FöDERALISMUSREFORM
Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen droht zum Reförmchen zu werden
Eigentlich kann jetzt nichts mehr schief gehen. Im Rahmen der Verabschiedung des Konjunkturpakets II haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf die Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz verständigt. Und da Union und SPD in der Föderalismuskommission eine klare Mehrheit haben, dürfte bei deren letzten Sitzung am 5. Februar einer Einigung im Prinzip nichts mehr im Wege stehen. Oder doch?
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und so wird denn vor und besonders hinter den Kulissen zwischen den Parteien bis zuletzt heftig um - bei Redaktionsschluss noch nicht vorliegende - Kompromisse gerungen. Steffen Kampeter, CDU-Haushaltspolitiker im Bundestag, wirft der SPD vor, "auf der Flucht in den Schuldenstaat" zu sein. Der SPD-Abgeordnete Ernst Dieter Rossmann wiederum warnt davor, den finanziellen Handlungsspielraum von Regierung und Parlament durch juristische Festlegungen zu sehr zu beschränken. Aus Sicht des FDP-Abgeordneten Ernst Burgbacher, Vize-Vorsitzender der zur Reform der staatlichen Finanzarchitektur eingesetzten Föderalismuskommission, ist das Modell der Koalition nicht geeignet, "die Schussfahrt in die Schuldenfalle abzubremsen". Die erstarkten Liberalen wollen über den Bundesrat ein strikteres und schneller greifendes Kreditlimit in der Verfassung durchsetzen.
Der Chor der politischen Stimmen klingt so dissonant wie eh und je, jedenfalls auf den ersten Blick. Und doch hat sich mit der monströsen Finanzmarktkrise samt Rezession etwas verändert, die Signale in der Kommission scheinen nun auf Grün zu stehen. Was deren Chefs, der Stuttgarter Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck, in zwei Jahren nicht geschafft haben, nämlich die Erarbeitung eines Konzepts für eine Schuldenbremse, könnte der Druck der Verhältnisse erzwingen.
Der Eindruck ist wohl nicht ganz falsch, dass das schlechte Gewissen ein Stück weit mit Regie führt: Wenn zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise dieses und nächstes Jahr der Bund Schulden in gewaltiger Höhe aufnimmt und deshalb die ohnehin gigantische Kreditbelastung der öffentlichen Hand noch weiter wächst, dann soll dieses Mal über Absichtserklärungen hinaus mit dem Abtragen des Schuldenbergs nach Überwindung der Rezession tatsächlich ernst gemacht werden. Eine gewisse Zeit schien es hingegen so, als habe sich angesichts des enormen staatlichen Finanzbedarfs wegen der aktuellen Krise eine Kreditbremse in der Verfassung erledigt. So hatte sich etwa Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) geäußert.
Für die entscheidende Sitzung der Föderalismuskommission diese Woche liegt nun also ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch. Kernpunkt des Koalitionskompromisses ist die Absicht, Bund und Ländern künftig in "normalen" Konjunkturphasen jährlich neue Kredite in Höhe von nur 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erlauben. Das wären zwölf Milliarden Euro. Mit diesem Modell verbucht im Grunde Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) einen Erfolg, der diese Linie seit langem verficht. Unterstützung erhält der Ressortchef auch von Peter Struck, dessen SPD-Fraktion eigentlich für eine 0,75-Prozent-Quote plädiert. Nach dem Willen der Koalitionsspitzen sollen die Verschuldungsspielräume "in konjunkturell schlechten Zeiten erweitert, in guten Zeiten dagegen verengt bzw. in eine Verpflichtung zu Überschüssen umgekehrt" werden. Überwacht wird diese Regel über ein "Kontrollkonto", das im Falle negativer Salden von einer bestimmten Schwelle an ausgeglichen werden muss. In "Notsituationen" wie etwa Naturkatastrophen oder globalen Finanzkrisen nach aktuellem Muster soll ein besonderer Geldbedarf mit zusätzlichen Krediten gedeckt werden können. Diese Schuldenbremse im Grundgesetz soll vor der Bundestagswahl beschlossen werden und "spätestens 2015" in Kraft treten.
Zu denen, die für den 5. Februar "sehr positiv gestimmt" sind, gehört die Bundestagsabgeordnete Antje Tillmann. Aus Sicht der Unionsobfrau in der Föderalismuskommission ist Steinbrücks 0,5-Prozent-Quote zwar "kein Traumergebnis, doch damit kann ich leben". Immerhin wollte die Union genauso wie die FDP ursprünglich für "normale" Wirtschaftsphasen ein völliges Verbot neuer Schulden erreichen. Tillmann macht sich dafür stark, die dieses Jahr zu beschließenden Änderungen im Grundgesetz nicht erst 2015 ("kein sehr ambitioniertes Ziel"), sondern schon 2012 wirksam werden zu lassen: "Das ist Verhandlungsthema in der Kommission."
Das Konjunkturpaket II samt dem massiven Kreditbedarf steht für die CDU-Parlamentarierin nicht im Widerspruch zu der geplanten Verfassungsregel: Der jetzt avisierte Tilgungsfonds, über den ein Teil des durch das Konjunkturprogramm bedingten Schuldenbergs verbindlich abgetragen werden soll, nehme noch ohne Föderalismusreform bereits ein Kernelement dieses Modells vorweg, nämlich die verpflichtende Rückzahlung von Krediten in besseren Wirtschaftsphasen. So wie es aussieht, dürften sich die Regierungsparteien Union und SPD bis 5. Februar wohl verständigen können. Doch für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat erforderlich. Und dort könnte die FDP durch ihre Regierungsbeteiligungen die Großkoalitionäre ausbremsen. Diese Macht wollen die Liberalen natürlich nutzen.
Wie aber könnten Zugeständnisse an die FDP aussehen? Ernst Burgbacher fordert, die Schuldenbremse nicht erst 2015, sondern sofort nach dem Abklingen der Rezession in Kraft zu setzen. Der Liberale spricht von 2011. Gegen eine Verschärfung der 0,5-Prozent-Quote dürfte es in der SPD aber energischen Widerstand geben. Die öffentliche Debatte über die noch vor wenigen Wochen nicht zu vermutende Wende hin zu einem Durchbruch bei der Föderalismusreform verdeckt, dass zentrale Probleme der Staatsfinanzen im Rahmen des avisierten Konzepts ungelöst bleiben werden. Bund, Länder und Kommunen sitzen auf einem Altschuldenberg von satten 1,5 Billionen Euro. Dessen Abtragen wurde in der Kommission schon vor geraumer Zeit still und leise ad acta gelegt, die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern einerseits sowie zwischen reichen und ärmeren Ländern andererseits ist sehr umstritten. "Die Begeisterung ist nicht sehr groß", beurteilt Tillmann die Bereitschaft, diese Aufgabe in der aktuellen Situation noch zusätzlich anzupacken. Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hält es jedenfalls für unwahrscheinlich, dass die Hauptstadt "vom Bund noch mal größere Beträge erbt", um die Altschulden von fast 60 Milliarden Euro vermindern zu können.
Keineswegs sicher ist im Übrigen, dass am 5. Februar eine gesamtstaatliche Finanzreform gelingt, die Bund und Länder einbindet. Dieses Ziel hatte sich die Föderalismuskommission ursprünglich einmal gesetzt. "Das wäre ideal", meint Tillmann, doch sie sagt auch: "Es ist ganz wichtig, dass zumindest der Bund für sich eine Schuldenbremse beschließt." Damit bestätigt die CDU-Politikerin Medienmeldungen, wonach der Bund angesichts der Differenzen zwischen den Ländern über die Modalitäten einer Kreditbegrenzung einen Alleingang planen und eine nur für die Bundesebene geltende Schuldenbremse bei 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einbauen könnte.
Besonders heikel ist die Lage in Schleswig-Holstein, Bremen und dem Saarland: Diese Länder sehen sich angesichts ihrer Haushaltsnotlagen nicht einmal in der Lage, ihre aktuellen Jahresetats ohne neue Kredite auszugleichen. Da hätte die Unterschrift unter eine Schuldenbegrenzung bloß deklaratorischen Charakter.
Oettinger und Struck hatten einen je zur Hälfte von Bund und reichen Ländern gesponserten Fonds mit jährlich 1,2 Milliarden Euro vorgeschlagen, dessen Mittel es den besonders armen Ländern ermöglichen sollten, Haushalte ohne neue Schulden zu erstellen. Doch wohlhabende Länder wie etwa Bayern wollen nur ungern zahlen. Auch dieses Thema wird bei dem Treffen am 5. Februar präsent sein. Über eine Lösung der neuralgischen Probleme des Saarlandes, Bremens und Schleswig-Holsteins könne man "vielleicht später verhandeln", meint Tillmann. Die Frage, ob und inwiefern die 16 Länder in das Modell einer Schuldenbremse einbezogen werden, zählt zu den spannendsten Aspekten der Sitzung diese Woche. Burgbacher warnt vor getrennten Regeln für Bund und Länder. Aber ist eine neue Kreditregel im Grundgesetz überhaupt ein wirksames Mittel zur Schuldenbegrenzung? Zweifel sind durchaus begründet. Die Höhe der künftigen Kreditaufnahme soll abhängig sein von der Existenz konjunkturell "normaler", "guter" oder "schlechter" Zeiten sowie von "Notlagen". Für die Definition dieser interpretierbaren Kategorien gibt es indes keine wirklich objektiven Kriterien. Es wird, ob 2012 oder 2015, letztlich eine Frage des politischen Streits, der politischen Entscheidung sein, wie diese Begriffe - in heute nicht absehbaren Situationen - interpretiert und in finanzielle Maßnahmen umgesetzt werden.