Das Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Niels Annen ähnelt nach der Sommerpause einem Taubenschlag: Ein Gesprächstermin folgt dem nächsten. Gerade verlässt ein Mann mit Tracht und Turban den Raum. "Ein afghanischer Parlamentarier", erklärt Annen. Es ist ein Kontakt, den er als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses auf seinen Reisen nach Afghanistan geknüpft hat. Dreimal schon ist Annen, seit er 2005 in den Bundestag eingezogen ist, dorthin geflogen, immer vor einer Bundestagsentscheidung über die Fortsetzung des Afghanistan-Mandats.
Auch jetzt, wo das Parlament über eine erneute Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes debattiert, ist der 35-Jährige für zwei Wochen in das Land am Hindukusch gereist, um sich einen Eindruck von der Lage vor Ort zu verschaffen. Kein einfaches Unterfangen: "Das Dilemma ist, je mehr man über Afghanistan erfährt, desto mehr Fragen hat man", sagt Annen. "Die Strukturen und Zusammenhänge sind schwer zu durchschauen."
Umso wichtiger sind dem gebürtigen Hamburger deshalb die Gespräche mit Politikern, Soldaten und Vertretern von Hilfsorganisationen vor Ort. Den Austausch zu suchen ist ein Prinzip, das er auch in seinem Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel beherzigt: Annen will zuhören, verstehen - ob es nun um Proteste gegen einen Möbelmarkt oder eben die Sicherheit in Afghanistan geht: "Mir geht es darum, ein Gefühl für die Situation zu entwickeln, zu wissen, worüber die Leute sprechen, wenn man mit ihnen bei einem Tee zusammensitzt" erklärt Annen.
Vom Hindukusch ist er nachdenklich zurückgekommen: Die Sicherheitslage habe sich verschlechtert, so Annen, viele Afghanen klagten über Korruption in der Regierung, auch die Kritik am Einsatz der ISAF-Schutztruppe nehme zu. "Doch wenn man fragt, ob sie abgezogen werden soll, dann sagen die Leute‚ um Gottes Willen, nein, sonst werden wir in ein paar Monaten umgebracht", berichtet Annen. Diese Angst nimmt er ernst. Dennoch, für ihn, den stellvertretenden Sprecher der Partei-Linken, der sich der antimilitaristischen Tradition der SPD verpflichtet fühlt, bedeutet der Einsatz einen Gewissenskonflikt. Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Frieden - das sind schließlich die Triebfedern für sein politisches Engagement. Wie eine Mahnung wirkt das SPD-Wahlplakat aus den Nachkriegsjahren, das Annen an seine Bürotür geheftet hat: "Kein Krieg mehr! Frieden und Freiheit!" steht darauf. Für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan wird Annen trotzdem - vielleicht auch gerade deswegen - stimmen: "Es leben dort Menschen, die sich darauf verlassen, dass wir nicht weglaufen." Auch Annen selbst ist keiner, der vor Verantwortung davon läuft: 2001 stellt er sich als Bundesvorsitzender der Jusos zur Wahl - und gewinnt. Für Annen eine unerwartete Chance, und aus heutiger Sicht der Grundstein für seine politische Karriere.
Auch wenn sein politischer Werdegang vom Landesschülersprecher über den Vizevorsitzenden der "International Union of Socialist Youth", bis zum heutigen Bundestagsabgeordneten wie vorgezeichnet wirke, habe er nie geplant, Politik zum Beruf zu machen: "Ich habe nicht am Tor gerüttelt und ‚Ich will da rein!' gerufen", scherzt er. Polit-Karrieren ließen sich nicht planen, weil der Zufall eine erhebliche Rolle spiele. Diesen nutzt er aber: Die drei Jahre, in denen er den Juso-Vorsitz innehat, fallen in eine für die SPD stürmische Zeit: Die "Agenda 2010" des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder droht die Partei zu spalten. Annen ist einer der prominentesten Kritiker. Unter seiner Führung gewinnen die Jusos an Profil. Eigentlich ein Erfolg, doch froh kann er darüber nicht sein: "Die SPD hat fast 200.000 Mitglieder verloren, elf Landtagswahlen und den Kanzler - was soll daran gut sein?" Es sind Lehrjahre für den Nachwuchspolitiker: "Das Schwierige war, die eigene Position deutlich zu machen, zugleich aber das Ganze zu sehen", erklärt Annen. Als Juso-Vorsitzender trage man auch "Verantwortung für den Gesamtladen". Trotz allem blickt er gern zurück. Der Juso-Vorsitz sei zwar nicht - frei nach Franz Müntefering - das "schönste Amt neben dem Papst", aber eben doch "etwas Besonderes".