Finnland
Obwohl das Land dünn besiedelt ist, können sich alte Finnen auf ein gut ausgebautes Pflegesystem verlassen. Wie machen die das bloß?
Die Finnen müssten angesichts ihrer demografischen Entwicklung eigentlich tief besorgt sein. Laut der Industrieländerorganisation OECD altert die finnische Bevölkerung schneller als jede andere in Europa. Das Problem, wie alte Leute gepflegt werden können, wird also vergleichsweise früher dringend. Dazu ist Finnland großflächig und dünn besiedelt. Aber von großer Unruhe ist bei den Verantwortlichen nichts zu spüren - im Gegenteil. Denn das Land schafft es vorbildlich, sich um die ältere Bevölkerung angemessen zu kümmern. Das sehen die Nordlichter mit Selbstbewusstsein. "Finnland ist gewissermaßen ein Pilotprojekt für Europa", sagt Päivi Voutilainen vom Gesundheitsministerium.
Jussi Merikallio, beim finnischen Kommunalverband für Sozialpolitik zuständig, betont: "Unser Ziel ist, dass der Anteil, den die Kommunen von ihrem Haushalt für Ältere ausgeben müssen, zukünftig nicht mehr steigt, auch wenn die Zahl der Älteren zunimmt. Gleichzeitig soll die Versorgungsqualität nicht abnehmen." In dem nordeuropäischen Land sind die Kommunen für die Versorgung der Älteren verantwortlich. "Da die Kommunen dichter am Bürger sind, können sie besser helfen", so Merikallio.
Das finnische Grundprinzip lautet "Haus statt Heim". Ältere Menschen sollen so lange wie möglich in ihrem eigenen Haus wohnen bleiben und nicht in ein Pflegeheim umziehen müssen. "Die meisten Älteren ziehen es vor, in der gewohnten Umgebung zu bleiben. Gleichzeitig ist es häufig billiger als ein Heimplatz", sagt Voutilainen vom Gesundheitsministerium, das den Kommunen die Rahmenvorgaben macht. Hier hat Finnland von Dänemark gelernt, das schon seit längerem einen Großteil der Alten zu Hause versorgt, selbst jene, die umfassendere Pflege benötigen und nicht bloß Hilfe beim Einkaufen und Putzen.
"Bei älteren Menschen, die mehrfach am Tag jemanden brauchen, kann es für die Kommune allerdings teurer werden, diese zu Hause wohnen zu lassen", so Voutilainen. Aber im Schnitt soll diese Maßnahme Kosten sparen. Langfristig will Finnland, dass nur noch drei Prozent der Menschen über 75 Jahre dauerhaft in einem Heim leben. Derzeit liegt die Quote bei 6,5 Prozent, im Jahr 2000 betrug sie noch 8,3 Prozent. Um die Quote weiter zu senken, sei es wichtig, dass auch die Umgebung auf ältere Menschen eingestellt ist, heißt es im soeben präsentierten "Nationalen Plan für hochwertige Dienstleistungen für ältere Menschen" des Gesundheitsministeriums. Es gilt beispielsweise: Je zugänglicher der öffentliche Transport für Ältere, desto besser deren Chancen, unabhängig zu leben. Im Vergleich zu Südeuropa fühlt sich die Familie in Finnland wenig für das Wohl der Eltern verantwortlich. "Wir zahlen hohe Steuern und erwarten dann, dass der Staat sich auch im Alter um uns kümmert", sagt Voutilainen. Dennoch setzt die Politik darauf, Angehörige in die Pflege einzubinden. Ein neues Gesetz sichert pflegenden Angehörigen Unterstützung zu. Wer sich um ein pflegebedürftiges Familienmitglied kümmert, erhält monatlich mindestens 320 Euro vom Staat.
Einsparpotenzial ergibt sich auch durch Outsourcing. Die Kommunen unterhalten Altenheime und beschäftigen Ärzte und Pflegepersonal. Sie können diese Leistungen aber auch auf dem Markt einkaufen. Den Lokalpolitikern ist freigestellt, ob sie die Mediziner selber beschäftigen wollen oder Verträge mit privaten Unternehmen abschließen, die dann die entsprechenden Leistungen erbringen.
"Während sich die Kommunen an recht starre Vorgaben halten müssen, was die Verträge mit den Ärzten angeht, sind private Firmen viel flexibler. Sie können beispielsweise mehr Gehalt bieten, andere Arbeitszeiten oder nur Kurzzeitverträge. Unter den Bedingungen arbeiten viele Ärzte lieber", sagt Lauri Vuorenkoski, Forscher am finnischen nationalen Forschungs- und Entwicklungszentrum für Wohlfahrt und Gesundheit in Helsinki.
Der Autor ist Nordeuropakorrespondent der "Financial Times Deuschland".