FINANZEN
Peer Steinbrück verteidigt die hohe Neuverschuldung. Opposition kritisiert »Geldverbrennung«
Ernst blickt Kanzlerin Angela Merkel von der Regierungsbank, und der am Rednerpult des Bundestages stehende Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat auch nichts zu lachen. Scherze verbieten sich von selbst, sogar als der Minister in der ersten Debatte über das zweite Konjunkturpaket ( 16/11740) am 30. Januar mit Superlativen aufwartet. Der erste Superlativ fällt jedoch in die Kategorie Unangenehmes: Man habe es "mit der schwersten wirtschaftlichen Rezession seit 1949" zu tun. Darauf habe die Bundesregierung mit dem größten Konjunkturprogramm seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland reagiert. "In dieser Dimension hat es einen solchen konjunkturellen Impuls noch nicht gegeben. Und dies ist angemessen, dies ist problemadäquat mit Blick auf die krisenhafte Zuspitzung, mit der wir es zu tun haben." Dennoch sind die Aussichten alles andere als rosig: Bei der Bankenkrise sei "längst noch nicht Licht am Ende des Tunnels". Die Opposition reagierte mit scharfer Kritik auf das 50-Milliarden-Paket zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Ein solcher Konjunkturimpuls sei unabweisbar mit einer Steigerung der Verschuldung verbunden, erklärte Steinbrück in der Debatte. Dafür ist ein Nachtragshaushalt ( 16/11700) mit neuen Schulden in Höhe von 36,8 Milliarden Euro notwendig. Fast 17 Milliarden will Steinbrück für öffentliche Investitionen und die Kfz-Abwrackprämie zur Verfügung stellen, die aus einem Tilgungsfonds finanziert werden, aus dem das Geld nach Bedarf abgezogen werde. Daher könne er die genaue Höhe der Neuverschuldung noch nicht angeben. Der Fonds, der sich ausschließlich über Kreditaufnahme finanziert, soll ein Volumen von bis zu 21 Milliarden Euro haben. Steinbrück verteidigte den Fonds gegen die Kritik, er stelle einen Schattenhaushalt auf. Der Fonds sei völlig offen, transparent und zugänglich.
Der staatliche Hunger nach frischem Geld hat eine Kehrseite. Auf dem Anleihenmarkt, über den die staatliche Kreditnachfrage gedeckt werden muss, könnte es zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Dort finanzieren sich auch private Unternehmen, die jedoch gegenüber öffentlichen Kreditnehmern im Ranking schlechter dastehen. Man könne in sehr schwieriges Fahrwasser kommen, sagte Steinbrück. Es gebe jedoch kein Drehbuch für Krisenbewältigung und keine Handlungsanweisungen. Wenn man schon kein Drehbuch habe, müsse sich die Politik Handlungsanweisungen geben. Dazu gehöre, nicht einfach Geld zu verbrennen, "sondern das Geld so aufzuwenden, dass wir dabei auch mittelfristig zur Modernisierung unseres Landes beitragen". Eine Kreditklemme müsse vermieden werden. Dazu gehöre auch, den öffentlichen Charakter der Sparkassen zu erhalten. Steinbrück rechnete vor, dass es durch die Konjunkturpakete zu einer "bemerkenswerten Entlastung" der Bürger komme. Allein die Senkung der Arbeitslosenbeiträge bringe eine Entlastung von 30 Milliarden Euro.
Dank konnte der Minister von der Opposition jedoch nicht erwarten. FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle warf der Koalition vor, vier Jahre lang die Ausgaben erhöht und den Etat aufgebläht zu haben. Damit sei die Regierung selbst eine "nachhaltige und ernste Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Maßnahmen gegen die Krise müssten schnell, spürbar und zielgerichtet sein. Stattdessen sei die Arbeit der Koalition zögerlich, kleinteilig und diffus. Die dahindümpelnde Binnennachfrage könne jedoch durch Steuersenkungen gestärkt werden. Jürgen Koppelin (FDP) bezeichnete das Konjunkturprogramm als Strohfeuer. Seine Fraktion habe bereits im Dezember gesagt, es müsse ein Nachtragshaushalt vorgelegt werden und sei dafür von der Koalition ausgelacht worden.
Linksfraktionschef Oskar Lafontaine warf der Regierung Versagen vor. "Diese Bundesregierung veruntreut in Milliarden-Umfang Steuergelder." Es würden 18 Milliarden Euro in die Commerzbank gepumpt, aber es gebe keine Kontrollen, ob die Bank wieder Schrott-Papiere kaufe. "Die größte Exportnation der Welt kann nicht das kleinste Paket auflegen", sagte Lafontaine. Sein Co-Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi kritisierte die Politik der früheren rot-grünen Koalition, Hedgefonds zugelassen und durch Steuerfreiheit für Unternehmensverkäufe Spekulanten geradezu eingeladen zu haben. "Sie haben aus Börsen Spielkasinos gemacht", kritisierte Gysi.
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Koalition vor, ohne jede Kontrolle 100 Milliarden Euro an die Banken ausgereicht und weitere 400 Milliarden Bürgschaften zugesagt zu haben. "Dieses Paket ist zu langsam, es ist zu zaghaft, und es ist nicht zielgenau", sagte der Grünen-Politiker. Die Banken hätten verpflichtet werden müssen, unter den Rettungsschirm zu gehen. Steinbrück habe "Geld verbrannt", kritisierte Trittin. Nach dem Boom bei der Abwrackprämie werde es einen "gewaltigen Kater" geben. Haushaltspolitiker der Koalition sprachen sich für eine Schuldenbremse im Grundgesetz aus, um die Neuverschuldung zu begrenzen. Joachim Poß (SPD) forderte, diese Kreditbremse müsse "realitätstauglich" sein, und Steffen Kampeter (CDU) forderte eine Verknüpfung des Konjunkturpakets mit einer Schuldenbremse. Unionsfraktionschef Volker Kauder lehnte eine staatliche "Bad Bank" ab. Die Bankenaufsicht müsse bei der Bundesbank konzentriert werden.