KANADA
Premier Harper setzt Minderheitsregierung fort
Kanadas Wähler haben Premier Stephen Harper nicht die erhoffte absolute Mehrheit gegeben. Bei der Wahl am vergangenen Dienstag gewann die Conservative Party des Regierungschefs 37,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, was ihr 143 von 308 Sitzen im House of Commons sichert.
Harpers Partei gehörten bislang 127 Sitze im Parlament. Nun hat sie ein leicht stärkeres Mandat bekommen. Die stärkste Oppositionspartei im House of Commons, die Liberal Party, kam auf 26,2 Prozent der Stimmen und erhielt 77 Sitze, nur etwas mehr als halb so viele wie die regierenden Konservativen. Die Liberalen verloren mit dieser Wahl 18 ihrer bislang 95 Sitze im Parlament. Parteichef Stéphane Dion sicherte Harper nach der Wahlschlappe eine enge Zusammenarbeit "in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten" zu.
Der separatistische Bloc Québécois kam auf 49 Sitze, die erstarkte New Democratic Party auf 37.
"Die Kanadier haben sich dafür entschieden, unser Land voranzubringen", kommentierte Harper den Ausgang der vorgezogenen Wahl. Mit der Konstituierung des Parlaments ist Anfang November zu rechnen.
Doch so richtig zufrieden kann niemand mit dem Ergebnis sein, das Kanada immerhin die dritte Minderheitsregierung in vier Jahren beschert. Die Wähler bekommen nicht die starke Regierung, die sie brauchen, um der drohenden Rezession energisch begegnen zu können. Und Stephen Harper, der erste Regierungschef der G7, der sich in der laufenden Kreditkrise zur Wiederwahl stellte, bekam nicht das erhoffte Mandat für eine Alleinregierung.
Für Harpers Conservative Party wird das Regieren nun trotz des gestärkten Mandats deutlich schwieriger. Grund dafür ist die eingetrübte Konjunktur. "Unsere Zahlen weisen auf eine Rezession hin", sagt der Konjunktur-Experte Derek Holt bei der Investmentbank Scotia Capital. Und Dale Orr, Kanada-Chef beim Analyse-Konzern Global Insight, fürchtet, dass der Regierungschef seine 8 Milliarden Kanada-Dollar umfassenden Wahlversprechen nicht wird umsetzen können.
Nach sprudelnden Steuereinnahmen während der Rohstoff-Rally im ersten Halbjahr muss Ottawa für das Gesamtjahr 2008 zwar noch nicht mit einem Defizit rechnen. Doch 2009 dürfte es nach Ansicht von Dale Orr schwierig werden: "Die Regierung wird ein Dilemma haben. Entweder sie wird Ausgaben kürzen, oder sie wird ein rot gefärbtes Budget präsentieren. Aber Harper hat ein Defizit ausgeschlossen."
Im Klartext: Wenn im Februar nächsten Jahres das neue Budget debattiert wird, hat die konservative Regierung kaum Geld, um der Opposition mit teuren Ködern eine Zustimmung schmackhaft zu machen. Ein Luxus, den die beiden vorangegangenen Minderheitsregierungen noch hatten. Seit 2004 sind die Ausgaben in Ottawa aber um 30 Prozent gestiegen.
Schon lange vor dem Februar wird es für die alte und neue Regierung ernst. In den kommenden Wochen muss Stephen Harper - dem Beispiel der anderen G7-Regierungen folgend - für Garantien auf Interbanken-Kredite, zusätzliche Hilfen für Wackel-Hypotheken und Konjunkturmaßnahmen enorm viel Kapital bereitstellen. Zerreißproben mit den drei Oppositionsparteien im Parlament sind vorgezeichnet. Keine von ihnen ist als fester Koalitionspartner vorge- sehen. Markus Gärtner