KLIMAZIELE
EU-Umweltausschuss beharrt auf strengen CO2-Grenzwerten für Pkw
Laut jüngster Eurobarometer-Umfrage gehen die Europäer streng mit ihren Politikern ins Gericht. Zwar glauben 66 Prozent, die Industrie sei am Klimawandel schuld. Doch immerhin 58 Prozent machen auch die EU für die Probleme mitverantwortlich. Vielleicht hat dieses Ergebnis zu der kleinen Sensation beigetragen, die sich am 25. September im Umweltausschuss des Europaparlaments ereignete. Dort fegte ein parteiübergreifendes Bündnis den vorab zwischen Konservativen und Sozialisten ausgehandelten Kompromiss zum Schadstoffausstoß von Neuwagen ab 2012 vom Tisch.
Der Ausschuss entschied, dass der Schadstoffausstoß sämtlicher ab 2012 produzierter Neuwagen durchschnittlich nicht höher sein darf als 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Weitere 10 Gramm sollen durch so genannte Ökoinnovationen wie reibungsärmere Reifen und Solardächer sowie durch Agrotreibstoff eingespart werden. Die Sparleistung, die jeder Wagentyp beitragen muss, wird in Abhängigkeit vom Gewicht berechnet. Schwere Wagen der Luxusklasse müssen die Emissionen weniger reduzieren als kleine Autos. Dieser Parameter wird 2014 überprüft. Sollte er sich nicht bewähren, wird er durch ein tauglicheres Maß, zum Beispiel die Spurbreite, ersetzt.
Dem Vorschlag, die neuen Grenzwerte stufenweise bis 2015 einzuführen, erteilte der Umweltausschuss eine Absage. Mit dem Stufenmodell hätte jeder Hersteller selbst entscheiden können, welche Typen seiner Flotte er auf die Sparziele anrechnen lässt und welche nicht. Damit wäre 2012 ein durchschnittlicher Schadstoffwert von 154 Gramm pro Kilometer erreicht worden. Da die europäische Flotte bereits heute 158 Gramm pro Kilometer schafft, wäre der Anreiz weggefallen, in neue spritsparende Technologie zu investieren. Auch die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Strafzahlungen, die drastisch hätten gekürzt werden sollen, schrieb der Umweltausschuss wieder in den Text. Für 2020 hat er die ökologische Latte nochmals hochgelegt. Dann sollen neu zugelassene Pkw im Durchschnitt nur noch höchstens 95 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft pusten.
Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms ist begeistert über den Etappensieg. Doch gegenüber dieser Zeitung schränkt sie ein: "Die eigentliche Auseinandersetzung liegt noch vor uns. Der Industrieausschuss und die hinter ihm stehende Autolobby werden nicht lockerlassen." Auch über die im neuen Text formulierte Möglichkeit, so genannte "Ökoinnovationen" über die ursprünglich geplanten zehn Gramm hinaus auf den Spritverbrauch anrechnen zu lassen, werde es noch viel Streit geben.
Falls das Plenum des Europäischen Parlaments im November das Votum des Umweltausschusses bestätigt, gehen die Abgeordneten mit einer klaren klimapolitischen Position in die Verhandlungen mit dem Rat. Im Juni hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Amtskollege Nicolas Sarkozy auf schwächere Grenzwerte und geringere Strafen geeinigt. Frankreich könnte nun aber vielleicht auf die Parlamentslinie einschwenken, da französische Autos schon jetzt weniger Schadstoffe produzieren als die deutsche Konkurrenz. Daher wären die Entwicklungskosten, die durch eine strenge Schadstoff-Verordnung entstehen, für französische Autobauer deutlich geringer.
Außerdem würden die Chancen steigen, dass Sarkozy das gesamte Klimapaket bis zum Ende der französischen Ratspräsidentschaft durchbekommt. Dazu gehört das Emissionshandelssystem und die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten beim Schadstoffausstoß ab 2012 sowie Gesetze zu erneuerbaren Energien, energiesparender Technologie und der Förderung neuer Technologien zur Kohlenstoffspeicherung.
Einige Europaabgeordnete wie der CDU-Parlamentarier Peter Liese betrachten den straffen Zeitplan als große Chance. "Wichtig ist nicht, ob wir den Emissionshandel ausbauen oder stattdessen strenge Grenzwerte einführen, die sich am neuesten Stand der Technik orientieren. Wichtig ist, dass wir in der EU ehrgeizige Ziele festlegen, mit denen wir in die Klimaverhandlungen im nächsten Jahr gehen können." Denn im Dezember 2009 muss die EU bei der nächsten Klimakonferenz in Kopenhagen zeigen, dass sie mit gutem Beispiel vorangeht.
Ganz anders beurteilt Hartmut Nassauer (EVP) die Situation. Er fürchtet, dass der ehrgeizige französische Zeitplan die Rechte des Parlaments einschränken könnte. "Solch folgenschwere Gesetzgebung sollte sorgfältig beraten und mit den Betroffenen abgestimmt werden." Andernfalls würden in undurchsichtigen Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und einigen Parlamentsvertretern Kompromisse geschmiedet, bei denen "am Ende im Plenum nur die Auswahl zwischen ja und nein übrig bleibt."
Nassauer glaubt, dass die von der Kommission vorgeschlagene und vom EU-Industrieausschuss unterstützte hundertprozentige Versteigerung von Verschmutzungsrechten bei der Stromproduktion die Preise ab 2013 drastisch erhöhen wird: "An der Leipziger Strombörse wird Strom ab 2013 um 30 bis 50 Prozent teurer gehandelt. Das ist ein unerträglicher Preisschock."
Dagegen kommt eine Studie des WWF zu dem Ergebnis, dass die Stromerzeuger bereits seit 2005 die Kosten für den Erwerb von Verschmutzungsrechten an die Kunden weitergeben, obwohl sie die Zertifikate bislang umsonst erhalten. "Am Ende wird der Unterschied darin bestehen, ob die Profite in den Taschen der Stromerzeuger bleiben oder für klimafreundliche Politik ausgegeben werden", erklärt Sanjeev Kumar, Spezialist für Emissionshandel beim WWF. Für die Mehrheit der EU-Abgeordneten wird entscheidend sein, wie sie die Stimmung bei den Wählern für die Europawahl im Juni 2009 einschätzen. Steigt die Chance auf einen guten Listenplatz bei dem, der gute Klimapolitik vorweisen kann oder bei dem, der seinen Wählern billigen Strom verspricht? Die Weichen müssen bis Jahresende gestellt sein. Denn unter tschechischer Präsidentschaft wird sich von Januar an in der EU hinsichtlich dieser Frage nicht viel bewegen. Zumindest darüber besteht parteiübergreifend Konsens unter den Abgeordneten.