorporierung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden im Mittelpunkt staatlicher Politik. Im Gegenzug können Unternehmen in Anerkennung ihrer Mitwirkung und als Entschädigung für ihren partiellen Autonomieverlust mit "staatlichem Wohlwollen" rechnen. Die Inkorporierung von Unternehmen in staatliche Entscheidungsprozesse erstreckt sich über alle Politikfelder, wobei die Finanz-, Arbeits-, Umwelt- und Sozialpolitik im Vordergrund stehen. Dabei sind Unternehmen und ihre Verbände in die politischen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesse einbezogen (politischer Mitent-scheider), zahlen Beiträge und Steuern (Transferzahler) und erstellen in ihren Betrieben unmittelbar soziale Leistungen (Dienstleistungserbringer).
Im korporativen Sozialstaat sind Unternehmen an den Entscheidungen und der Ausgestaltung der Arbeits- und Tarifpolitik sowie der sozialen Sicherung, insbesondere der Sozialversicherungen, in institutionalisierter Form dauerhaft beteiligt. Die Institutionalisierungsformen reichen dabei von "informellen" Gesprächen über Selbstverwaltungsstrukturen bis hin zu gesetzlich geregelten Beteiligungsverfahren und -gremien. Im Rahmen der - vereinfach dargestellt - paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen Unternehmen Beiträge an die Sozialversicherungen ab. Zudem sind sie als Steuerzahler - wohlgemerkt höchst ungleich - an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligt. Unternehmen sind im korporativen Sozialstaat aber nicht nur politische Mitentscheider und wichtige Transferzahler, sondern sie sind - im Rahmen sozialgesetzlicher Bestimmungen - auch Dienstleistungserbringer. Sie betreiben z. B. Kindergärten, bieten Ausbildungsplätze im Rahmen des dualen Ausbildungssystems an und beschäftigen Menschen mit Behinderungen.
Unter den Bedingungen des korporativen Sozialstaates hat das Verhältnis von Wirtschaft und Staat in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren eine neue ordnungspolitische Gestalt angenommen. Der Staat reklamiert für sich - unter Verweis auf seine sozialstaatlichen Erfolge - eine gesellschaftliche "Führungsrolle". Unter dieser staatlichen Prämisse werden dem Wirtschaftssystem und den Unternehmen Rechte und Pflichten zugewiesen. Die Inkorporierung von Wirtschaft und Unternehmen in staatliche Politik bedeutet für beide einerseits einen Autonomieverlust, andererseits können sie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auf die vom regulierenden und gewährleistenden (Sozial-)Staat reklamierten Zuständigkeiten verweisen. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen wird unter dieser sozialstaatlichen Prämisse und in Anerkennung der vermeintlichen Allzuständigkeit und -verantwortung des Staates für die Gesellschaft leicht zur gesetzlichen Pflichterfüllung, die sich darüber hinaus in ritualisierten Forderungen von Unternehmensverbänden an den Staat, das eine zu tun und das andere zu unterlassen, erschöpfen. Es überrascht dann auch nicht, dass in einer derart sozialstaatlich eingehegten Wirtschaft das freiwillige gesellschaftliche Engagement von Unternehmen bzw. ihre Rolle als Corporate Citizen aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwindet, ein Schattendasein führt und vielleicht sogar tatsächlich verkümmert.
Die Dominanz des korporativen Staates, seine Bestrebungen zur Befriedung des Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit sowie der Einbezug der entsprechenden verbandlichen Akteure in die staatliche Politik begünstigt aber auch die Entwicklung von Widerspruch und Selbstorganisation. So entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland - mit leichter Zeitverzögerung parallel zur Expansion des korporativen Sozialstaates - eine nach gesellschaftlichen Anlässen und sozialen Milieus differenzierte Zivilgesellschaft, deren Selbstverständnis anfangs im hohen Maße antistaatlich und antikapitalistisch geprägt war. 11 Unter den Bedingungen des korporativen Staates blieb die Zivilgesellschaft bis Anfang der 1980er Jahre aus den zwischen Staat und Wirtschaft bestehenden Verflechtungen ausgeschlossen. Diese Exklusion wiederum "begünstigte" selbstbezügliche, zirkuläre und ideologische Deutungsmuster, die bis heute in Teilen der Zivilgesellschaft in abgeschwächter Form nachwirken und einen pragmatischen Umgang mit Wirtschaft und Unternehmen erschweren.
Es bleibt festzuhalten, dass das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bis zur deutschen Vereinigung von der Politik des korporativen Sozialstaates geprägt war, die Wirtschaft und Unternehmen gesellschaftliche Pflichten im Rahmen staatlicher Aufgaben zuwies. Unter diesen Bedingungen verlor das für Unternehmen in Deutschland konstitutive freiwillige gesellschaftliche Engagement auf Seiten von Zivilgesellschaft und Staat an Aufmerksamkeit und Wertschätzung, während es insbesondere in zahlreichen deutschen Familienunternehmen ununterbrochen eine hohe Wertschätzung und faktische Bedeutung erfahren hat.
Spätestens seit den 1990er Jahren - beschleunigt durch die deutsche Vereinigung und die forcierte Globalisierung des Wirtschaftens - erodiert die Bedeutung von Nationalstaaten. 12 Dieser Bedeutungsverlust bezieht sich nicht in erster Linie auf den staatlichen Aufgabenbestand, sondern auf die schwindende Steuerungsfähigkeit des Staates. 13 Die politische Vorstellung, der Staat könne durch die Inkorporierung gesellschaftlicher Akteure, insbesondere von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, die Gesellschaft steuern, verliert an Überzeugungskraft. Und selbst bei der Steuerung seiner eigenen Angelegenheiten werden dem deutschen Staat im internationalen Vergleich betrachtet erhebliche Mängel bescheinigt. Mit einem Paradigmenwechsel und der Einführung "neuer" bzw. wirtschaftlicher Steuerungsinstrumente und -verfahren versuchen Bund, Länder und Kommunen seitdem ihre politische Steuerungsfähigkeit wiederzugewinnen und zu verbessern. 14
Die Globalisierung des Wirtschaftens und die Grenzen staatlicher Steuerungsfähigkeit beschleunigten in den 1990er Jahren den Übergang von der Vorstellung und der Praxis eines korporatistischen Staates zum Typus einer polyzentrischen und pluralistischen Gesellschaft, in der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat begrenzte Aufgabenbereiche und ein je spezifisches Steuerungsrepertoire haben. In einer polyzentrischen Gesellschaft verliert der Staat seine selbsternannt dominante Position als gesellschaftliche Steuerungsinstanz und wird zu einem Akteur neben anderen, wobei ihm aber die Verantwortung für die Gewährleistung und Rahmensetzung staatlicher Aufgaben obliegt. Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann er - auch im Vergleich mit anderen Akteuren - auf eine weit reichende demokratische Legitimation als Gütekriterium und Alleinstellungsmerkmal verweisen.
Unter diesen Bedingungen bedeutet Steuerung von Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als Interdependenzbewältigung zwischen unterschiedlichen Systemen und Akteuren. 15 Eine weitergehende, absichtsvolle Gestaltung von Gesellschaft ist in einer polyzentrischen Gesellschaft nur durch Interaktionen und Aushandlungen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat denkbar und möglich, wobei Effekte und Folgen dieses Handelns nur begrenzt kalkulierbar sind.
In dieser neuartigen Konstellation zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kommt es infolgedessen zu einer gravierenden Bedeutungsverschiebung zugunsten von Wirtschaft und Zivilgesellschaft. 16 An die Stelle eines dominierenden korporativen Staates treten netzwerkartige Austauschbeziehungen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und auch Staat. Diese Beziehungen basieren auf Selbststeuerungs- und Selbstorganisationsprozessen der Beteiligten, die in der Freiwilligkeit des Handelns und der Einsicht in eine "immer irgendwie diffuse" gesellschaftliche Verantwortung gründen. 17 Als Instrumente und Verfahren der Handlungskoordination können die Beteiligten nicht auf hierarchische Weisungen zurückgreifen, sondern müssen sich in Abstimmungsprozessen verständigen und gemeinsame Vereinbarungen treffen.
In diesen Aushandlungsprozessen einer polyzentrischen Gesellschaft kommen die relative Autonomie und Ressourcenstärke von Wirtschaft und Unternehmen zum Tragen. Zivilgesellschaft und Nonprofit-Organisationen scheinen unter diesen Bedingungen zunächst "nur" Stakeholder oder sogar kulturell "Fremde" zu sein, während staatliche Akteure angesichts der Handlungsdynamik, Entscheidungsstärke und Ressourcenausstattung wirtschaftlicher Akteure versuchen, in der Position eines politischen Mittlers oder Moderators neue Bedeutung zu erlangen.
Gleichwohl gibt es in einer polyzentrischen Gesellschaft kein die Gesellschaft dominierendes System. Wirtschaft und Unternehmen sind vielmehr Teil der Gesellschaft und befinden sich in einem Interdependenzverhältnis mit Staat und Zivilgesellschaft. Dabei ist zu bedenken, dass Wirtschaft und Unternehmen kein monolithischer Block sind, sondern aus einer Vielzahl und Vielfalt von Organisationen mit zum Teil weit reichenden Handlungsalternativen bestehen. Entsprechend der Größe, der Rechts- und Organisationsform, der Branchenzugehörigkeit und der Stellung im Wirtschaftsprozess variiert auch das gesellschaftliche Selbstverständnis von Unternehmen über ihre Rolle in der Gesellschaft. Das unternehmerische Gesellschaftsverständnis reicht von Korruption über "Trittbrettfahren" und Tauschhandlungen bis hin zu ausgeprägt altruistischen Gemeinwohlorientierungen. 18
Welche Ausprägungen eines unternehmerischen Gesellschaftsverständnisses sich in einer polyzentrischen Gesellschaft herausbilden, steht in engem Zusammenhang mit den Vorstellungen und Verhandlungspositionen von Zivilgesellschaft und Staat. So ist die Zivilgesellschaft in Deutschland trotz ihrer seit Ende der 1960er Jahre beschleunigten und dynamischen Entwicklung sachlich fragmentiert und organisatorisch vielgestaltig; eine kollektiv geteilte Vorstellung von Zivilgesellschaft konnte sich unter diesen Bedingungen bisher nicht herauskristallisieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland trotz ihrer relativen Unübersichtlichkeit und Intransparenz in der Öffentlichkeit in hohem Maße als vertrauenswürdig angesehen wird. Insofern kann die Zivilgesellschaft in Abstimmungsprozessen mit Wirtschaft und Unternehmen bisher auf einen nicht unerheblichen Vertrauensvorschuss in der Öffentlichkeit verweisen. Der Staat hingegen hat in der nachkorporatistischen Phase zunächst Akzeptanzprobleme, wobei die demokratische Legitimation als spezifischer Vorteil staatlicher Steuerung unterschätzt wird. In den Abstimmungsprozessen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat ist nur der Staat aufgrund seiner breiten demokratischen Legitimation als potenzieller Gemeinwohlgarant in der Lage, die singulären Interessen von Unternehmen und Nonprofit-Organisationen in ein universalistisches, gemeinwohlverpflichtetes Programm zu transformieren. Die Bedeutung der demokratischen Legitimation staatlichen Handels ist nicht hoch genug zu veranschlagen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in der Regel mit betrieblichen und wirtschaftlichen Eigeninteressen verknüpft ist und dass Nonprofit-Organisationen zumeist spezifische Gruppeninteressen verfolgen.
In einer polyzentrischen Gesellschaft gibt es weder einen Primat des Staates noch der Wirtschaft. Vielmehr besteht zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat keine wie auch immer geartete Über- oder Unterordnung, sondern ein Interdependenzverhältnis zwischen Systemen und Akteuren, die jeweils auf ihre spezifische Art und Weise in die sozialkulturellen Grundlagen der Gesellschaft eingebettet sind und zur Sozialisation, Identitätsbildung und Integration ihrer Mitarbeiter, Mitglieder und Bürger beitragen.
Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen hat selbstverständlich wirtschaftliche Anlässe und Begründungen; gleichwohl ist es weitaus mehr als "nur" wirtschaftliches Handeln oder ein so genannter "business case", denn es stiftet kollektiven Sinn, erweitert Lebenschancen und eröffnet gesellschaftliche Perspektiven. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen hat - in einem umfassenden Sinne verstanden als Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship - einen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gehalt und wird zukünftig verstärkt Gegenstand von Auseinandersetzungen und Aushandlungen zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat sein.
1 Vgl. Uwe
Schimank/Ute Volkmann, Ökonomisierung der Gesellschaft, in:
Andrea Maurer (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftssoziologie,
Wiesbaden 2008.
2 Vgl. Dirk Baecker, Die Form des
Unternehmens, Frankfurt/M. 1999; Max Ringlstetter/Michael Schuster,
Corporate Citizenship - Eine aktuelle Mode der strategischen
Unternehmensführung, in: ders./Herbert A. Henzler/Michael
Mirow (Hrsg.), Perspektiven der strategischen
Unternehmensführung. Theorien, Konzepte, Anwendungen,
Wiesbaden 2003; Stephanie Hiß, Warum übernehmen
Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung. Ein soziologischer
Erklärungsversuch, Frankfurt/M. 2006; Jürgen Schultheiss,
CC und CSR - ein schwieriges und unterschätztes Thema in den
Medien, in: Holger Backhaus-Maul/Christiane Biedermann/Stefan
Nährlich/Judith Polterauer (Hrsg.), Corporate Citizenship in
Deutschland. Bilanz und Perspektiven, Wiesbaden 2008.
3 Vgl. die Beiträge in A. Maurer
(Anm. 1); Peter Ulrich, Corporate Citizenship oder: Das politische
Moment guter Unternehmensführung in der
Bürgergesellschaft, in: H. Backhaus-Maul u.a. (Anm. 2); Josef
Wieland, Corporate Citizens sind kollektive Bürger, in:
Michael Behrent/ders. (Hrsg.), Corporate Citizenship und
strategische Unternehmenskommunikation in der Praxis,
München-Mehring 2003.
4 Vgl. Holger Backhaus-Maul/Christiane
Biedermann/Stefan Nährlich/Judith Polterauer, Corporate
Citizenship in Deutschland. Die überraschende Konjunktur einer
verspäteten Debatte, in: dies. (Anm. 2); vgl. auch die
Beiträge in: Thomas Beschorner/Matthias Schmidt (Hrsg.),
Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship,
München-Mehring 2007.
5 André Habisch, Corporate
Citizenship. Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in
Deutschland, Berlin-Heidelberg-New York 2003.
6 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche
Gesellschaftsgeschichte, 4 Bde., München 2003; Werner
Abelshauser, Wirtschaftliche Wechsellagen, Wirtschaftsordnung und
Staat: Die deutschen Erfahrungen, in: Dieter Grimm (Hrsg.),
Staatsaufgaben, Baden-Baden 1996.
7 Vgl. Joseph A. Schumpeter,
Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Tübingen 1947.
8 Vgl. Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik
in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler
Vergleich, Wiesbaden 2005; Christoph Sachße/Florian
Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd.
2., Stuttgart 1988.
9 Vgl. Gerhard Bäcker/Gerhard
Naegele/Reinhard Bispinck/Klaus Hofemann/Jennifer Neubauer,
Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, 2 Bde., Wiesbaden
2008; Franz Xaver-Kaufmann, Herausforderung des Sozialstaates,
Frankfurt/M. 1997; Stephan Leibfried/Uwe Wagschal (Hrsg.), Der
deutsche Sozialstaat, Frankfurt/M. 2000; M. G. Schmidt (Anm.
8).
10 Vgl. Rolf G. Heinze/Thomas Olk,
Sozialpolitische Steuerung, in: Manfred Glagow (Hrsg.),
Gesellschaftssteuerung zwischen Korporatismus und
Subsidiarität, Bielefeld 1984; Wolfgang Streeck, Korporatismus
in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und Europäischer Union,
Frankfurt/M. 1999.
11 Vgl. Karl-Werner Brand/Detlef
Büsser/Dieter Rucht, Aufbruch in eine andere Gesellschaft.
Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1986;
Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in der
Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. - New York 1987.
12 Vgl. Wolfgang Streeck (Hrsg.), Staat
und Verbände. Sonderheft 25 der Kölner Zeitschrift
für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS), Wiesbaden 1994;
Paul Windolf, Die Zukunft des Rheinischen Kapitalismus, in: Jutta
Allmendinger/Thomas Hinz (Hrsg.), Organisationssoziologie.
Sonderheft 42 der KZfSS, Wiesbaden 2002.
13 Vgl. die Beiträge in Arthur
Benz/Suanne Lütz/Uwe Schimank/Georg Simonis (Hrsg.), Handbuch
Governance, Wiesbaden 2007; Jens Beckert, Wer zähmt den
Kapitalismus?, in: ders./Bernhard Ebbinghaus/Anke Hassel/Philip
Manow (Hrsg.), Transformation des Kapitalismus, Frankfurt/M.
2006.
14 Vgl. die Beiträge in Bernhard
Blanke/Stephan von Bandemer/Frank Nullmeier/Göttrik Wewer
(Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen 2001.
15 Vgl. Uwe Schimank, Die
Entscheidungsgesellschaft. Komplexität und Rationalität
der Moderne, Wiesbaden 2005; ders., Organisationsgesellschaft, in:
Wieland Jäger/ders. (Hrsg.), Organisationsgesellschaft.
Facetten und Perspektiven, Wiesbaden 2005.
16 Vgl. H. Backhaus-Maul u.a. (Anm.
2.); Holger Backhaus-Maul/Sebastian Braun, Gesellschaftliches
Engagement von Unternehmen in Deutschland. Theoretische
Überlegungen, empirische Befunde und engagementpolitische
Perspektiven, in: Thomas Olk/Ansgar Klein/Birger Hartnuss (Hrsg.),
Engagementpolitik, Wiesbaden 2008 (i.E.); Birgit Riess,
Unternehmensengagement - ein Beitrag zur gesellschaftlichen
Selbststeuerung zwischen Markt und Staat, in: H. Backhaus-Maul u.a.
(Anm. 2). vgl. auch den Beitrag von Stefan Nährlich in diesem
Heft.
17 Vgl. Ludger Heidbrink/Alfred Hirsch
(Hrsg.), Verantwortung als marktwirtschaftliches Prinzip. Zum
Verhältnis von Moral und Ökonomie, Frankfurt/M.-New York
2008.
18 Vgl. Peter Imbusch/Dieter Rucht
(Hrsg.), Profit und Gemeinwohl. Fallstudien zur gesellschaftlichen
Verantwortung von Wirtschaftseliten, Wiesbaden 2007; Hannes Koch,
Soziale Kapitalisten. Vorbilder für eine gerechte Wirtschaft,
Berlin 2007; sowie die Unternehmensbeiträge in H.
Backhaus-Maul u.a. (Anm. 2).