studi vz
Millionen junger Menschen definieren sich durch die Gruppenzugehörigkeit in einer Netzgemeinschaft. Politik sucht man dort vergebens
Was früher der Bolzplatz, das Lieblingscafé oder der Schulhof war, sind heute Online-Netzwerke wie Facebook, MySpace oder StudiVZ: Jugendliche treffen sich zu Tausenden in Online-Gruppen, die Titel tragen wie "Wir kapern das Becks Schiff und segeln zur Bacardi-Insel!" Insgesamt 12,5 Millionen Nutzer wies StudiVZ Ende 2008 aus.
Die Gruppen bei StudiVZ, dem größten deutschen Online-Netzwerk, sind Ausdruck von Weltanschauung und Humor: "Wenn mein Kind später Hip-Hop hört, kommt es ins Heim!" Jeder Benutzer hat eine Liste der Gruppen, denen er angehört, auf seinem Profil. Von Lieblingsfilm bis Lieblingszitat kann man in seinem Profil alles angeben, was man schon in der Grundschule in das Freundschaftsbuch geschrieben hat. Will man jemanden kennenlernen, betrachtet man meist nur Foto und Gruppen. Das reicht für die Online-Charakterisierung.
Im Grunde sind soziale Netzwerke wie StudiVZ nichts Neues. Seit dem US-Wahlkampf stehen sie aber auch in Deutschland in einem neuen Licht: Obama hatte sich im Wahlkampf permanent um sein Profil bei Facebook gekümmert. Er hat eine neue Ära im Online-Wahlkampf begründet und gilt deshalb als der "Internet-Präsident".
Auch in Deutschland konnte er damit punkten. Bei einer Probewahl auf StudiVZ gaben 400.000 Nutzer dem Hoffnungsträger ihre Stimme. Gruppen wie "Ich war schon für Barack Obama bevor es cool war!!" erfreuen sich großer Beliebtheit.
Bringen soziale Netzwerke wie StudiVZ also Politik in das Alltagsleben der Jugend? Schaut man ins Netz, heißt die Antwort klar: nein. Politik bei StudiVZ - das ist in etwa so beliebt wie es Börsennachrichten auf Viva wären. Ein paar einzelne Vorreiter haben zwar schon Neuland betreten, aber dafür ernten sie fast nur Kritik. Es fängt bei den einzelnen Profilen an: Ernste Angaben zur Frage nach dem politischen Standpunkt verebben in einem Meer von Menschen, die keine Lust haben zu antworten. Spaßangaben wie "kommunistisch" oder "kronloyal" helfen da auch nicht mehr. Fazit: Politik nervt.
In der riesigen Gruppenlandschaft ist der Bereich Politik ein kleines Dorf ohne Arbeitsplätze. Nur 10.000 Leute, also gerade 0,001 Prozent der StudiVZ-Nutzer, haben sich bei Gruppen für deutsche Parteien angemeldet. Die zwei größten Parteigruppen haben die Schotten dicht gemacht - in diese Gruppen darf man ausschließlich mit Erlaubnis der Moderatoren eintreten. Auf der Suche nach einer politischen Heimat bieten jede Menge Protestgruppen freien Einlass. Hier wettern fast 6.000 Leute unter Namen wie "Wer die CDU wählt hat nichts kapiert" oder "SPD - Der Untergang Deutschlands" gegen alles und jeden. Zu Ypsilantis Abfuhr heißt es etwa: "Wer interessiert sich für das Gewäsch von jemanden der an den Kommunismus und die Erde als Scheibe glaubt??? Ich habe innerlich gefeiert, als ich's gehört habe!", schreibt ein Teilnehmer. Die Reaktion kommt prompt: "Scheiße, bist du dumm. Wen interessiert's ob du innerlich feierst... Trottel." Die Wortführer in den verschiedenen Gruppen sind oft identisch. In einer Gruppe im Angriff, in der anderen in der Verteidigung oder immer als Unparteiischer unterwegs, packen diese Leute eine verbale Blutgrätsche nach der anderen aus. Fußball wird bei StudiVZ übrigens wesentlich ausführlicher diskutiert.
Bei den Pionieren der politischen Gruppen selbst sieht es düster aus: In der Gruppe "SPD" wird wenigstens reichlich und heiß diskutiert. So heiß, dass es richtig trocken wird. Staubtrocken. Die Gruppen "CDU/JU" und "CSU" sind dagegen in die Totenstarre verfallen. Zumindest gibt es hier kaum Beiträge. Auch die "Initiative für eine konservativere Ausrichtung der CDU" wird mit knapp 100 Teilnehmern wohl kaum ihr Anliegen erreichen können.
Tatsächlich scheint niemand politische Gruppen bei StudiVZ zu brauchen. Wer sich dort einloggt, sucht Unterhaltung und Smalltalk. Aktivitäten mit ernst gemeinten Zielen werden gar nicht erst beachtet. In der Gruppe "Rettet die Wälder. Esst mehr Biber!!!!" sucht man den Kommentar zum Waldsterben vergeblich. Dagegen findet man "Biberrezepte" etwa, um Biberschlegel mit Speck und Trüffeln zuzubereiten. Um mit einer Gruppe neue Mitgliederrekorde aufzustellen, sind Witz und eine gehörige Portion Ironie nötig. Nicht umsonst ist die Gruppe "echt jetzt?! - nein, das ist ironie, du depp!" so beliebt.
Auch das außerparteiliche Interesse an der Tagespolitik ist bei StudiVZ-Nutzern sehr zurückhaltend ausgeprägt. Stichwort Finanzkrise: Die betrifft jeden und bestimmt den Medien-Alltag. Findet sich dazu etwas bei StudiVZ? Fehlanzeige. Auch das Thema trifft den Geschmack der Online-Gemeinde nur, um sich darüber lustig zu machen. Magere 110 Mitglieder haben sich in die Gruppe "Internationale Finanzkrise 2008" verirrt - "Ich hab kein ADS - es ist nur...hey!Kuck mal!Ein Eichhörnchen!" kommt dagegen auf satte 40.000 Anhänger.
In der Gruppe zur Finanzkrise debattiert man, ob das Ersparte lieber in Gold, Konserven oder doch klassisch in Weizen investiert werden sollte. "Bin ich hier in ,Atom-Krise 2008' gelandet? oder doch ,nur' bei einer Finanzkrise?", fragt ein Benutzer, für den der Weltuntergang noch ein bisschen Zeit hat. Ironie ist angesagt: "Finanzkrise??? - Die hab ich jeden Monat!!!" heißt es da.
Wenigstens zur Vorratsdatenspeicherung haben dann doch ein Paar Leute eine Meinung. Hier fühlt sich der Internetnutzer persönlich betroffen. Aus den 1.000 Mitgliedern der Gruppe entsteht aber kaum ein Volksbegehren. So verhält es sich bei StudiVZ mit allen ernsten Themen von Abgeltungssteuer bis Zweitwohnsitz. Politik und StudiVZ scheinen - auch nach Obama - nicht zusammen zu passen.