AFGHANISTAN
Die Bundeswehr bleibt länger - vorerst bis Ende 2009. Aber die Probleme nehmen zu und die Lage wird zunehmend komplizierter
Die ehemalige amerikanische Außenministerin Madeleine Albright hat kürzlich in der "New York Times" angemerkt, in Afghanistan sei die Lage "fürchterlich verfahren". Egal, wer das Ruder Ende Januar 2009 übernehme - Obama oder McCain - für den neugewählten US-Präsidenten müsse es das erste Ziel seiner Nato-Politik sein, die "Erwartungen und Gefühle" der einheimischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Die afghanischen Streitkräfte gelte es so auszubilden, dass sie die Dörfer des Landes verteidigen könnten.
Albright gilt als eine Frau, die ihre Worte sorgsam wägt. Deshalb müssten auf Seiten der amerikanischen Regierung alle Alarmglocken läuten, wenn Albright nicht sagt, aber vermutlich meint: Alles Geld, was die USA nach Afghanistan pumpen, wird sich als wertlos erweisen, wenn es nicht gelingt, die Herzen der Menschen zu gewinnen und diese selbst in die Lage zu versetzen, sich verteidigen zu können.
Derweil schätzt der deutsche Generalmajor Hans-Lothar Domröse, Chef des ISAF-Stabes (International Security Assistance Force), die afghanische Armee sei erst ab dem Jahr 2013 - also in gut vier Jahren - in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, dass es ab diesem Termin verantwortbar sei zu überlegen, ob man die ISAF-Truppen reduzieren kann. Das Problem ist nur: Die Niederländer planen für 2010 ihren Rückzug aus Afghanistan; die Kanadier wollen ein Jahr später gehen.
Nicht nur Amerika hat zahlreiche Tote im Verlauf des Konflikts zu beklagen. Auch Kanadier und Briten haben zahlreiche Gefallene in Afghanistan zu beklagen. Führende Generäle haben bereits intern wissen lassen, der Kampf gegen die Taliban sei militärisch nicht zu gewinnen. Amerikanische Geheimdienste sehen das ebenso. Ein Grund dafür ist, dass die Taliban Rückzugsgebiete auf der pakistanischen Seite nutzen können. Auch Domröse ist da äußerst skeptisch. Solange der Krieg von der anderen Seite der Grenze her geführt werde, sei der Konflikt nicht zu gewinnen. Die Grenze zu Pakistan sei 2.500 Kilometer lang und nicht beherrschbar. Der Abgeordnete Andreas Schockenhoff (CDU) fordert deshalb, Afghanistan nicht länger isoliert zu betrachten und einen regionalen Ansatz zu verfolgen. Pakistan sei in seinem Grenzgebiet durch die dort agierenden Taliban und Al-Qaida genauso bedroht wie Afghanistan.
Auch in Afghanistan steht längst nicht alles zum Besten. Beispiel: Bekämpfung der Drogen. Das Land produzierte im letzten Jahr 82.000 Tonnen Rohopium, 200 Prozent mehr als 2006. Dies macht sage und schreibe 53 Prozent des afghanischen Bruttoinlandsprodukts aus.
Nach einem Beschluss der Nato-Verteidigungsminister, die sich am 10. Oktober in der ungarischen Hauptstadt Budapest trafen, können zukünftig Produktionslabore zerstört werden sowie der Transport von Chemikalien für die Rauschgiftherstellung unterbunden werden. Dabei sollen Afghanen federführend tätig sein. Deutschland soll diese dabei unterstützen. Deutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wollte dabei vermutlich die parlamentarische Zustimmung zum Einsatz in Afghanistan nicht gefährden.
Der Abgeordnete Andreas Schockenhoff (CDU) hofft, dass die zusätzlichen 70 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte helfen, die Wiederaufbauerfolge für die Menschen in Afghanistan schneller sichtbar zu machen und Alternativen zum Opiumanbau zu schaffen. Der Kampf gegen die Drogenwirtschaft sei und bleibe die Aufgabe der afghanischen Sicherheitskräfte, betonte Schockenhoff. Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) wies auf die Erfolge deutscher Wiederaufbauhilfe hin: In diesem Jahr sei in 18 von 34 Provinzen Afghanistans kein Schlafmohn angebaut worden. Der zivile Wiederaufbau sei Voraussetzung für den Erfolg des Landes. Die ISAF sei die Voraussetzung für den Erfolg des Wiederaufbaus und für die politische Stabilisierung, so Wieczorek-Zeul.
Dringend zu verbessern ist auch der Polizeiaufbau. "Wir erwarten, dass über die Polizeiausbildung nicht nur geredet wird, sondern dass sie auch wirklich etwas tun", so die FDP-Abgeordnete Birgit Homburger. Und ihr Kollege Jürgen Trittin (Grüne) kritisierte, die USA gäben für den Polizeiaufbau 800 Millionen Dollar aus, während Deutschland 36 Millionen Euro plus die Mittel für das einschlägige EU-Projekt zur Verfügung stelle. Auch nach Meinung von Ulrich Kirsch, des künftigen Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, steht fest, wenn in den Außenbezirken von Kabul Mörderbanden ihr Unwesen trieben, dann sei es Aufgabe der afghanischen Polizei, dem Einhalt zu gebieten.
Kirsch ist darüber hinaus der Meinung, dass die erneute Verlängerung des Bundeswehr-Mandates zu kurz greift. Nur die militärischen, nicht aber die zivilen Aspekte würden berücksichtigt. Der künftige Vorsitzende des Bundeswehrverbandes zieht die Schlussfolgerung: "Insofern wird vieles auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen." Das Land müsse so aufgebaut werden, dass es wieder der eigenen Verantwortung überlassen werden kann. Dabei könnten die Soldaten der Bundeswehr aber nur 20 Prozent dieser Arbeit leisten, die restlichen 80 Prozent müssten von denen geleistet werden, die die Polizei und die Justiz des Landes aufbauen oder im Rahmen der Entwicklungshilfe im Land arbeiten.
Diese positiven Seiten hob auch Wieczorek-Zeul hervor: Die Kindersterblichkeit in Afghanistan sei zurückgegangen. Mehr als vier von fünf Menschen im Land hätten Zugang zu medizinischer Versorgung. Es gebe mittlerweile eine Mikrofinanzbank, die 70.000 Kredite vergeben habe. Und Manfred Grund (CDU/CSU-Fraktion) ergänzte, es seien an 52.000 Handwerker, Gewerbetreibende, Privatpersonen und Dienstleister insgesamt Kredite in Höhe von 56 Millionen Euro vergeben worden. Sieben Millionen junge Menschen - viele davon Mädchen - könnten wieder in die Schule gehen.
Dass in Afghanistan ein grundsätzlicher Strategiewechsel stattfindet, bezweifelte Paul Schäfer von der Linksfraktion. Die Intensität des Militäreinsatzes nehme immer weiter zu. "Diese Doppelstrategie wird nicht funktionieren. Mehr Entwicklungshilfe und mehr Infanterie beziehungsweise Luftwaffe, das passt nicht zusammen" betonte der Abgeordnete. Als die Lage noch vergleichsweise ruhig war, sei es versäumt worden, "wirklich schnell für einen spürbaren Aufschwung und Aufbau zu sorgen", kritisierte Hellmut Königshaus (FDP). Der Abgeordnete beanstandete weiter, es gebe ein "groteskes Missverhältnis" zwischen den Kosten für den Militäreinsatz und den tatsächlich erbrachten Aufbauleistungen. Dies wird belegt durch eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion. Insgesamt hat der Einsatz seit Ende 2001 rund 2,4 Milliarden Euro verschlungen.
Citha D. Maass von der Stiftung Wissenschaft und Politik blickt bereits weiter hinaus: Die Aufstockung der deutschen Truppen um 1.000 Soldaten sei bereits präventiv beschlossen worden. Den Abgeordneten sei bewusst gewesen, dass der nächste amerikanische Präsident ein stärkeres Engagement von Deutschland einfordern werde. Es sei fraglich, ob ihn die beschlossene Aufstockung der Truppen zufriedenstellen werde, so die Expertin weiter. Allerdings hält sie eine Verlängerung des Mandates um 14 Monate für sinnvoll. Im Anschluss würden die USA und eventuell auch Deutschland und Afghanistan eine neue Regierung haben, die neu entscheiden könne.