DATENSCHUTZ
Die Opposition sieht nicht nur die Unternehmen in der Pflicht
Die Datenschutzskandale reißen nicht ab: Abhöraktionen bei Lidl und Co, der Diebstahl von 17 Millionen Kundendaten bei der Telekom, die unerlaubte Weitergabe von Kontoverbindungen Tausender Verbraucher - der Daten-Sammelwut privater Unternehmen sind offenbar keine Grenzen gesetzt; dafür ist der Handel mit den sensiblen Informationen wohl zu lukrativ.
Doch auch der Staat häuft immer mehr Daten an: So sieht ein Gesetzentwurf, über den der Bundestag am 16. Oktober beriet, die Einführung eines elektronischen Entgeltnachweises vor ( 16/10492). Mit dem ELENA-Verfahren sollen künftig alle Arbeitgeber verpflichtet werden, die Einkommensnachweise ihrer Beschäftigten auf elektronischem Wege an die Sozialversicherungsträger weiterzuleiten. Sie sollen in einer zentralen Datenbank gespeichert werden, auf die dann die zuständigen Behörden zugreifen können, um die jeweilige Leistung zu berechnen. Noch stellen rund drei Millionen deutsche Arbeitgeber 60 Millionen solcher Bescheinigungen jedes Jahr in Papierform aus.
In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf hat der Bundesrat bereits auf die verfassungsrechtliche Brisanz des Vorhabens hingewiesen: Mit der Datenbank würden einkommensrelevante Daten von mehr als 30 Millionen Bürgern gespeichert. So entstehe eine der größten Sammlungen mit personenbezogenen Daten in Deutschland.
In der Bundestagsdebatte über den Entwurf verteidigte Kai Wegner (CDU/CSU) das geplante Verfahren: Es revolutioniere "die Art und Weise, wie wir in unserem Land Verwaltung organisieren" und setze die Bemühungen zum Bürokratieabbau konsequent fort. Sicherheitsbedenken trat er entgegen: Das ELENA-Verfahren erfülle die höchsten Sicherheitsstandards. "Das gilt sowohl für die Verschlüsselung der Daten als auch für die Möglichkeit des Abrufs."
Die SPD-Abgeordnete Doris Barnett betonte ebenfalls: "Die Bürgerinnen und Bürger bleiben bei dem System des elektronischen Einkommensnachweises immer Herr ihrer Daten." Silke Stokar von Neuforn (Bündnis 90/Die Grünen) sah dagegen den Vorwurf vieler Datenschützer bestätigt, mit ELENA werde eine erneute Vorratsdatenspeicherung aufgebaut. Die FDP-Abgeordnete Ulrike Flach zeigte sich besorgt, dass ELENA eine Datensammelstelle "gigantischen Ausmaßes" werden könnte, mit der weitere Begehrlichkeiten geweckt würden.
Dass es solche Begehrlichkeiten gibt, ist wohl unzweifelhaft. Schließlich ist das Sammeln von personenbezogenen Daten inzwischen Alltagsgeschäft: Durch den Einsatz mathematisch-statistischer Verfahren bewerten so genannte Auskunfteien wie die Schufa unter anderem die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern - manche Firma könnte auch versuchen, an die Daten aus der ELENA-Datei zu gelangen. Der sich aus einem "Scoring-Verfahren" ergebene Score-Wert entscheidet etwa darüber, zu welchen Konditionen man einen Mobilfunkvertrag oder einen Kredit bei der Bank bekommt. Für den Kunden ist das oft kaum nachvollziehbar. Diesem Umstand will die Regierung nun durch neue Transparenzregeln entgegentreten. Das war Thema der zweiten Datenschutzdebatte in der vergangenen Woche im Bundestag. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes ( 16/10529) will die Regierung der wachsenden Bedeutung der Auskunfteien Rechnung tragen und den Verbrauchern mehr Informations- und Auskunftsrechte einräumen.
Angesichts der Sorgen, die den Datenschutz derzeit beschäftigen, kritisierte die Opposition den Entwurf am 17. Oktober als zu halbherzig.
Das Problem des Datenschutzes, betonte Jan Korte von der Linksfraktion, sei doch nicht nur ein privatwirtschaftliches. "Das Hauptproblem ist bei dieser Bundesregierung der Staat." Als Beispiele nannte er die Anti-Terror-Datei und die Einführung biometrischer Merkmale in Ausweisen und Pässen. Mit Verweis auch auf das geplante ELENA-Verfahren und die elektronische Gesundheitskarte forderte er: "Wir brauchen hier und heute ein sofortiges Moratorium für alle Großprojekte, die den Datenschutz tangieren."
Der Opposition fehlte im Gesetzentwurf auch ein Verbot des so genannten Geo-Scorings, wie es die Grünen in einem Antrag fordern ( 16/10216). Dabei entscheidet allein der Wohnort eines Bürgers über dessen Kreditwürdigkeit. "Das lehnen wir ab", betonte auch der SPD-Abgeordnete Manfred Zöllmer. "Wir wollen nicht, dass Menschen in Sippenhaft genommen werden können, nur weil sie zufällig in einem bestimmten Stadtteil wohnen", sagte er und kündigte Nachbesserungen im Gesetzentwurf an.
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich in einem Antrag zudem für die Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz ein ( 16/9607). "Seit Monaten schon jagt ein Datenschutzskandal den anderen", sagte Silke Stokar von Neuforn. Es sei Zeit für eine grundsätzliche Trendwende. Aus den Reihen der SPD gab es für diesen Vorschlag durchaus Sympathien.
Beatrix Philipp von der CDU/CSU-Fraktion verteidigte den Entwurf. Bisher habe eine Rechtsgrundlage für das Scoring-Verfahren gefehlt. "Jetzt regeln wir die genauen, exakten Bedingen, unter denen ein Score-Wert berechnet werden kann."
Die FDP unterstützte die Forderung des Bundesrates, die Weitergabe von Daten für Werbezwecke unter Einwilligungsvorbehalt zu stellen. "Das ist dringend fällig", betonte Gisela Piltz. Den Vorschlag hatte die Länderkammer, die einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes eingebracht hatte ( 16/31), in einer Stellungnahme gemacht.
Die Regierung hat bereits angekündigt, den Entwurf zu verschärfen. So sollen neben der Abschaffung des "Listenprivilegs", das eine Weitergabe bestimmter Daten zu Werbezwecken grundsätzlich erlaubt, unter anderem die Bußgeldtatbestände für Verstöße gegen das Datenschutzrecht erweitert werden. Zudem werde die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Herkunft personenbezogener Daten geprüft. Der Entwurf soll Ende November im Kabinett behandelt und Anfang Dezember vom Bundestag verabschiedet werden.