Kosten
Vielen könnte künftig das Geld für eine angemessene Versorgung fehlen. Eine Finanzreform der Pflegeversicherung bleibt deshalb auf der Agenda
Der Alltag von Marlies Hiss sieht so aus, wie ihn sich viele Senioren wünschen, wenn sie nicht mehr ohne Hilfe vom Morgen bis in den Abend kommen. Auch für Politiker ist die 78-jährige Eichstettenerin Vorbild für die Zeit, wenn in der Pflegeversicherung das Geld knapp wird, weil nur noch wenige Beitragszahler für viele Bedürftige aufkommen müssen. Die ehemalige Betreiberin des Lebensmittelgeschäfts im Winzerort am Kaiserstuhl ist nach einer Herzoperation und zwei schweren Stürzen auf Beistand angewiesen, den die Freiwilligen des Vereins Bürgergemeinschaft leisten. Die Söhne unterstützen die Mutter, doch zwei Mal in der Woche helfen Frauen aus dem Ort im Haushalt oder beim Duschen. "Die Frauen nehmen sich Zeit und sind sehr aufmerksam", sagt Hiss. Dafür zahlt sie gern zwölf Euro je Stunde - acht Euro an die Frauen, vier Euro an den Verein, etwa für Versicherungen.
Profipflege dagegen ist teuer. Braucht jemand rund um die Uhr Betreuung, kommen schnell 10.000 Euro im Monat zusammen. Ein ambulanter Dienst rechnet 40 bis 45 Euro pro Stunde ab. Die gesetzliche Versicherung zahlt für schwerst Pflegebedürftige seit dem 1. Juli maximal 1.470 Euro im Monat an ambulante Dienste oder 675 Euro an Angehörige.
Bei der Pflege zeigt sich wie bei keinem anderen Thema, wie schwer wir uns mit dem Älterwerden tun. Die Prognosen klaffen weit auseinander, was es wirtschaftlich bedeutet, wenn immer mehr Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Sicher ist, dass in einer älteren Gesellschaft weniger Schaukelpferde und mehr Schaukelstühle gebraucht werden. Doch ob immer genug Geld für komfortable Sitzmöbel da sein wird, ist fraglich. Dann hätten Menschen wie die Bewohner Eichstettens zumindest Vorteile, weil bei ihnen Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt funktionieren. Die Pessimisten haben einige Argumente auf ihrer Seite: Anders als bei der Rente verdrängen die Politiker weiter, dass auch diese Sozialkasse ohne Aufbau eines Kapitalstocks keine Sicherheit mehr verspricht. Die Rürup-Kommission im Regierungsauftrag schätzte, dass 2030 mehr als drei Millionen Menschen Pflege brauchen. Viele werden nicht nur gebrechlich, sondern auch geistig verwirrt sein. Aktuell sind "nur" gut zwei Millionen auf Hilfe angewiesen.
Für die heutigen Rentner ist die Pflegeversicherung noch ein glänzendes Geschäft. Sie bekommen Leistungen ohne große eigene Beiträge. Im Umlagesystem, in dem die Zahler für Bedürftige heute aufkommen, sieht das für die nächste Generation schon anders aus. Die geburtenstarken Jahrgänge zahlen ein Berufsleben lang ein und haben nur wenig zu erwarten. Deshalb plädieren viele Ökonomen dafür, die Pflege nicht länger durch eine Umlage von jungen Beitragszahlern auf ältere Empfänger zu finanzieren, sondern schrittweise auf eine Kapitaldeckung umzustellen. In diesem System würde jede Generation Geld fürs eigene Alter sparen. Nachteil: Während der Umstellung wird es für die mittlere Generation eher teurer als billiger, erst die Nachkommenden wären entlastet. Der Sachverständigenrat hat zudem vor einiger Zeit ausgerechnet, dass ein Umbau hin zu einem kapitalgedeckten System für Ältere nicht billig würde. Ein Durchschnittsrentner mit 1.000 Euro Monatsrente, der zuvor 17 Euro Pflegebeitrag zahlte, müsste dann 50 Euro hinlegen. Häufig springen schon jetzt die Sozialämter ein, wenn Geld fürs Heim fehlt. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) schätzt, dass stationäre Einrichtungen ein Drittel ihrer Kosten über die Sozialämter abrechnen. Der bpa geht auch davon aus, dass der Pflegeversicherungsbeitrag von heute 1,95 Prozent des Bruttolohns bis 2050 auf sechs Prozent steigen müsste, um das heutige Niveau zu halten. Bereits heute holen sich die Sozialämter Geld beim Nachwuchs. Immer wieder sind fünfstellige Summen fällig, und meistens geben Gerichte den Behörden recht.
Für einen Ausgleich zwischen den finanzkräftigeren Mitgliedern der Privatversicherung und den oft weniger wohlhabenden Versicherten der gesetzlichen Kassen - dieses Ziel verfolgt etwa die SPD - spricht unter anderem, dass beide identische Leistungen bekommen. Noch weiter gehen würde das Modell der Bürgerversicherung: Dabei gilt eine einheitliche Versicherung für alle. Beiträge würden auf alle Einkommen fällig, egal ob aus Arbeit oder aus Kapital.
Das Thema Pflege gibt aber auch Anlass zum Optimismus: Wirtschaftsvertreter loben die Pflege als "Zukunftsmarkt". Zuletzt übte sich darin Randolf Rodenstock, der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. "Das muss man auch als wirtschaftliche Chance sehen", sagte er über das Jahr 2030. Nur müsse diese dynamische Wachstumsbranche besser als bisher Kundenwünsche erfüllen - die einer zahlungskräftigen Gruppe, die es unter Alten zweifellos gibt. Der Umsatz des Pflegemarktes wird schon heute auf mehr als 25 Milliarden Euro im Jahr geschätzt.
Für die meisten Deutschen heißt aber wohl die Devise, sich mehr bei alltäglichen Ausgaben abknapsen zu müssen, um fürs höchste Alter gerüstet zu sein. Der "Wirtschaftsweise" Bert Rürup brachte es auf den Punkt: "Wir werden vermutlich etwas weniger Geld für Autos und Immobilien ausgeben und mehr für Pflege und Gesundheitsleistungen. Aber für die Wachstumsraten einer Volkswirtschaft ist das letztlich egal."
Die Autorin arbeitet als Politikkorrespondentin des Magazins "Focus" in Berlin. Ihr Buch über "Das große Schrumpfen" (Berlin Verlag) beschreibt, wie der demografische Wandel unseren Alltag verändert.