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Junge Bundestagsabgeordnete vertreten im Parlament die Interessen ihrer Generation - aber nicht nur die
Ein Satz brachte Jens Spahn im März 2008 bundesweit in die Schlagzeilen: "Das Wahlgeschenk an die Rentner kostet die Jungen mittel- und langfristig viel Geld." Mit diesen Worten hatte der jüngste CDU-Bundestagsabgeordnete die überraschend beschlossene Rentenerhöhung kritisiert. In den Wochen danach erhielt er bitterböse Briefe und sogar Drohungen. "Rotzlöffel" war noch eine der harmloseren Beleidigungen. Als die Medien dann ausführlich über die heftigen Reaktionen berichteten, gab es aber auch unterstützende Briefe und E-Mails - vor allem, aber nicht nur, von Jüngeren. "Auch ältere Bürger haben geschrieben", erinnert sich Spahn, "im Sinne ihrer Enkel hätte ich Recht." Der 28-Jährige hat erlebt, wie eine Meinungsäußerung zum medialen Selbstläufer, eine Sachfrage zur grundsätzlichen Frage des Verhältnisses der Generationen zueinander wird.
Immer wieder wird diskutiert, ob die Interessen der jungen Generation im Parlament wirklich vertreten werden. Schließlich sind in der aktuellen Legislaturperiode gerade einmal 13 Abgeordnete 1976 oder später geboren. "Eine Mischung aus Jung und Alt tut gut", betont Daniel Bahr, 32-jähriger Abgeordneter der FDP. Schließlich sei das Parlament kein Rat der alten Weisen. Eine Einschätzung, die seine CSU-Kollegin Dorothee Bär teilt: "Gerade die Unter-18-Jährigen brauchen eine Lobby, weil sie weder das aktive noch das passive Wahlrecht haben", sagt die 30-Jährige. Anna Lührmann ist bis heute die jüngste Abgeordnete aller Zeiten. Sie zog 2002 für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein - als 19-Jährige. Für sie haben die jungen Abgeordneten eine besonders wichtige Funktion: "Sie sind Ansprechpartner für die junge Generation und bringen deren Perspektive ein." Dass dies wichtig ist, bestätigt der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer: "Durch den demografischen Wandel wird das Gewicht der Jüngeren geringer, denn die Parteien müssen sich an den Älteren orientieren, um Mehrheiten zu gewinnen." Deswegen müssten, so Niedermeyer, junge Abgeordnete unbedingt Interessenvertreter ihrer Generation sein.
Aber können junge Abgeordnete die Interessen der Jugend auch am Besten vertreten? "Ich habe ältere Abgeordnete kennen gelernt, die im Kopf sehr jung waren", betont Bahr, "und ich habe jüngere getroffen, denen schon der Kalk aus der Hose rieselt." Ein weiterer Aspekt erschwere die Interessenvertretung zusätzlich, sagt Kerstin Griese: "Es ist eine Legende, dass es ein einziges Interesse der Jugend gibt." Die 42-jährige Sozialdemokratin gehört zwar nicht zu den jüngsten Abgeordneten, sie ist aber seit 2002 Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es mache große Unterschiede, ob ein Jugendlicher aus einem ostdeutschen Dorf mit schlechter Infrastruktur oder aus einer westdeutschen Großstadt komme. Eine Entwicklung sei aber zu beobachten: "Durch jüngere Abgeordnete kommen neue Themen auf die Tagesordnung", sagt die Ausschussvorsitzende. "Wie machen wir Politik, damit die junge Generation auch morgen noch etwas gestalten kann?", diese Frage habe früher kaum eine Rolle gespielt. Dank der Jungen sei dies nun anders. Und Griese lobt: "Jüngere Politiker sind sehr lebensnah, praxisnah, im besten Sinne pragmatisch."
In der vergangenen Legislaturperiode haben junge Abgeordnete aller Fraktionen die Initiative "Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz" gestartet, derzeit befindet sie sich in der parlamentarischen Beratung: Im Oktober 2008 fand eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung statt. "Wir wollen alles politische Handeln darauf verpflichten, auch an die kommenden Generationen zu denken", erläutert Daniel Bahr. Um die Verfassung zu ändern, ist eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Die Aussichten für eine Grundgesetzänderung sind schlecht: "Wir haben von der Fraktionsführung gesagt bekommen, dass es keine Verfassungsänderung geben wird", berichtet seine Kollegin Dorothee Bär, "wir haben es aber trotzdem angepackt, weil es ein wichtiges Thema ist." Von der Linken wollte sich niemand der Initiative anschließen. "Viele junge Abgeordnete betonen zu stark die Bedeutung von Sachzwängen", kritisiert die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping (29). Ein Einwand, den die anderen jungen Abgeordneten nicht gelten lassen wollen: "Das ist ein sehr oberflächliches Urteil", kritisiert Peter Friedrich, Sprecher der "Youngsters" in der SPD-Fraktion. "Wir haben fraktionsübergreifend sehr kontrovers darüber diskutiert, wie wir Sachzwänge überwinden und damit neue Handlungsspielräume gewinnen können", sagt der 36-Jährige.
Die jungen Abgeordneten machen in ganz unterschiedlichen Fachausschüssen Politik. Im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind hingegen nur wenige vertreten. "Sie wollen eben nicht ausschließlich als jung definiert werden", hat die Ausschussvorsitzende Griese beobachtet. Anna Lührmann, Mitglied im wichtigen Haushaltsausschuss, bestätigt das: "Ich wollte nicht in eine Ecke gedrängt werden, sondern mir in einem ganz neuen Bereich Fachkompetenz aneignen." Anfangs wurde sie dabei sehr kritisch beäugt, erzählt die mittlerweile 25-jährige: "Ich hatte damit zu kämpfen, von den alten Hasen ernst genommen zu werden." Allerdings habe sie schnell gemerkt: "Die kochen auch nur mit Wasser." Indem man sich engagiere und gut vorbereite, werde man auch als sehr junger Abgeordneter schnell respektiert. So wie Jens Spahn: Mit seinen 28 Jahren gilt er als einer der profiliertesten Gesundheitspolitiker im Parlament. Er betont: "Alle Themen sind Themen für die junge Generation." Deshalb sei es wichtig, dass junge Abgeordnete auch überall mitarbeiten. "Ich finde es ein gutes Signal, dass wir nicht automatisch in den Jugendausschuss geschickt werden", sagt FDP-Gesundheitsexperte Bahr, "schließlich sind wir keine Politik-Azubis." Seine Stimme sei im Parlament genauso viel wert wie die Stimme von Angela Merkel.
Die meisten jungen Abgeordneten sind auch Mitglied in der jeweiligen Nachwuchsorganisation ihrer Partei - auch wenn diese nicht jeder als solche sieht: "Ich habe die Jungen Liberalen nie als Nachwuchsorganisation verstanden", sagt Bahr, der ihnen von 1999 bis 2004 als Bundesvorsitzender vorstand. Und fügt lachend hinzu: "Wir sagen immer etwas zugespitzt, dass die FDP unsere Seniorenorganisation sei."
Die Nachwuchsorganisationen sollen nicht nur Sprungbrett sein. Linke-Vizechefin Katja Kipping ist der Meinung, dass Parteien durch ihre Anbindung an das Parlament zu angepasst werden. Deshalb sind die Jugendorganisationen für sie "ein wichtiges Korrektiv". "Als Jugendverband muss man auch mal quer denken dürfen", sagt Kerstin Griese, die von 1989 bis 1993 im Juso-Bundesvorstand saß. Parteifreund Peter Friedrich warnt aber davor, in den Jugendorganisationen zu stark auf Jugendthemen zu setzen: "Sie dürfen sich nicht darauf beschränken, Klientelpolitik für Jugendliche zu machen." Vielmehr müssten sie alle Themenfelder abdecken und dabei "Mittler zwischen der Jugend und den Parteien, aber auch zwischen den Parteien und der Jugend" sein.
Viele Parteinachwuchsorganisationen haben ein Mitgliederproblem: "Vor allem junge Menschen wollen flexibel, temporär und projektbezogen mitarbeiten", beschreibt der Politologe Niedermayer, "und da sind die alten, verknöcherten Parteiorganisationen nicht berauschend für 20-Jährige." Von neuen Ideen wie einer "Schnuppermitgliedschaft" hält Dorothee Bär aber nichts: "Das ist wie ein bisschen schwanger - entweder ich entscheide mich für eine Sache, oder ich lasse es."
Der Autor ist 28 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Berlin.