1848 bis 1918
Von der Paulskirchenversammlung zur parlamentarischen Monarchie
"Ein deutsches Parlament, frei gewählt durch das Volk" lautete 1848 auf einem Mannheimer Flugblatt eine der "Forderungen des deutschen Volkes" - und zumindest kurzzeitig ging diese Forderung seinerzeit in Erfüllung. Anfänge parlamentarischen Lebens hatte es in Deutschland schon in den Jahren zuvor gegeben, etwa in Baden, doch erst die damalige Märzrevolution konnte die Wahl zur ersten gesamtdeutschen Volksvertretung erzwingen: Am 18. Mai 1948 trat in der Paulskirche in Frankfurt am Main die "Nationalversammlung" zusammen, gewählt von wirtschaftlich unabhängigen Männern nach unterschiedlichen Wahlverfahren in den Einzelstaaten. Rund 75 Prozent der deutschen Männer waren wahlberechtigt, während die Frauen kein Wahlrecht besaßen.
Auch wenn das von den Abgeordneten beschlossene Verfassungswerk für den ersehnten Nationalstaat nie in Kraft trat, Preußens König Friedrich Wilhelm IV. die angebotene Kaiserkrone ablehnte und das verbliebene "Rumpfparlament" im Juni 1849 aufgelöst wurde, wirkten nicht nur die in der Paulskirche verabschiedeten "Grundrechte des deutschen Volkes" noch in der Weimarer Verfassung und dem Bonner Grundgesetz fort. Auch für die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus war die Nationalversammlung bedeutsam, etwa durch die Bildung fraktionsähnlicher Gruppierungen; politische Positionsbeschreibungen wie "Rechte" oder "Linke" - heute sogar ein offizieller Parteiname - gehen auf die Sitzordnung der Paulskirchenparlamentarier zurück, und manchem erscheint die Frankfurter Honoratiorenversammlung im Rückblick gar als "Geburtsort des deutschen Parteienwesens".
Als es 1871 dann doch zur Gründung des deutschen Nationalstaats kam, wurde sie "von oben" ins Werk gesetzt, und entsprechend eingeschränkt waren die Rechte des als Volksvertretung vorgesehenen Reichstags. Er wurde in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl für drei, später für fünf Jahre bestimmt, wobei nun alle männlichen Deutschen über 25 Jahre wahlberechtigt waren. Der Reichstag durfte im Wesentlichen an der Gesetzgebung mitwirken, aber nicht etwa den Kanzler wählen - der wurde vom Kaiser ernannt und war auch diesem und nicht dem Parlament politisch verantwortlich. Auch der Bundesrat als Vertretung der 25 Einzelstaaten verfügte über weiter reichende Kompetenzen als der Reichstag. Gleichwohl sollte nicht nur die Beteiligung an den Reichstagswahlen von lediglich 50,7 Prozent im Jahr 1871 auf 84,9 Prozent im Jahr 1912 steigen, sondern auch das politische Gewicht des Parlaments.
Doch erst als die militärische Führung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff im Herbst 1918 die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg eingestehen musste, aber nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollte, wurde der Weg für entscheidende Reformen frei: Am 3. Oktober 1918 kam es zur ersten von einer parlamentarischen Mehrheit getragenen Reichsregierung, und am 28. Oktober wurde Artikel 15 der Reichsverfassung ergänzt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages", hieß es dort nun - aus dem durch Fürsten "von Gottes Gnaden" gegründeten Kaiserreich war eine parlamentarische Monarchie geworden.
Keine zwei Wochen später dankte Kaiser Wilhelm II. ab, und der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief von einem Fenster des Reichstagsgebäudes in Berlin die Republik aus.