EU-GIPFEL
Union verständigt sich erstmals auf gemeinsames Hilfsprogramm für angeschlagene Märkte
Das Herzen und Umarmen wollte beim Herbstgipfel vergangene Woche in Brüssel überhaupt kein Ende nehmen. Zwar gehören innige Begrüßungen zum guten Ton, wenn die Mächtigen Europas ihre gemeinsamen Tagungen abhalten. Man kennt sich, man braucht einander, auch wenn man vor der heimischen Presse schon mal gegen die EU vom Leder zieht. Am 15. Oktober aber führten sich die 27 Staatschefs auf wie trauernde Verwandte, die am offenen Grab jeglichen Streit ruhen lassen. Seit auch Europas Führer in den schwarzen Schlund der Finanzkrise blicken, rücken sie enger zusammen.
Nach Monaten der Stagnation zeigt die EU neue Handlungsfähigkeit. Zunächst gelang es dem französischen EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy innerhalb weniger Tage einen Waffenstillstand im Kaukasus zu erwirken. Dann stimmten die Europäer in mehreren Treffen im kleineren und größeren Kreisen im Eiltempo ihre nationalen Finanzpakete ab. Zunächst trafen sich die vier europäischen Mitglieder der G8-Gruppe, dann zum ersten Mal in der Geschichte der Einheitswährung die Regierungschefs der Euroländer. Schließlich folgte am 15. Oktober der reguläre Herbstgipfel im Kreis der 27, wo von den Staats- und Regierungschefs Grundzüge für eine neue europäische Wirtschaftspolitik und eine neue Weltfinanzordnung skizziert wurden.
Experten sind sich einig, dass ohne Einheitswährung alles viel schlimmer hätte kommen können. Das ehemalige Zentralbankmitglied Otmar Issing brachte es auf den Punkt: "Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, was in der aktuellen Finanzmarktkrise geschehen wäre, wenn die Euroländer ihre nationalen Währungen noch hätten. Währungsspekulation im großen Stil, Stützkäufe der Zentralbanken und schließlich ein Zusammenbruch des Wechselkurssystems."
Mitleidig blickt man aus Euroland auf den freien Fall der isländischen Krone und auf Notmanöver der dänischen Regierung, die den Wechselkurs durch Zinssteigerung stabil zu halten versucht.
Auch das Britische Pfund hat gegenüber dem Euro an Wert verloren. Dennoch hat der britische Premierminister Gordon Brown das Kunststück fertiggebracht, sich in Brüssel als Retter der europäischen Finanzwirtschaft feiern zu lassen. Natürlich denke er nicht daran, nun seinerseits der Eurozone beizutreten, beruhigte er britische Reporter. "Unsere Position zum Euro hat sich nicht geändert. Wir werden nicht beitreten."
Obwohl Ratspräsident Sarkozy, Brown und
EU-Kommissionspräsident Barroso aus ganz unterschiedlichen
politischen Lagern stammen, waren sie sich vergangene Woche
erstaunlich einig darüber, was nun auf
europäischer und internationaler Ebene geschehen muss.
Nichts geringeres als eine "Neugründung des Kapitalismus" strebt Sarkozy an. "Ist es vielleicht normal, dass eine Bank, die mit Steuergeldern gerettet wird, ihre Gewinne in Steuerparadiese verschiebt?", fragte der Franzose empört. Es müsse Schluss damit sein, dass Rating Agenturen, die die Kreditwürdigkeit von Banken beurteilen sollen, eben diesen Banken gehören. Die Regierungschefs verständigten sich am Ende einstimmig darauf, eine Art "Rotes Telefon" für Finanzkrisen freizuschalten. Der jeweilige Ratspräsident, der Kommissionspräsident, der Vorsitzende der Zentralbank, der Chef der Eurogruppe und alle europäischen Regierungen sollen dem Verbund angehören. Wenn ein Land in Finanzschwierigkeiten gerät und der Staat ins Finanzsystem eingreift, sollen sofort alle anderen informiert werden.
Die Bereitschaft für europäische Lösungen sei durch die aktuelle Krise gestiegen, glaubt Sarkozy. Dabei müssten ihn die Erfahrungen, die er mit seinem ehrgeizigen Klimapaket macht, eigentlich eines Besseren belehren. In der zehnseitigen Schlusserklärung zum EU-Gipfel wird das Thema Klima in sieben Zeilen abgehandelt. Eigentlich hatte die EU mit einer strengen Klimagesetzgebung weltweit die Führungsrolle übernehmen und die kohlenstofffreie Zukunft einläuten wollen. Zwar haben die Gipfelteilnehmer das Ziel, bis zum Jahr 2020 den CO2-Ausstoß um 20 Prozent zu verringern, noch einmal einstimmig bestätigt. Aber diese Verpflichtung steht nur auf dem Papier. Die wichtige Frage, wie sie das erreichen wollen, bleibt unbeantwortet. Denn die meisten Mitgliedsländer wollen ihre heimischen Industrien gerade in der Finanzkrise nicht zusätzlich belasten. Sarkozy weiß, dass er das gigantische Paket noch dieses Jahr durch Rat und Parlament bringen muss, wenn es vor dem Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen stehen soll. Denn am 1. Januar übernimmt Tschechien die Ratspräsidentschaft. Die Prager Regierung ist in sich zerstritten, steht der EU skeptisch gegenüber und hat im Kreis der 27 Regierungen nicht viel Gewicht. Deshalb werden ihr praktisch keine Chancen eingeräumt, einen Konsens im Rat zu erreichen. Dann stünde die EU zur Europawahl im Juni wieder als handlungsunfähig und zerstritten da.
Der Vertreter der Bundesregierung, Uwe Corsepius, betonte in seinem Bericht am 17. Oktober vor den Abgeordneten des Europaausschusses, dass von dem Gipfel in Brüssel ein "einiges Signal" ausgegangen sei. Man habe sich geeinigt, die Beschlüsse der Vertreter der Euro-Zone auf die 27 Mitgliedstaaten zu übertragen, sagte er. Auf die Frage, wie bei den Beratungen die Zukunft des ins Stocken geratenen EU-Reformvertrages von Lissabon behandelt worden sei, erklärte er, dass es im Moment die Erwartung aller sei, dass die irische Regierung dazu auf dem EU-Gifpel im Dezember einen detaillierten Plan, eine road-map, vorlegen werde. Daniela Weingärtner/as