Österreich
Deutschlands Nachbarland hat eine rechtliche Lösung für seine osteuropäischen Hilfskräfte gefunden
Die Schwiegermutter des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel (ÖVP) wurde im Sommer 2006 überraschend zu einem Wahlkampfthema. Schüssel hatte bestritten, dass es in Österreich einen Pflegenotstand gebe. Dann wurde plötzlich bekannt, dass auch die Mutter seiner Frau in ihren letzten Lebensjahren nicht von staatlichen Einrichtungen, sondern von einer osteuropäischen Pflegerin betreut worden war.
Die Debatte mitten im Sommerloch war durch eine Anzeige gegen eine illegale Pflegekraft ins Rollen gekommen. Nun wurde öffentlich diskutiert, was längst ein offenes Geheimnis war. Zehntausende Pflegekräfte, fast alle aus Osteuropa, arbeiteten im Graubereich zwischen Gesetzeslücke und Wegschauen der Behörden. Eine Pflegeamnestie, die eilends erlassen wurde, schützte alle Betroffenen zunächst vor Verfolgung. Der Missstand selbst aber blieb.
Die Evangelische Diakonie geht davon aus, dass 55 Prozent der österreichischen Pflegebedürftigen von Angehörigen betreut werden. Weitere Teile decken die mobilen Dienste (24 Prozent) sowie staatliche oder private Pflegeanstalten (16 Prozent) ab. Fünf Prozent oder maximal 20.000 Personen wurden aber von halblegalen oder illegalen ausländischen Kräften betreut.
Eine illegale Pflegekraft, die im Haushalt wohnt, konnte man schon für rund 1.000 Euro monatlich anwerben. Die Gewerkschaft würde einem solchen Lohn für 24-Stunden-Jobs niemals zustimmen. Die neue Regierung, die im Januar 2007 antrat, stand also unter Zugzwang, Lösungen finden, die Lohn- und Sozialdumping keinen Vorschub leisten, gleichzeitig für die Betroffenen erschwinglich sind. Die Pflegeamnestie musste mehrmals verlängert werden, bis Sozialminister Erwin Buchinger (SPÖ) nach einem Jahr im Heimhilfegesetz einen Rahmen schuf, der zumindest von den Hilfswerken und Heimhilfeagenturen begrüßt wurde. Danach wird die bisherige illegale Tätigkeit einer Person nicht verfolgt, wenn sie sich bis 30. Juni dieses Jahres als selbstständige Pflegekraft oder als Angestellte angemeldet hat.
Tarek Sanad, Geschäftsführer der Agentur "Am sicheren Weg", die seit 1. Juli in Oberösterreich Pflegekräfte vermittelt, ist mit der neuen Lösung zufrieden. Seine hauptsächlich in der Slowakei rekrutierten rund 50 Pflegekräfte haben bereits einen Gewerbeschein oder warten auf die positive Erledigung des Antrags. Sie werden im Dreimonatsrhythmus arbeiten und Urlaub machen. Pro Klient sind drei Pflegerinnen im Einsatz, die jeweils zwölf Stunden Dienst tun.
Die Kosten für eine 24-Stunden-Pflege belaufen sich jetzt auf rund 2.000 Euro, weil Sozialabgaben und Steuern zu zahlen sind. Doch gibt es auch einen Zuschuss von bis zu 800 Euro monatlich. Diese Förderung kann in Anspruch nehmen, wer mindestens Pflegestufe drei hat und weniger als 2.500 Euro netto monatlich verdient. Die Vermögensgrenze von 7.000 Euro wird in manchen Bundesländern großzügiger gehandhabt. Das Eigenheim und Hausrat werden nicht einberechnet. Ein gewichtiges Problem ergibt sich daraus, dass die Behörden Demenzkranke, auch wenn sie ständig beaufsichtigt werden müssen, in der Regel in Pflegestufe zwei einsortieren. Weder Pflegegeld noch Zuschuss können den notwendigen Aufwand abdecken.
Es bedurfte der Verabschiedung eines Gesundheitsberufe-Rechtsänderungsgesetzes im Jahr 2007, das im April 2008 neuerlich angepasst wurde, damit das Betreuungspersonal die Tätigkeiten, für die es bisher schon eingesetzt war, auch legal ausüben darf: Unterstützung bei der Körperpflege sowie beim An- und Auskleiden, Unterstützung beim Essen und Trinken, Aufstehen und Gehen sowie bei der Arzneimittelaufnahme, beim Toilettengang einschließlich der Hilfe beim Wechsel von Windeln. Zusätzlich können Ärzte unter anderem folgende Leistungen delegieren: das Verabreichen von Arzneimitteln, das Anlegen von Verbänden und Bandagen, das Setzen von Insulinspritzen sowie Blutabnahme oder einfache Wärme- und Lichtanwendungen.
Besonders umstritten war lange Zeit die Definition der Tätigkeiten, die eine Pflegekraft leisten darf. Denn das Krankenpflegegesetz regelt sehr streng, wer beispielsweise Medikamente verabreichen darf. Den Pflegekräften, die keine einschlägige Ausbildung nachweisen können, sollen Qualifikationskurse für Heimhilfen angeboten werden. Das Sozialministerium arbeitet derzeit an einem Curriculum, nach dem Vereine und Organisationen solche Kurse ausrichten sollen. Die Kostenfrage müsse noch geklärt werden, sagt Oliver Gumhold, Sprecher der Ministers.
Bis zum Ablauf der Pflegeamnestie am 30. Juni - eine Woche vor dem vorzeitigen Ende der Regierung - hatten sich 8.000 Pflegekräfte legalisiert. Eine lächerliche Zahl, meinte ÖVP-Sozialsprecher Werner Amon. Minister Buchinger geht dagegen davon aus, dass die Schätzung von bis zu 40.000 illegalen Kräften weit übertrieben war und dass mit den 8.000 bereits die Mehrheit in die Legalität gefunden hat.
Die Grünen kritisieren, dass für Patienten der niedrigen Pflegestufen keine Förderung vorgesehen ist. Für diese und viele Familien, deren Einkommen über der zulässigen Grenze liegt und die daher nicht in den Genuss von Zuschüssen kommen können, wird der Schwarzmarkt wohl weiterhin attraktiv bleiben.
Der Autor ist "taz"-Korrespondent und freier Journalist in Wien.