Der Europarat fordert seine Mitgliedstaaten auf, Gefangene aus Guantánamo aufzunehmen. Heißt das, die USA aus der Verantwortung zu entlassen?
Nein. Die USA haben dieses völkerrechtswidrige Lager geschaffen, und nun liegt bei Washington die Hauptverantwortung für die Schließung dieser Einrichtung. Deutschland und andere europäische Länder sollten aber akzeptieren, dass manche der Inhaftierten nicht in den USA bleiben wollen und wegen Foltergefahr nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Bei der Lösung dieser Problemfälle sollten wir aus humanitären Gründen einen Beitrag leisten.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat anfangs eine restriktive Haltung in dieser Frage betont. Wie sehen Sie das als Mitglied des Menschenrechtsauschusses?
Minister Schäuble wollte mit gutem Grund darauf hinweisen, dass in Guantánamo in erster Linie die USA gefordert sind. Inzwischen zeigt sich der Innenminister offener und sagt zu Recht, die Schließung des Gefängnisses werde nicht an der Weigerung Deutschlands scheitern, im europäischen Verbund Häftlinge ins Land zu lassen. Im Übrigen mutet es seltsam an, dass ausgerechnet Außenminister Frank-Walter Steinmeier dieses Thema forciert, wo er doch einst als Kanzleramtschef die Rückkehr des Guantánamo-Insassen Murat Kurnaz verhindert hat.
Ist die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen als Goodwill-Aktion Eu- ropas für US-Präsident Obama gedacht?
Es ist egal, unter welchem US-Präsidenten das Lager geschlossen wird. Diese Einrichtung ist rechtsstaatlich nicht akzeptabel und muss deshalb unbedingt dicht gemacht werden.
Nach welchen Kriterien sollten Guantanamo-Gefangene beurteilt und aufgenommen werden?
Ob über den Status nach dem Asyl- oder Aufenthaltsrecht entschieden wird, ist im Einzelfall zu klären. Zuerst sollten jene willkommen sein, die erwiesenermaßen fälschlicherweise unter Terrorverdacht gestellt wurden. Andere Häftlinge sollten nicht pauschal als "gefährlich" eingestuft werden. Ein solcher Vorwurf muss bei jeder Person sehr gut untermauert werden.
Haben der Bundestagsausschuss und der Europarat überhaupt Einfluss in Sachen Guantánamo?
Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages hat einstimmig gefordert, auch Deutschland solle ein Stück Verantwortung für die Schließung von Guantánamo übernehmen. An diesem Votum kommt man nicht vorbei. Und man sollte die öffentliche Wirkung nicht unterschätzen, wenn der Europarat wie jetzt bei der Sitzung seiner Parlamentarischen Versammlung mit Nachdruck ein humanitäres Engagement der Europäer verlangt.
Das Interview führte
Karl-Otto Sattler