FRANKREICH
Mehrheit stimmt für den Einsatz in Afghanistan, aber Regierung erleidet heftige Schlappe
Abziehen oder bleiben? In der Debatte über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes standen sich im französischen Parlament, der Assemblée nationale, dem französischen Parlament, bürgerliche Mehrheit und linke Opposition am 22. September frontal gegenüber.
Vom "Ende der nationalen Einheit" in militärischen Fragen sprach anschließend die konservative Pariser Zeitung "Figaro". Das ist nur die halbe Wahrheit. Der Einsatz der eigenen Truppen im fernen Afghanistan seit inzwischen sieben Jahren spaltet nicht nur die Pariser Nationalversammlung.
Längst lehnen laut jüngsten Umfragen zwei von drei Franzosen die militärische Mission am Hindukusch ab. Sie fordern die zügige Heimkehr der inzwischen rund 3.300 dort stationierten Soldaten. Ein solches Meinungsbild ist bemerkenswert in einem Land, das Einsätze der eigenen Truppe im Ausland - vom ersten Golfkrieg über Bosnien und Süd-Libanon bis Ruanda - bislang immer mehrheitlich unterstützt hat.
Afghanistan hingegen ist in Frankreich zum Reizwort geworden, zumal inzwischen bis in konservative Kreise hinein der Eindruck vorherrscht, Präsident Sarkozy beuge sich allzu willfährig dem Drängen der USA nach weiteren Truppenverstärkungen. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Sarkozy noch ganz anders geklungen. Die dauerhafte Präsenz der französischen Truppen "in diesem Teil der Welt scheint mir nicht entscheidend zu sein", hatte er damals markig gesagt und einen kontinuierlichen Abzug versprochen.
Das hat sich radikal geändert. Reichlich unwillig und ziemlich unangenehm überrascht hatten die Franzosen Sarkozys Ankündigung auf dem Bukarester Nato-Gipfel im April zur Kenntnis genommen, das französische Afghanistan-Kontingent um weitere 700 Soldaten aufzustocken. Als dann Mitte August zehn französische Soldaten in einem Hinterhalt der Taliban-Aufständischen 50 Kilometer östlich der Hauptstadt Kabul ums Leben kamen, war die Nation überdies zutiefst schockiert. Immer weniger Franzosen glauben noch den windungsreichen offiziellen Beteuerungen, dass Frankreich bei der Isaf-Mision in Afghanistan nicht im Krieg stehe, sondern, so etwa Außenminister Bernard Kouchner, allenfalls in einen "Kampf" verwickelt sei, "der einem Krieg ähnelt".
"Nennen wir doch eine Katze eine Katze", mahnte daraufhin der "Figaro" den Mut zur Wahrheit an. Hitzig verlief vor diesem Hintergrund die Debatte im französischen Parlament - eine Zäsur in Frankreichs "republikanischer Monarchie".
Bislang nämlich hatten Abgeordnete und Senatoren in der Außen- und Sicherheitspolitik, der "reservierten Domäne" des Präsidenten, nichts zu melden. In beiden Bereichen lag die Entscheidungsbefugnis bislang allein beim Staatspräsidenten, der als Chef der Armee auch Auslandseinsätze ohne jede parlamentarische Konsultation anordnen konnte. Erst die Verfassungsreform, die Sarkozy vor der langen Sommerpause gegen die Stimmen der Opposition, aber auch einiger Abweichler aus dem gaullistischen Lager, mit hauchdünner Mehrheit durchs Parlament boxte, gab dem Parlament jetzt erstmals ein Stimmrecht. Es gilt für alle militärischen Auslandseinsätze, die länger als vier Monate dauern.
Dass am Ende die bürgerliche Mehrheit mit 343 Stimmen die Opposition aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen (210 Stimmen) überstimmte und damit den Afghanistan-Einsatz verlängerte, war nicht weiter überraschend. Premier Francois Fillon hatte die eigenen Reihen, in denen durchaus auch am Sinn der Mission gezweifelt wird, eingenordet. Er versprach in der Debatte überdies, die Truppe technisch besser auszurüsten. Für böses Blut hatte just im Vorfeld der Debatte die Veröffentlichung eines internen Nato-Berichts gesorgt, der gravierende Ausrüstungsmängel auf Seiten der Franzosen mit für den Tod der zehn Soldaten verantwortlich machte. Bislang hatte Verteidigungsminister Hervé Morin dies immer bestritten.
Der Zwang, im Parlament erstmals in aller Öffentlichkeit Farbe zu bekennen, stellte indes vor allem die Sozialisten vor Probleme. Die 24 Abgeordneten von Kommunisten und Grünen verlangten unisono den sofortigen Abzug. "Die Koalition hat den Krieg verloren", trompete der Grüne Noel Mamère. Die Sozialisten wollten um jeden Preis den Eindruck vermeiden, der Truppe in den Rücken zu fallen. "Wir stimmen nicht gegen die Fortsetzung des französischen Engagements in Afghanistan. Aber wir stimmen gegen ein politisches und militärisches Konzept, das in die Sackgasse führt", begründete Fraktionschef Jean-Marc Ayrault das Nein zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes. Ein Nein, das ihm heftige Kritik einbrachte. "Wir senden an die Taliban und die Welt das Bild eines gespaltenen Landes", wetterte etwa der konservative Abgeordnete und bekennende Atlantiker Pierre Lellouche.
Die Not der Sozialisten macht Präsident Sarkozy das Leben nicht einfacher. Künftig muss auch er, mit Rücksicht auf die öffentliche Stimmungslage, in seiner Afghanistan-Politik weitaus vorsichtiger und behutsamer agieren. Die Zeiten, in denen er eigenmächtig Soldaten an den Hindukusch entsenden konnte, sind in Frankreich ein für allemal vorbei.