Individualisierte Medizin kann zu einem Paradigmenwechsel in der gesundheitspolitischen Debatte führen. Das prognostizierte die Projektleiterin Bärbel Hüsing bei der Vorstellung des TAB-Zukunftsreports "Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem" am 28. Januar im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. "Bei der individualisierten Medizin wird die Rechtfertigung des Einzelnen nötig. Wenn man nicht so gesund lebt, wie man könnte, kann es zu einer moralischen Inpflichtnahme durch Dritte kommen", so Hüsing. Bislang sei Gesundheitsverhalten Privatangelegenheit und die Gesellschaft solidarisch mit Kranken.
Ein Problem sei momentan, dass es noch an validierten Verfahren fehle, um Aussagen über den konkreten Nutzen individualisierter Medizin treffen zu können, sagte Hüsing. Beispielsweise gebe es noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie Patienten individuelle Prognosen über ihre Gesundheit aufnehmen würden. "Bislang geht man von der schlichten Annahme aus: Patienten wissen durch individualisierte Medizin, welche Krankheiten auf sie zukommen können, und sie ändern daraufhin ihr Verhalten", erläuterte Hüsing. Dies sei aber nicht wissenschaftlich fundiert und gehe von einem homo oeconomicus aus, der absolut rational handele. Ob die Bürger allerdings bereit und in der Lage seien, die Ergebnisse tatsächlich auf ihre Lebensweise zu übertragen, sei eine wissenchaftliche black box.
Zudem sieht Hüsing die Gefahr, dass Patienten durch noch nicht hinreichend validierte Tests verunsichert würden. Ziel der individualisierten Medizin ist, das individuelle Erkrankungsrisiko etwa durch Gendiagnostik zu ermitteln und eine auf die individuellen Anforderungen von Patienten angepasste Prävention, Diagnose und Therapie zu leisten. Zurzeit sei die Forschung auf diesem Gebiet zu "genfokussiert". Auch Umweltaspekte müssten beispielsweise berücksichtigt werden.